Der frühere US-Präsident Donald Trump muss sich im Zusammenhang mit dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol vor Gericht verantworten. Den veröffentlichten Gerichtsunterlagen zufolge werden dem Republikaner vier Anklagepunkte zur Last gelegt in Verbindung mit dem Versuch, das Ergebnis der Präsidentenwahl 2020 zu kippen.
Dritte Anklage wegen einer Straftat
Die Anklagepunkte lauten: Verschwörung zum Betrug an den USA, Verschwörung zur Behinderung der Beglaubigung des Wahlsieges von Präsident Joe Biden am 6. Januar 2021, Behinderung und Verschwörung gegen das Wahlrecht.
Es ist bereits die zweite Anklage auf Bundesebene gegen den 77-Jährigen und die insgesamt dritte Anklage wegen einer Straftat. Der Politikwissenschaftler Tobias Jäger von der Universität Köln ordnet im Interview die Vorgänge ein.
WDR: Was bedeutet diese neue Anklage für Trump?
Professor Thomas Jäger: Er wird nun eines Verbrechens angeklagt, das noch einmal eine andere Qualität hat als die beiden vorangehenden Anklagen gegen ihn. Die erste Anklage bezieht sich auf die Schweigegeldzahlungen, die er geleistet haben soll. Also etwas, das angeblich im Wahlkampf vor seiner Präsidentschaft stattfand. Und die zweite Anklage bezieht sich auf die entwendeten Regierungsdokumente, die bei ihm gefunden wurden – also auf ein mögliches Verhalten nach seiner Präsidentschaft.
Die neue, dritte Anklage zielt nun auf den Kern der politischen Identität der Vereinigten Staaten. Nämlich darauf, dass das Wählervotum akzeptiert wird und danach die Macht friedlich von einem Präsidenten auf den nächsten übergeht. Ihm wird vorgeworfen, genau diese Abläufe aushebeln zu wollen, indem er gegen sein Wissen behauptet hat, dass die Wahl nicht korrekt gewesen sei.
Das ist ein Vorwurf, der weit schwerer wiegt als die anderen beiden, und der ihn als jemanden darstellt, der die Verfassung der Vereinigten Staaten mit Absicht mutwillig brechen wollte.
WDR: Was droht Trump bei dieser dritten Anklage?
Jäger: Bei einem Schuldspruch liegt die Höchststrafe bei 20 Jahren Haft. Jetzt muss man aber erstmal abwarten, was dieser Prozess erbringt. In der Anklageschrift wird zwar detailliert aufgeführt, wen Trump wann darüber informiert hat, dass er bewusst Lügen verbreitet, wenn er sagt, die Wahl sei anders ausgegangen. Dennoch wird die Trump-Verteidigung wohl anführen, dass es sich hier um das Recht auf freie Rede handele. Und man wird versuchen nachzuweisen, dass er dies nicht besseren Wissens und in der Absicht einer Verschwörung mit anderen gesagt hat.
Was juristisch läuft, müssen wir abwarten. Parallel läuft eine politische Auseinandersetzung, die Trump nutzt, um die republikanische Anhängerschaft hinter sich zu scharen, indem er nämlich behauptet, dies sei ein politischer Prozess. Dies sei, wie er es nennt, eine Hexenjagd. Die Justiz würde als politische Waffe gegen ihn eingesetzt.
WDR: Ist denn an Trumps Argumentation etwas dran?
Jäger: Es ist ein unglückliches Zusammentreffen, dass Trump, während er angeklagt wird, der unangefochtene Front-Runner im republikanischen Bewerberfeld ist. Er hat um die 55 Prozent Zustimmung und der Abstand zum zweitplatzierten Ron DeSantis - der etwa bei 18 Prozent liegt - ist immens.
Sodass man das Argument konstruieren kann: Es geht der Regierung Biden darum, Trump als Kandidaten zu verhindern. Dieses Argument wird er machen können, und seine Anhänger werden genau das glauben.
Aber wenn man den Ablauf betrachtet, wie die Ereignisse vom 6. Januar 2021 aufgearbeitet wurden, sieht man: Es läuft ein juristisches Verfahren ab. Zuerst waren die Anhörungen im Kongress, dann wurde ein Sonderermittler ernannt, der jetzt Anklage erhoben hat.
Die dritte Anklage steht in der Spannung zwischen diesen zwei Ebenen: Auf der einen Seite ist es ein juristisches Verfahren, auf der anderen Seite geht es um eine politische Auseinandersetzung.
WDR: Was bedeutet die Anklage für Trumps Kandidatur?
Jäger: Sie nützt ihm momentan. Schon nach den ersten beiden Anklagen war sichtbar, dass die Zustimmung zu Trump unter den Republikanern gestiegen ist. Und auch hier hat es den Anschein, dass er seine Anhänger noch fester an sich binden kann, in dem er dem politischen Gegner – nämlich der derzeitigen Regierung – zum Feind erklärt. Man muss nun sehen, wie die unabhängigen Wähler reagieren, ob diese sich jetzt in größerer Zahl von Trump abwenden.
Die Anklage verhindert jedenfalls nicht, dass Trump kandidieren kann. Der Prozess wird mutmaßlich irgendwann 2024 beginnen und - wie die anderen beiden Prozesse - in der heißen Wahlkampfphase stattfinden. Das wird die Dynamik des Wahlkampfs mit Sicherheit verändern.
Das ist für Trump ein Vorteil in seiner Partei, wo sich kaum mehr jemand gegen ihn stellt. In der Präsidentschaftswahl ist es jedoch möglicherweise für ihn ein Nachteil. Das hängt davon ab, wie die jeweiligen Wählergruppierungen mobilisiert werden können und vor allem wie sich unabhängige Wähler entscheiden.
WDR: Könnte Trump - trotz der Anklage oder sogar bei einer Verurteilung - Präsident werden, falls er gewählt wird?
Jäger: Ja, die Anklage verhindert nicht, dass er Präsident werden könnte. Auch ein Urteil würde das nicht verhindern. Und das scheint ja Trumps Ziel zu sein: die Präsidentschaft, um sich selbst zu begnadigen.
Das Interview führte Dominik Reinle.