Stille Wasser sind in Deutschlands nördlichstem Bundesland offenbar besonders tief. "Hier brodelt unter der ruhigen, liebenswürdigen Oberfläche ein tiefer, tiefer Krater. Und wenn es Eruptionen gibt, dann gibt es donnernde Eruptionen", sagt Heide Simonis. Als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein muss sie es wissen.
Einer dieser Eruptionen verdankt die gebürtige Bonnerin ihren Aufstieg an die Spitze der Kieler Landesregierung. In der juristischen Aufarbeitung der Spitzelaffäre um Uwe Barschel gerät dessen Opfer und Nachfolger Björn Engholm 1993 selbst unter Druck. Diskreditiert durch die sogenannte "Schubladenaffäre" muss Engholm abtreten und Finanzministerin Heide Simonis rückt als erste Frau in die Riege der deutschen Ministerpräsidenten auf.
Wiederwahl scheinbar sicher
Nach zwölf Jahren als Chefin einer rot-grünen Koalition verspricht Simonis 2005, noch einmal "neuen Schwung in die Regierungsarbeit bringen". Doch bei den Landtagswahlen kassiert die resolute SPD-Frau mit dem ausgeprägten Faible für Kapotthüte einen deutlichen Denkzettel: Mit 40,2 Prozent (SPD: 38,7) wird die CDU unter Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen erstmals seit 1983 wieder zur stärksten Partei. Als sich Rot-Grün aber die Chance bietet, mit Duldung des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) eine Minderheitsregierung zu bilden, kann Simonis nicht widerstehen.
Hatte sie zu Beginn ihrer Kieler Karriere noch über "Schläfrig-Holstein" gespottet, freut sich Simonis nun, "dass ich die Verantwortung für dieses schöne Land noch ein wenig länger tragen darf." 35 Stimmen braucht sie, um Ministerpräsidentin zu bleiben; über genau 35 Stimmen verfügt ihr Bündnis aus SPD, Grünen und SSW im Landtag. Arithmetisch ist die Wiederwahl also eine sichere Sache. Doch die erfahrene, scharfzüngige Taktikerin unterschätzt, wie gefährlich es unter der scheinbar ruhigen Oberfläche ihrer Koalition brodelt. So taumelt Heide Simonis am 17. März 2005 siegesgewiss in ihr Waterloo.
Wahldesaster in vier Akten
Das Polit-Drama nimmt seinen Lauf, als Landtagspräsident Martin Kayenburg das Ergebnis des ersten Wahlgangs verkündet: "Für die Abgeordnete Simonis haben gestimmt: 34 Abgeordnete." Die Abgeordnete Simonis gibt sich unbeeindruckt, bis der zweite Wahlgang dasselbe Resultat bringt: Wieder fehlt ihr eine Stimme. Selbst Heide Simonis wird nun mulmig zumute: "Sie wissen, da sitzt einer in den eigenen Reihen, der sie voll ins Messer laufen lässt." Umso größer das Entsetzen, als sie auch im dritten Wahlgang nur 34 Stimmen bekommt. Simonis verstummt, der Landtag unterbricht seine Sitzung und SSW-Spitzenfrau Anke Spoorendonk schimpft: "War alles, was auf den Parteitagen beschlossen wurde, nur Jux und Dollerei?"
Hektisch sucht die Regierungschefin hinter den Kulissen nach einem Ausweg aus dem Dilemma. Die Medien erfahren von einer Probeabstimmung, bei der Simonis angeblich ihre Mehrheit beisammen hatte. Sichtlich nervös wagt sie sich schließlich in einen vierten Wahlgang. Doch um 16.19 Uhr steht fest: Nur 34 Stimmen für Simonis, der "Heide-Mörder", wie die Presse den Abtrünnigen tauft, hat wieder zugeschlagen. "Man ist wie örtlich betäubt, wie bei einem Hammer über den Kopf", erinnert sich Heide Simonis an den Verrat in den eigenen Reihen. Noch in der Nacht zieht sie die Konsequenzen aus dem "Schuss in den Rücken" und erklärt ihren Rückzug aus der Politik. Der meuchelnde "Heide-Mörder" konnte bis heute nicht enttarnt werden.
Stand: 17.03.2015
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