Westliche Strömungen einer östlichen Religion
Hinduismus in Deutschland
Stand: 15.02.2008, 06:00 Uhr
In fast jeder deutschen Stadt finden sich mittlerweile Hindu-Tempel. Westliche Hindus gibt es allerdings nur sehr wenige. Die Deutschen interessieren sich eher für die neuen Ableger der Jahrtausende alten Religion.
Von Dominik Jozic
Mehr als 90.000 Hindus leben in Deutschland, die meisten von ihnen stammen aus Sri Lanka und Indien. In den 1980er Jahren bauten die Zuwanderer erste Tempel. Doch schon lange davor traten in den Fußgängerzonen größerer Städte immer mehr junge Deutsche auf, die bei den Passanten für Verwunderung sorgten. Ihr Erkennungsmerkmal: Orangefarbene Gewänder, kurz geschorene Haare und der immer wiederkehrende Gesang "Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare" - ihr Gebet an Krishna, den Mensch gewordenen indischen Gott Vishnu.
Diese neue religiöse Bewegung kam aus den USA nach Europa. Dort gründete der gebürtige Inder Bhaktivedanta Swami Prabhupada (1896-1977) 1966 die Gruppe "Hare Krishna" - im weitesten Sinne eine Abspaltung des Hinduismus. Seine Bewegung nannte der Guru offiziell "International Society for Krishna-Consciousness", kurz ISKCON. Sie ist auch heute noch in Deutschland verbreitet. Experten gehen von etwa 400 Vollmitgliedern und einem deutlich größeren Kreis von Sympathisanten aus.
Strenge Regeln für die Anhänger
Das Leben dieser Vollmitglieder in einem der ISKCON -Tempel ist streng reglementiert: Aufstehen um 4.30 Uhr, Gesang, Meditation, Lesung, Tempeldienst, Missionsdienst Schriftstudium - jede Tätigkeit hat ihren genauen Platz im Zeitplan. Das Essen ist ausschließlich vegetarisch. Rauschmittel, Glücksspiel und außereheliche Sexualität sind verboten. Dadurch soll die höchste Vollkommenheit des Lebens erreicht werden. Doch genau diese strengen Vorgaben dürften auch der Grund dafür sein, dass die Mitgliederzahl der ISKCON in Deutschland zurückgegangen ist. "Einzelne Führungspersonen sind ganz offensichtlich an ihrem asketischen Ideal gescheitert und so etwas hat natürlich eine starke Wirkung auf die Außenwelt", erklärt Dr. Michael Utsch. Der Psychologe arbeitet für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin und beschäftigt sich schon lange mit östlichen Religionen.
Eine weitere Abspaltung des Hinduismus, die ebenfalls von einem indischen Guru ins Leben gerufen wurde, ist die Osho-Bewegung. Ihr Gründer, Rajneesh Chandra Mohan (1931 - 1990), nannte sich zunächst "Bhagwan", der Erleuchtete. Kurz vor seinem Tod änderte er seinen Namen in "Osho", der Priester. Er wurde in den westlichen Ländern vor allem bekannt, nachdem in den 1970er-Jahren viele Europäer und Nordamerikaner seinen Ashram in Poona besuchten.
Westliche Psychologie und östliche Spiritualität
Osho hat das klassische Selbstverständnis der Sannyasins (Sanskrit für "Mönche") umgedeutet. Doch trotz einer äußerst umfangreichen Anzahl von selbst verfassten Schriften, gibt es keine allgemein gültige Lehre in der Osho-Bewegung. Markantestes Merkmal ist aber die Verbindung von westlicher Psychologie und östlicher Spiritualität - eine Mischung, die in Deutschland offenbar nach wie vor gut ankommt, erklärt Michael Utsch. Der Psychologe führt die anhaltende Nachfrage vor allem auf eine weit verbreitete Unsicherheit und den Werteverfall in den westlichen Ländern zurück: "In dieser Situation suchen die Menschen einen übergreifenden Entwurf. Und da sind religiöse Gurus oder Meister nach wie vor sehr gefragt."
Als Hindu wird man geboren
Das Interesse am Hinduismus als eigentlichem Ursprung der oben genannten neuen religiösen Bewegungen ist in Deutschland allerdings eher gering. Der Religionswissenschaftler Dr. Bertram Schmitz begründet dies vor allem mit der starken Verwurzelung des Hinduismus im südasiatischen Gesellschaftssystem. "Rein formell kann nur Hindu sein, wer in eine bestimmte Kaste geboren wurde. Ein Übertritt zu ihrer Religion ergibt für Hindus keinen Sinn", erklärt Schmitz. Darum sei ihm auch kein Deutscher bekannt, der sich zum klassischen Hinduismus bekenne.
Hinduistische Elemente im Alltag
Einzelne Elemente des Hinduismus haben allerdings sehr wohl Eingang in westliches Denken gefunden - zum Beispiel Ayurveda, Yoga oder Meditation. Wer mehr wissen möchte, kann eines der vielen Feste in hinduistischen Tempeln besuchen. So feiern beispielsweise jedes Jahr Inder aus ganz Deutschland in Köln die "Durga Puja" - ein dreitägiges Fest zu Ehren der Göttin Durga. Unter den rund 500 Besuchern sind auch zahlreiche Deutsche. Meist werden sie von Menschen wie Margarethe Chatterjee eingeladen, die mit einem Inder verheiratet ist. Ihren Bekannten hat sich durch den Tempelbesuch eine neue Welt erschlossen, "denn im Vergleich zu den christlichen Gottesdiensten ist hier alles viel bunter und lauter".