Der Nordrhein-Westfale, das ist in der Vorstellung eines Baden-Württembergers ein fröhlicher Bergmann, der durch eine hässliche Stadt auf dem Weg Richtung Fußballstadion ist - seine Brieftaube ist schon mal voraus geflogen, während er in einem der zahllosen Staus steht. Nach dem Spiel verkleidet er sich und geht Bier trinken. Und schon ist der Baden-Württemberger in die Klischee-Falle getappt. Der Nordrhein-Westfale, so musste ich in den vergangenen zehn Jahren lernen, ist nämlich gar nicht so fröhlich.
Schluss mit lustig!
Wenn zum Beispiel ein Hausbewohner Bauschutt in die Mülltonne fülllt, ist es selbst im jecken Köln mit dem Frohsinn schnell vorbei. Dann werden unmisserverständliche Zettel mit scharf formulierten Aufforderungen in den Hausflur gehängt. Herrlich! Wie in Stuttgart, wenn man die Kehrwoche vergisst. Oder bei einer Hochzeit in Münster: Da tönt der als Kiepenkerl verkleidete Wirt: "Vor drei Uhr morgens geht keiner nach Hause." Doch dann schleicht er ab zwei um den Discjockey herum und schaut immer wieder kopfschüttelnd auf seine Uhr. Um zwanzig vor drei nimmt er sich endlich ein Herz und verkündet: "Jetzt ist aber wirklich Schluss."
Schwerpunkt
An Karneval ist das natürlich anders, da ist ganz NRW fröhlich. Allerdings scheinen da gar nicht so viele Nordrhein-Westfalen zu Hause zu sein. Man schiebt sich mit Chinesen, Japanern und Amerikanern durch den Rosenmontag. Derweil man auf den Skipisten im Schwarzwald, in Österreich und der Schweiz noch häufiger als sonst von ungelenken Westdeutschen umgefahren wird.
Schwierigkeiten im Hutgeschäft und in der Liebe
Vielleicht stimmt das aber auch gar nicht. Vielleicht glaubt der Zugezogene nur, dass es in NRW von Ausländern wimmelt, weil er zwischen Rhein und Weser kein Wort versteht. Zum Beispiel in Münster: "Jovel" ist das Gegenteil von "schovel", das eine ist gut, das andere schlecht. "Bibi" ist der Hut und "Schumm" der Kuss. Will der Zugezogene in Bekleidungsgeschäften oder auf dem Heiratsmarkt tätig werden, muss er vorher ein Fremdwörterbuch studieren. Weiter südlich ist es nicht besser. Kölsch ist ebenfalls völlig unverständlich. Das Mitsingen von BAP-Liedern wird zum Beispiel immer unmöglich bleiben und auch den Text kapiert man nicht. "Verdamp lang her, dat ich ahn jet jegläuv." Hä?
Blutiger Wurstebrei
Leider kann der Zugezogene diesen unschönen Zustand nicht mit Frustessen bekämpfen. Denn das Essen in NRW ist ziemlich merkwürdig. Statt sympathischer Regionalspezialitäten wie Spätzle und Schwarzwälder Kirschtorte servieren die westdeutschen Wirte Blutgemüse, Himmel und Ääd und Wurstebrei. Das klingt nicht nur unangenehm. Auch beim Blick auf die Zutatenliste wird einem Angst und Bange: Auf Blutwurst, Kalbsköpfe, Schweineschultern und Rinderkämme mag der NRW-Koch bei der Zubereitung landestypischer Gerichte offenbar nur ungern verzichten.
NRW ist schön
Doch auch der Baden-Württemberger ist bei einem Thema eigen. In Sachen Landschaft haben wir schließlich einiges zu bieten: Den dunklen Schwarzwald, den reizenden Bodensee, das zauberhafte Heidelberg. Und NRW? Da schlottern jedem Zugereisten die Knie. Ein Sonntag in Herne? Wandern durch Wuppertal? Bummeln in Bielefeld? Lieber nicht. Lieber doch! Denn was ist schon das verschnarchte Baden-Baden gegen das unentdeckte Castrop-Rauxel, der kitschige Titisee gegen die Wasserschlösser Westfalens? Dazu der Rhein, der Teutoburger Wald, die Schwebebahn, die Industrieromantik. Irgendwann muss es der Baden-Württemberger zugeben: NRW ist schön.
Große Museen, kleine Hühner
Und noch eine Lektion muss der Zugezogene lernen. NRW besteht aus drei Teilen. Schließlich zeigt das Landeswappen nicht nur den Rhein und das westfälische Pferd, sondern auch die Lippische Rose. Lippe! Unbekanntes, vergessenes, kleines Land! Selten verirrt sich ein Umherziehender dorthin. Dabei gibt es so viel zu sehen. Sieben historische Stadtkerne, das größte Freilichtmuseum Deutschlands, die älteste Greifvogelwarte Europas, das kleinste Huhn der Welt! Das dringend mal anschauen und das nächste Mal vielleicht nach Lippe ziehen.