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Wähler: Was wir uns von der neuen Bundesregierung wünschen
Stand: 24.02.2025, 19:45 Uhr
Was wünschen sich Menschen am Tag nach der Bundestagswahl von der neuen Regierung? Eine Frage, die man am Tag nach einer Bundestagswahl überall im Land stellen könnte. Wir haben sie Menschen in Mönchengladbach gestellt, weil die Ergebnisse hier denen im Bund sehr ähneln.
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Mönchengladbach am Niederrhein, ganz im Westen von Nordrhein-Westfalen. Es ist der Tag nach der Bundestagswahl. Auf den Plätzen stehen sie noch, und an den Straßenlaternen und -schildern hängen sie noch. Die Kandidaten, wie zum Beispiel Direktkandidat Günther Krings von der CDU, CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Direktkandidatin Gülistan Yüksel von der SPD - und all die anderen.
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Wahlplakate in Rheydt
Von ihren Plakaten blicken die abgebildeten Kandidaten wie stille Beobachter auf das Treiben in der Stadt. Viele Läden stehen leer. "Karstadt" steht noch an einem großen weißen Gebäude, aber Karstadt gibt es nicht mehr. Inzwischen ist ein Non-Food-Discounter eingezogen. Auf dem großen Platz vorm Rathaus vertreiben sich Menschen die Zeit.
Mönchengladbach wählte fast wie der Bund
Wir sind am Tag nach der Bundestagswahl in Mönchengladbach unterwegs, um Menschen zu fragen, was sie sich von einer neuen Regierung wünschen. Eine Frage, die man am Tag nach einer Bundestagswahl überall im Land stellen könnte. Wir stellen sie hier, weil sich die Ergebnisse so ähnlich sind. Mönchengladbach zeigt ein typisches Wahlverhalten für Deutschland im Jahr 2025.
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Das Rathaus in Mönchengladbach-Rheydt
Der einzige deutliche Unterschied: Die CDU ist traditionell etwas stärker vertreten als im Bundesdurchschnitt. Auch dieses Mal. Außerdem ist Mönchengladbach urban und ländlich. Es gibt 44 Stadtteile. Manche davon sind reich, andere sind weniger reich. In der Stadt leben 150 Nationen.
So hat Mönchengladbach gewählt
Sahra Wagenknecht vom BSW hat es erwischt. Irgendjemand hat ihr Plakat vollgekritzelt. Aber Sahra Wagenknecht hat es auch noch anders erwischt: Ihre Partei ist nicht mehr im Bundestag vertreten. Gescheitert an der Fünf-Prozent-Hürde. Auch in Mönchengladbach kam sie nicht über die fünf Prozent. Etwa 270.000 Menschen leben in Mönchengladbach.
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Schmiererei auf einem Plakat vom Bündnis Sahra Wagenknecht am Markt
Die Wahlberechtigten haben bei der Bundestagswahl 2025 mit ihrer Zweitstimme sehr ähnlich gewählt wie durchschnittlich das gesamte Bundesgebiet. Die Ergebnisse spiegeln weitgehend den bundesweiten Trend wieder, mit der CDU als stärkster Kraft, gefolgt von SPD und AfD. Besonders die Werte für die kleineren Parteien wie FDP (4,6 %), BSW (4,6 %), Grüne (10 %) und Linke (9,5 %) liegen nahe am Bundesschnitt.
Tür an Tür mit der migrantischen Community
Nicht weit vom Rathaus in Mönchengladbach-Rheydt hat Volker Tietze am Montagmorgen seinen Laden aufgeschlossen. Um ihn herum haben viele Migranten ihre Läden. Volker Tietze lächelt freundlich. "Ich mag meine Nachbarn", sagt er.
Volker Tietze ist Fotograf. 1986 machte er seine Meisterprüfung. Er führt ein kleines Fotostudio, "einen Kleinstbetrieb", wie er sagt. Volker Tietze ist nicht ganz so gut drauf am Montag nach der Bundestagswahl. "Ich bin einer von den Gelben“, sagt er. Gelb, das ist die Farbe der FDP. Auch die hat mit Spitzenkandidat Christian Lindner die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft.
Was wird jetzt aus dem Liberalismus?
Der Liberalismus bedeute für ihn "Freiheit in Entscheidungen". Er wolle selbst bestimmen, wie er sein Geschäft führt, ohne dass der Staat zu viele Regeln vorschreibe. Das heißt auch: Weniger Formulare und weniger Bürokratie ertragen müssen. Er sitze inzwischen mehr am Schreibtisch, um zu dokumentieren, Abrechnungen zu machen und Zettel zu sortieren, als er fotografiere. Tietze ist gerne Fotograf. Er fotografiert Menschen, Hochzeiten, Feste und auch Hunde. Er hat selbst zwei. Sie sind immer bei ihm.
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Fotograf Volker Tietze mit seinen beiden Hunden in seinem Fotostudio
Volker Tietze fragt: "Wer steht dafür jetzt, wenn die FDP aus dem Bundestag ausgeschieden ist?" Die FDP sei eine Partei, die Interessen von Selbständigen vertritt. Diese Interessen dürften jetzt nicht vergessen werden, wenn die FDP nicht mehr da ist.
