"Analyse, Kritik, Intervention" – mit diesen drei Stichworten umreißt Projektleiter Fabian Virchow den Aufgabenbereich des "Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus und Neonazismus" an der Fachhochschule Düsseldorf: "Unser Ziel ist es, aktuelle Entwicklungen im Bereich Rechtsextremismus zu erforschen und Akteuren in Politik und Gesellschaft Unterstützung zu geben, wie mit diesem Problem umzugehen ist."
Fabian Virchow
Professor Fabian Virchow, 52, leitet seit 2010 den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus und Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf. Er forscht unter anderem über die staatliche Verbotspolitik im Kampf gegen die extreme Rechte.
Gegründet wurde die Einrichtung 1987. Die Ressourcen sind allerdings knapp: Das Geld der Fachhochschule reicht nur für eine einzige Mitarbeiterstelle, die sich auch noch zwei Forscher teilen müssen. Eine früher vorhandene zweite Mitarbeiterstelle und eine Sekretariatsstelle seien "im Lauf der Zeit verloren gegangen", sagt Virchow, der nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre tätig ist.
WDR.de: Was hat Ihre Forschungsstelle – trotz bescheidener Ausstattung - in den letzten 25 Jahren erreicht?
Fabian Virchow: Wir haben häufig als Erste neue Aspekte des Rechtsextremismus aufgegriffen. Zum Thema Rechtsrock hat Martin Langebach bereits vor zehn Jahren ein dickes Buch vorgelegt, das heute ein Standardwerk ist. Alexander Häusler hat früh den Rechtspopulismus als neue Entwicklung identifiziert, dazu geforscht und entsprechende Publikationen vorgelegt.
Unsere Arbeit hat außerdem dazu beigetragen, dass die Politik das Angebot an Institutionen, die sich mit dem Thema befassen, erweitert hat: Die Aufgaben, die der Forschungsschwerpunkt beispielsweise mit der Beratung von Lehrern oder Kommunen in den ersten Jahren übernommen hat - etwa durch Adelheid Schmitz -, werden nun auch von weiteren Akteuren bearbeitet. Heute gibt es in den Regierungsbezirken von NRW fünf sogenannte mobile Beratungsteams sowie Opferberatungsstellen in Dortmund und Düsseldorf. Dadurch können wir uns nun stärker als am Anfang auf die Forschung konzentrieren.
WDR.de: Welche Fragen sind da noch offen?
Virchow: Es gibt immer noch Fragestellungen, die nicht erforscht sind, obwohl sie gesellschaftlich relevant sind. Zum Beispiel stellt sich im Zusammenhang mit dem NSU die Frage: "Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Neonazis eine Fanatisierung durchlaufen und sich unterschiedlichen Gewaltniveaus zuwenden?" Dann gibt es die Frage, wie sich Verbote von rechten Organisationen auswirken. Dazu forschen wir seit drei Jahren, um Hinweise darauf zu bekommen, was bei einem möglichenNPD-Verbot passieren könnte. Also Fragen wie: "Gehen die dann in den Untergrund?", "Findet eine Radikalisierung statt?" oder "Nutzt ein Verbot überhaupt etwas?".
WDR.de: Wie hat sich die rechte Szene in NRW im letzten Vierteljahrhundert entwickelt?
Virchow: Nicht verändert hat sich glücklicherweise die Bedeutung von rechten Parteien. In NRW sind sie auf Landesebene nach wie vor bedeutungslos. Im Unterschied zu anderen Bundesländern sitzen hier keine Abgeordneten im Landtag.
Die rechte Szene in NRW hat allerdings in mehrfacher Hinsicht bundesweite Bedeutung erlangt. Sie hat maßgeblich den organisierten Rechtspopulismus hervorgebracht – durch "Pro Köln" und die entsprechenden Ableger auf Landes- und Bundesebene. Auch das Phänomen der "Autonomen Nationalisten" ist in NRW relativ früh entstanden. Hier gibt es zum Beispiel in Dortmund eine Reihe aktiver Gruppen.
Generell lässt sich sagen: Auch in NRW hat sich die braune Szene in den letzten 25 Jahren radikalisiert. Die neonazistischen Strukturen der 1980er Jahren sind im Vergleich zu heute sehr klein gewesen. Seither haben eher gemäßigte Kräfte wie die Republikaner an Bedeutung verloren. Die NPD, die kürzlich die DVU geschluckt hat, ist der einzig handlungsfähige Akteur, der übrig geblieben ist. Wie im Bundesgebiet ist die NPD auch in NRW neonazistischer geworden – durch die Zusammenarbeit mit den sogenannten Kameradschaften. Die nun verbotenen Zusammenschlüsse "Kameradschaft Aachener Land" und "Nationaler Widerstand Dortmund" waren durchaus deutschlandweit ein Bezugspunkt für die Neonazi-Szene.
