Stichtag

28. November 2005 - Vor 5 Jahren: Niederländisches Euthanasie-Gesetz verabschiedet

"1969 haben wir zum ersten Mal aktive Sterbehilfe an einem Krebspatienten geleistet", erzählt Pieter Admiraal. Der Arzt gilt als Pionier der niederländischen Euthanasie-Bewegung. "Das einzige, was wir zu bieten hatten, als letzten würdigen Akt, das war dann Euthanasie - und das haben wir dann gemacht." Admiraal ist der erste Mediziner, der in den 80er Jahren der Justiz meldet, dass er das Leben von Todkranken mit einer Spritze oder Tablette beendete habe. Die Behörden reagieren auf diese Selbstbezichtigung nicht. Admiraals Schlussfolgerung: "Ich dachte, das ist jetzt akzeptiert."
Tatsächlich wird die umstrittene aktive Sterbehilfe seit einer Gesetzesreform im Jahr 1993 in den Niederlanden offiziell toleriert - wenn der handelnde Arzt die Tat dem Staatsanwalt meldet.

Schließlich wird die Duldung der Tötung auf Verlangen sogar legalisiert: Am 28. November 2000 genehmigt die zweite Kammer des Haager Parlaments das so genannte Euthanasie-Gesetz mit 46 zu 28 Stimmen. Die regierenden Sozialdemokraten und Liberalen haben das Gesetz entworfen und ihm - wie die oppositionellen Grünen - zugestimmt. Christdemokraten und Sozialisten haben es strikt abgelehnt. Nach den Buchstaben des Gesetzes ist das Töten eines unheilbar Kranken zwar immer noch strafbar. Aber wenn der Patient aktive Sterbehilfe mündlich oder in einer Patientenverfügung schriftlich verlangt, kann ein Arzt diese angebliche Hilfe leisten. Dabei muss er Auflagen beachten: Das Leiden des Patienten muss "unerträglich" sein, er muss mehrfach "aus freiem Willen" den Wunsch geäußert haben zu sterben. Nach dem Tod des Patienten entscheidet eine regionale Kontrollkommission selbstständig, ob der Arzt alle 28 Sorgfaltskriterien eingehalten hat.

"Dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet"

Das weltweit erste Gesetz zur aktiven Sterbehilfe regelt das Töten von einwilligungsfähigen Patienten. Für die Befürworter ist die Regelung ein Ausdruck holländischer Toleranz, Offenheit und Autonomie. Für Euthanasie-Gegner wie den Journalisten Oliver Tolmein handelt es sich dabei allerdings um "eine von emanzipatorischen Inhalten entleerte Selbstbestimmungsrhetorik". Die Deutsche Hospiz Stiftung ( DHS) spricht von einer "Lizenz zum Töten", die das Haager Parlament erteilt habe: "Anstatt menschenwürdiges Sterben durch effiziente und moderne Methoden der Hospizarbeit und Palliativmedizin, die moderne Schmerztherapie, zu sichern, öffnen die Niederländer dem Missbrauch Tür und Tor."

Vergleiche mit der Euthanasie der Nazis, die rund 100.000 Behinderte ermordeten, haben niederländische Befürworter der aktiven Sterbehilfe stets scharf zurückgewiesen. Pieter Admiraal sagt, er habe zwar "von Anfang an das Wort Euthanasie gebraucht", es leite sich aber vom griechischen Begriff "eu-thanatos" ab und bedeute "ein milder Tod". Skeptiker aber bleiben beunruhigt: In anonymen Umfragen haben niederländische Ärzte bestätigt, dass sie Patienten auch ohne ausdrücklichen Wunsch durch eine Überdosis von Schmerzmitteln getötet haben. Und dass auch Patienten sterben, die nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind - etwa psychisch Kranke, Alzheimer- und Demenzpatienten sowie Neugeborene mit schweren Behinderungen.

Stand: 28.11.05