Schon in seiner Kindheit kann Wassily Kandinsky Farben hören und Töne sehen. Die bunte Welt erscheint ihm als große Melodie. "Das Allegro der kahlen Äste, der schweigsame Ring der Kremlmauer und darüber wie ein Triumph-Geschrei: Der Glockenturm!“, wird er sich später an seine Kindheit erinnern. "Diese Stunde zu malen dachte ich mir als das unmöglichste und höchste Glück."
Später, im oberbayerischen Murnau am Staffelsee, wird dieses Glück dann doch Wirklichkeit, und zwar durch die Abstraktion: Die tönende Welt stellt Kandinsky in der Zeit um 1910 immer mehr als reinen Tanz der Farben dar. Am Ende ist der Gegenstand gänzlich von der Leinwand verschwunden. Die Welt ist zur Musik aus Farbtönen geworden.
Märchenstadt München
Geboren wird Kandinsky 1866 in Moskau. Die baltische Mutter kann Deutsch und führt ihren Enkel in die Welt der Märchen ein: So entsteht die Vorstellung von Deutschland als Märchenland. Als Kandinsky nach einem Studium der Jurisprudenz, Nationalökonomie und Ethnologie 1897 nach München zieht, um sich der Malerei zu widmen, scheint er am Ziel: "Die blaue Trambahn zog durch die Straßen wie verkörperte Märchenluft, die gelben Briefkästen sangen ihr kanarienvogellautes Lied", wird er notieren. "Und ich fühlte mich in einer Kunststadt, was für mich dasselbe war wie Märchenstadt."
In dieser Zeit unternimmt Kandinsky viele Reisen, vor allem ins "märchenhafte" Rothenburg ob der Tauber. 1901 gründet er in München die Künstlergruppe "Phalanx" und unterrichtet in der angeschlossenen Schule Malerei. Hier lernt er Gabriele Münter kennen, mit der er sich 1903 verlobt. Fünf Jahre später zieht er mit ihr nach Murnau, wo er zunächst mit Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky zusammenarbeitet. Ganz in der Nähe wohnt Franz Marc, mit dem Kandinsky 1912 den Almanach "Der blaue Reiter" herausgibt. Ausstellungen machen die Werke der mit der Veröffentlichung verbundenen Künstler bekannt und geben der lockeren expressionistischen Verbindung den Namen.
Als "entartet" gebrandmarkt
In Murnau entwickelt Kandinsky seine Idee einer "inneren Notwendigkeit" des Bildaufbaus: Ein Gemälde soll nicht mehr Abbild der Wirklichkeit sein, sondern Ausdruck seiner eigenen Ruhe, Bewegtheit oder Harmonie. Theoretisch erläutert Kandinsky dieses Modell in seiner Schrift "Über das Geistige in der Kunst" (1912), praktisch illustriert er es in seinen "Improvisationen", denen er verschiedene Nummern gibt und die schließlich vollkommen abstrakt sind.
1913 ist Kandinsky mit seiner "Improvisation Nr. 27" in der legendären "Armory Show" in New York zu sehen, in der auch Marcel Duchamp seinen skandalösen "Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2" zeigt. Zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs muss er aus Deutschland fliehen, kommt aber 1922 zurück, um am Bauhaus in Weimar und Dessau zu lehren. Hier ist er bis zur Schließung der Kunst- und Kunstgewerbeschule tätig. Nach der Machtergreifung Hitlers zieht er nach Neuilly-sur-Seine bei Paris, von wo aus er miterleben muss, dass seine Werke 1937 in der Nazi-Schau "Entartete Kunst" ausgestellt werden. Er stirbt am 13. Dezember 1944 in Neuilly-sur-Seine.
Stand: 13.12.2014
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