In Mexiko ist im Frühling 2009 ein fünf Jahre alter Junge schwer erkrankt, hat hohes Fieber und starke Gliederschmerzen. Kanadische Wissenschaftler finden als Ursache einen Virus und nennen ihn H1N1. Er weist Teile des Erbguts von menschlichen Influenza-Viren auf – und solche von Schweinen. Das Virus überquert in wenigen Tagen den Atlantik, die Welt spricht schnell von der Schweinegrippe. Ende April 2009 zeigen eine junge Frau und ihre Familie in Düsseldorf die gleichen grippeartigen Symptome wie der mexikanische Junge.
Mexiko meldet einige Dutzend Tote
"Aus epidemiologischer Sicht hat die Welle begonnen", sagt Jörg Hacker, Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin damals. Aus Mexiko werden bereits einige Dutzend Tote gemeldet. Doch die meisten Fälle verlaufen harmlos. Auch der Junge, mit dem alles begonnen hat, ist nach vier Tagen wieder auf den Beinen. Dennoch sieht die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, keinen Grund zur Entwarnung. 15 Wissenschaftler aus aller Welt konferieren telefonisch. Im sogenannten Shoc-Room, dem Krisenzentrum der WHO in Genf, kommen sie überein: "Wir wollen die Situation lieber über- als unterschätzen." Ärzte in Deutschland finden die Entscheidung vernünftig, immerhin hatte auch die Grippe-Epidemie von 1918 harmlos begonnen.
Nach der 141. Todesmeldung entschließen sich die Experten im Shoc-Room sogar, die höchste Warnstufe sechs auszurufen. Es ist die Schreckensnachricht vom 11. Juni 2009: Der Pandemiefall ist eingetreten. "Das Virus ist äußerst unberechenbar und kann nicht gestoppt werden", sagt die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan.
Eine Pandemie ist die rasche Ausbreitung einer Infektionskrankheit über Ländergrenzen, sogar über die Grenzen der Kontinente hinaus. Der Begriff ist aus dem Griechischen abgeleitet: "pan" bedeutet alles oder ganz, "demie" kommt von "demos", dem Volk. Eine Pandemie betrifft also das ganze Volk.
Impfdosen in einer deutschen Müllverbrennungsanlage vernichtet
Eine Pandemie ist aber auch ein Milliardengeschäft für die Pharmaindustrie. Denn die Staaten, auch Deutschland, ordern gemäß der Notfallpläne Impfstoffe in großen Mengen. "Es ist in dieser Situation richtig, sich impfen zu lassen, weil man damit einen Beitrag leistet, die Pandemie einzugrenzen", sagt zum Beispiel der damalige nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).
In Deutschland bleibt die Impfbereitschaft dennoch gering. Als die WHO die Schweinegrippe im August 2010 für beendet erklärt, hat es weltweit 18.500 Todesfälle gegeben. Diese Zahl steht aber in keinem Verhältnis zu den Millionen von Toten, die es in einem wirklichen Pandemiefall gegeben hätte. Zwölf Monate nach der WHO-Warnung werden die Impfdosen in einer deutschen Müllverbrennungsanlage vernichtet. Die WHO wird scharf kritisiert, Verschwörungstheoretiker glauben gar, sie hätte einen Deal mit der Pharmaindustrie abgeschlossen. Generaldirektorin Chan weist alle Vorwürfe zurück, wonach die WHO das Risiko zu hoch eingestuft habe. Es sei reine Glückssache gewesen, dass das Virus nicht mutiert sei, erklärte sie. In diesem Fall hätte die Todesrate wesentlich höher ausfallen können.
Erst seit Kurzem ist bekannt, wie weit sich die Epidemie ausgebreitet hatte. Studien belegen, dass weltweit jeder fünfte Mensch mit H1N1 infiziert war. Offenbar haben viele die Schweinegrippe für eine einfache Erkältung gehalten.
Stand: 11.06.2014
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