WDR.de: Stichwort Brandanschlag in Solingen: In den 1990er Jahren war Gewalt gegen Ausländer auch in NRW verbreitet und in der Bevölkerung teilweise akzeptiert. Hat sich das mittlerweile geändert?
Virchow: Wir wissen von den Umfragen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer bisher durchgeführt hat, dass es nach wie vor erhebliche Vorbehalte gegen Einwanderung und bestimmte Bevölkerungsgruppen gibt. Da hat sich im Großen und Ganzen nicht viel verändert. Obwohl es da natürlich Wellenbewegungen gibt.
Ein Stück weit zurückgegangen ist jedoch die Zustimmung zu dieser Form von Gewalthandeln, wie wir das Anfang der 1990er Jahre erlebt haben. Das war eine spezifische politische Situation, in der es bis in die etablierten Medien und von etablierten Politikern sehr problematische Darstellungen der Asylsuchenden und der Zuwanderung gab. Auch die Strafverfolgungsbehörden haben die entsprechenden Taten nicht immer konsequent als versuchten Mord angeklagt. Dieses Verhalten hat sich nach dem sogenannten Asylkompromiss verändert – was ebenfalls wieder Wirkung in der braunen Szene und der breiten Öffentlichkeit gezeigt hat.
WDR.de: Im Zuge der Ermittlungen zu den Morden und Anschlägen des NSU wurde auch den Behörden in NRW vorgeworfen, auf dem rechten Auge nicht scharf genug zu sehen. Teilen Sie diese Kritik?
Virchow: Ich glaube, dass dies für die Behörden insgesamt gilt. Wenn man Papiere vom BKA oder anderen Stellen liest, die in den 1990er und in den 2000er Jahren entstanden sind, dann werden dort zwar zum Teil Hinweise auf rechte Gewalt zusammengetragen - aber man hat daraus nicht die entsprechenden Schlüsse gezogen. Dafür gibt es wohl unterschiedliche Gründe. Das eine ist, dass nach den Anschlägen des 11. September 2001 die Aufmerksamkeit insgesamt eher der islamistischen Szene gegolten hat. Da hat man auch die Ressourcen umverteilt. Und dann gibt es auch eine Tradition der Unterschätzung des Rechtsextremismus oder sogar der Bagatellisierung.
WDR.de: Sie wollen mit Ihrer Arbeit die Demokratie stärken – wie machen Sie das?
Virchow: Das hängt von den Projekten ab. Beim dreijährigen Projekt "Born to be me" ging es unter Leitung von Adelheid Schmitz um Demokratieförderung an einem Berufsbildungszentrum in Neuss. Außerdem sitzen wir mit am Tisch beim "Arbeitskreis Ruhr gegen rechtsextreme Tendenzen bei Jugendlichen", einem Zusammenschluss der Jugendämter des Ruhrgebiets. Mit dem Landesintegrationsrat haben wir ebenfalls eine Kooperation.
WDR.de: Was können Sie konkret bewirken?
Wir haben ein Projekt in Stolberg bei Aachen, wo jeweils im April ein Nazi-Aufmarsch stattfindet: Da wollen wir rauskriegen, wie sich diese Aufmärsche auf das Zusammenleben in dieser Stadt auswirken - mit der Hoffnung, daraus Erkenntnisse ableiten zu können, wie Kommunen angemessen auf solche Aufmärsche reagieren können oder sollen. Dabei haben wir zum Beispiel festgestellt, dass es sich positiv auswirkt, wenn der Bürgermeister in so einem Fall keine abwartende oder abwiegelnde Rolle einnimmt, sondern sich klar gegen die Neonazis positioniert. Dadurch haben die Aufmärsche nicht zu einer Spaltung, sondern zu einer Solidarisierung innerhalb der Stadt geführt. Eine solche Kultur des Hinschauens ist auch der beste Weg einen möglicherweise schlechten Ruf der Gemeinde wieder loszuwerden.
WDR.de: Was wünschen Sie sich als Institut für die nächsten 25 Jahre?
Virchow: Ich wünsche mir eine bessere finanzielle Ausstattung. Uns wäre schon geholfen, wenn wir statt nur zwei, wenigstens drei halbe Stellen hätten, damit wir uns besser um unsere Finanzierung und Öffentlichkeitsarbeit kümmern könnten.
Der zweite Wunsch wäre, dass es uns tatsächlich gelingt, den Rechtsextremismus weiter zu isolieren und auch den Alltagsrassismus weiter zurückzudrängen. Eigentlich geht es uns darum, unseren Forschungsgegenstand so zu bearbeiten, dass wir im Idealfall überflüssig werden - auch wenn ich da nicht so optimistisch bin. Aber 25 Jahre sind ja ein langer Zeitraum. (lacht)
Das Interview führte Dominik Reinle.
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