Alte Menschen beklagen schon mal, dass jüngere immer weniger wissen. Das ist nicht neu und schlägt in dieselbe Kerbe wie das Unken über schlechtes Benehmen oder einen Mangel an Respekt. Wer Letzteres im Internet recherchiert, wird nicht lange brauchen, bis er oder sie bei babylonischen Tontafeln oder Sokrates landet. Ein breites allgemeines Wissen war vor mehr als 2.000 Jahren noch nicht das große Thema, ist mittlerweile aber häufiger Gegenstand der Kritik.
Differenzierung zwischen Bildung und Wissen
Jüngstes Beispiel: TV-Star Heiner Lauterbach (71) beklagte am Wochenende in einem Interview mit "t-online": "Wenn ich mit meinen Kindern über Karl den Großen oder Konrad Adenauer sprechen möchte, wissen sie oft nicht, wer das ist." Der 71-Jährige dürfte dabei bewusst überspitzt haben, kritisierte jedoch, dass heute eben viel Wissen als unnötig angesehen werde, "weil man es googeln kann". Außerdem weise das deutsche Bildungssystem "massive Defizite" auf.
Marco Berscheidt, Mathe- und Geschichtslehrer am Städtischen Gymnasium in Wermelskirchen, ärgert sich bei seinen Schülern zuweilen über Wissenslücken. Der 41-Jährige sagt aber auch, dass man zwischen Wissen und Bildung differenzieren müsse: "Sicherlich ist das Wissen, das Heiner Lauterbach gelernt hat als Schüler ein anderes als das, was heute vermittelt wird."
Es ist ein typischer Generationenkonflikt, dass Wissen, das sicherlich vor etlichen Jahren noch zum gesicherten Wissen gehörte, heute nicht mehr die große Rolle spielt. Lehrer Marco Berscheidt
Da seine Schüler "jede Art von Wissen jederzeit verfügbar haben durch das Internet", seien andere Fragen wichtiger als das aus dem Kopf abrufbare Wissen: "Sind sie in der Lage echtes Wissen, richtige Informationen von falschen Informationen unterscheiden zu können in der Informationsflut des Internets?" Weiter gehe es darum, ob sie dieses Wissen zu ihrer persönlichen Weiterentwicklung nutzen - "um sich in dieser Welt orientieren zu können".
Bildungsexperte: Mit jeder neuen Generation wird Wissen aussortiert
Das reine Auswendiglernen werde ein Stück weit ersetzt, aber gewisse Inhalte müssten auch heute noch verfügbar sein, so der Gymnasiallehrer. Der Journalist und Bildungsexperte Armin Himmelrath ist davon überzeugt, dass Adenauer zu diesen Inhalten gehört: "Es ist schon ganz gut, wenn man ein paar Namen der Weltgeschichte, ein paar Ereignisse im Kopf hat und die nicht jedes Mal erst über eine Suchmaschine eintippen muss." Das helfe, um Dinge "schnell einzuordnen".
Was man letztlich zur "Allgemeinbildung" zähle, hängt laut Himmelrath aber auch stark von der Zeit ab, aus der man kommt. Für Lauterbach könne dies eben Adenauer sein, für jüngere Menschen eher Wissen über Social Media. Für den Journalisten ist das eine normale "Verschiebung" von Wissen: "Das passiert mit jeder Generation. Es gibt immer wieder neues Wissen, was dazukommt. Es gibt altes, was so hinten runterfällt und aussortiert wird." Dazwischen bewege sich Lauterbach gerade: "Da muss der durch."
Man muss als Jugendlicher natürlich wissen, wie gehe ich mit Nachrichten aus dem Netz um. Armin Himmelrath, Journalist und Bildungsexperte
Ein gewisses Grundgerüst an unmittelbar abrufbaren Wissen (ohne Suchmaschine) sei auch deswegen wichtig, um sich vor Manipulation zu schützen, sagt Himmelrath. Überlasse man zu viel den Suchmaschinen im Internet sei es "deutlich leichter, mir was unterzujubeln, was gar nicht stimmt." Jugendliche sollten wissen, wie Informationen "beeinflussbar" und "fälschbar" seien.
Bei Bildungsstudien sind Jugendliche und Erwachsene Durchschnitt
Ob es um das Wissen in Deutschland so schlecht bestellt ist, wie Lauterbach annimmt, ist wohl Ansichtssache. Nimmt man etwa die PISA-Studie, welche die Kompetenzen von 15-jährigen Jugendlichen in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen testet, als Gradmesser für Allgemeinbildung, scheint der Schauspieler einen wunden Punkt zu treffen. Dort sanken die Leistungen 2022 auf das niedrigste Niveau seit Beginn der PISA-Erhebung im Jahr 2000 - Deutschland landete knapp über dem OECD-Durchschnitt.
Ein exklusiv jugendliches Bildungsproblem scheint dies jedoch nicht zu sein, da 16- bis 65-Jährige Deutsche in der vergleichbaren PIAAC-Studie der OECD von 2023 auch nur über dem Durchschnitt, aber nicht auf einem Spitzenplatz liegen.
Unsere Quellen:
- Gespräch mit Lehrer Marco Berscheidt vom Städtisches Gymnasium Wermelskirchen
- Gespräch mit dem Journalisten und Bildungsexperten Armin Himmelrath
- Statistisches Bundesamt "Pisa-Studie 2022"
- Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Interview mit Heiner Lauterbach bei t-online