Die beiden Polizisten hielten sich in der benachbarten Schanzenstraße auf, als in der Keupstraße am 9. Juni 2004 kurz vor 16.00 Uhr eine Nagelbombe explodierte. Dem WDR liegt ein Vermerk über ein Telefonat vor, das der Leiter des Sekretariats des NSU-Unterschungsausschusses, Harald Georgii, mit dem NRW-Innenministerium am 8. März 2013 führte. Darin heißt es, die beiden Hundeführer, die Zivilkleidung trugen, seien als "motorisierte Funkstreife" unterwegs gewesen. Als um 15.58 der Notruf bei der Polizei einging, hätten sich die beiden Männer in die Keupstraße begeben und dort erste Hilfe geleistet. Dem WDR liegt außerdem ein Schreiben des Innenministeriums an den Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy vor, in dem die beiden Polizeibeamten mit Namen und Dienstgrad genannt werden.
Zeuge neun Jahre nach der Tat befragt
Dass der Untersuchungsausschuss sich erst jetzt mit diesen beiden möglicherweise wichtigen Zeugen befasst, kann der Kölner Geschäftsmann Ali Demir nicht verstehen. Demir, der sein Büro 2004 in der Keupstraße hatte, hatte unmittelbar nach dem Anschlag zwei mit Pistolen bewaffnete Männer in der Nähe des Tatorts gesehen. Zunächst habe er nicht gewusst, ob die Männer Verbrecher und an dem beteiligt waren, was draußen passierte. Später sei er jedoch davon ausgegangen, dass es sich um Zivilpolizisten gehandelt haben muss. Das teilte er auch der Polizei mit - und wurde dazu erst im Januar 2013 als Zeuge befragt.
Warum die Spur damals nicht verfolgt wurde, ist rätselhaft. Die Ermittlungsbehörenden hätten damals offenbar keinen Bedarf gesehen, erklärt Sebatian Edathy (SPD), Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses. Wie auch bei anderen Straftaten, die mutmaßlich dem NSU zugerechnet werden, sei "Zeugenhinweisen nicht in einem ausreichenden Maß nachgegangen worden".
Zufälliger oder gezielter Polizeieinsatz?
Für den CDU-Politiker Clemens Binninger, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss, wirft der neue Sachverhalt Fragen auf. Etwa die, ob es sich um einen "Routineeinsatz zufällig in der Nähe des Anschlagsortes" gehandelt habe. Das schätzt der Politiker als "unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen" ein. Oder "war es ein gezielter Einsatz, weil man vage Hinweise hatte, weil etwas passieren könnte?" Das wäre laut Binninger "skandalös, wenn man es uns jetzt erst mitteilen würde". Gegen einen Routineeinsatz spricht, dass einer der beiden Beamten Polizeihauptkommissar war und damit einen Dienstgrad hatte, der üblicherweise nicht im Streifendienst eingesetzt wird.
Die Keupstraße im Visier?
Falls die Polizei vorab Hinweise auf eine Gefahrensituation in der Keupstraße hatte, würde das die Einschätzung des Kölner Politikwissenschaftlers Kemal Bozay bekräftigen. Es habe bereits vor dem Anschlag deutliche Hinweise auf Aktivitäten der rechtsextremen NPD und DVU und sogar Verbindungen in die Neonaziszene Ostdeutschlands auch in der Keupstraße gegeben, sagte Bozay bei einer Podiumsdiskussion im November in Köln. "Doch weder die Polizei noch die Medien haben solche Informationen aufgenommen." Auch habe man immer wieder nachgefragt, ob es neue Erkenntnisse über diese zwei beobachteten Personen gebe", Antworten hätten die Betroffenen nie bekommen.
Kölner Polizist vor dem Untersuchungsaussschuss
Wenigstens ein paar Antworten wird es nun möglicherweise am 25. April geben, wenn einer der beiden Beamten von den Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses in Berlin befragt wird. Auch der Innenausschuss des NRW-Landtags befasst sich auf Antrag der CDU-Fraktion bei seiner nächsten Sitzung am 11. April mit der Rolle der beiden Polizisten. CDU-Innenexperte Theo Kruse kritisierte zudem die Informationspolitik des NRW-Innenministeriums: "Der Innenausschuss hat sich auf unseren Antrag hin bereits im November vergangenen Jahres mit dem Anschlag in der Keupstraße beschäftigt. Dabei hat die Landesregierung die Anwesenheit zweier Polizeibeamter am Tatort mit keinem einzigen Wort erwähnt."
22 Menschen in der Keupstraße verletzt
Bei dem Bombenanschlag in der überwiegend von Türken bewohnten Kölner Keupstraße wurden am 9. Juni 2004 22 Menschen verletzt. Ob das Verbrechen tatsächlich auf das Konto des NSU geht, muss noch gerichtlich geklärt werden. Der Terrorzelle um das mutmaßliche Mitglied Beate Zschäpe werden insgesamt zehn Morde, zumeist an Menschen mit ausländischen Wurzeln, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle zur Last gelegt. Die Morde wurden zwischen 2000 und 2007 verübt.