Außerdem wünscht er sich, dass die Politik etwas dagegen tut, dass Anschläge wie in Magdeburg, Aschaffenburg oder München passieren. Volker Tietze sagt: "Deutschland braucht Migranten." Aber an der Grenze, da sollte man schon genauer hinschauen: "Wer kommt rein? Wer hat Papiere?" Wer keine Papiere hat, der dürfe auch nicht mehr rein. Da müsse mehr Kontrolle sein.
"Wie wollt ihr das denn schaffen ohne Migranten?"
An der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite warten zwei junge Frauen auf den Bus. Sie wollen ihre Nachnamen nicht sagen, nur die Vornamen. Sie heißen Randa und Angelina. Ob die Politik etwas für sie tun kann? Sie sind sich nicht sicher, ob sie da viel erwarten können. "Aber gut wär' das schon."
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Angelina und Randa sagen, es dürfe nicht alles immer teurer werden
Randa ist 17 Jahre alt und macht eine Ausbildung zur Verkäuferin in einer Supermarkt-Kette. Randa sagt, sie wünsche sich, "dass alles nicht mehr so teuer ist. Es kann nicht sein, dass wir schuften und schuften und das trotzdem nicht reicht."
Angelina, 18 Jahre alt, arbeitet in einem Krankenhaus. "Bei uns arbeiten so viele Menschen aus so vielen Ländern", sagt sie. "Die AfD will viele von denen aus Deutschland raushaben. Aber wie wollt ihr das denn schaffen in Deutschland, wenn wir alle nicht mehr da sind? Das funktioniert doch gar nicht."
"Meine Mädchen sollen auch weiter alles werden können, was sie wollen"
Ein paar Kilometer weiter verlässt gerade Sarah Schweden das Pfarrbüro der "Gemeinschaft der Gemeinden Rheydt West - Pfarrei Herz Jesu". Sie hat Feierabend. Sie arbeitet hier in der Verwaltung, fährt jetzt nach Hause zu ihren Kindern. Sie ist 36 Jahre alt und hat zwei Töchter — sechs und acht Jahre alt.
Wenn sie an die Ergebnisse der Bundestagswahl denkt und dann an ihre Mädchen, dann mache sie sich Sorgen, wie die Zukunft wohl werden könnte. Sarah Schweden sagt: "Wir haben zuletzt so viel erreicht in den letzten Jahrzehnten, in den letzten Jahren." Sie meint damit: Frauenrechte, Gleichberechtigung, Rechte von queeren Menschen und so weiter.
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Sarah Schweden arbeitet im Pfarrbüro und hat zwei Töchter im Grundschulalter
All das stehe jetzt auf dem Spiel. Sarah Schweden wünscht sich, dass ihre Töchter wie ihre Generation in einer Welt aufwachsen können, in der Frauen weiterhin alles werden können. Aber es gebe eine Partei, die wolle das nicht: die AfD. Etwa jeder Fünfter wählte sie bei der Bundestagswahl.
Welche Probleme gibt es in Mönchengladbach, die es auch im Bund gibt und hier vor Ort? Sarah Schweden denkt nach. Jugendkriminalität sei so ein Problem in der Stadt. Kriminalität überhaupt. Sie wünsche sich, dass da etwas getan wird: "Für mehr Sicherheit." Dann spricht sie direkt weiter und kommt auf Migration. Nicht Migration sei das Problem in Deutschland, sondern Integration. "Wir müssen alle mehr tun für Integration."
In der Klasse sitzt ein Kind, das spricht nicht Deutsch
Sarah Schweden will, dass alle Menschen arbeiten dürfen, die in Deutschland leben, dass Migrantinnen und Migranten bessere Chancen bekommen, auch wenn es darum gehe, Deutsch zu lernen. Das fange in der Schule an. "In der Klasse meiner Tochter sitzt ein Mädchen, das spricht kein Deutsch. Es sitzt im Unterricht und versteht nichts. Das tut mir in der Seele weh", sagt Schweden. Wie so etwas sein kann, fragt sie.
Und dann sei ihr noch etwas besonders wichtig: Die Politik dürfe Organisationen, die sich um Integration bemühen und Soziales kümmern, nicht im Stich lassen. Auch die katholische Kirche leiste da viel. "Wir bekommen Geld vom Bistum, das Geld kommt über die Kirchensteuer rein. Aber immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, damit wird unser Geld immer weniger." Die Politik dürfe Einrichtungen wie ihre nicht hängen lassen.
Was wird jetzt aus der Klimapolitik?
Wir fahren weiter durch Mönchengladbach. In Giesenkirchen auf einem Schotterparkplatz treffen wir Matthias Birrewitz, 42 Jahre, einen Familienvater. Er hat drei Kinder und ist mit einem E-Auto unterwegs. "Die letzten Jahre waren gut“, sagt er. Deutschland habe einen großen Schritt nach Vorne gemacht bei erneuerbaren Energien. In Mönchengladbach sei die Infrastruktur zum Laden von Elektroautos schon ganz gut. Aber jetzt, nach der Bundestagswahl, fragt er sich: "Was wird aus der Klimapolitik?"
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Matthias Birrewitz fährt E-Auto
Schon im Wahlkampf sei Klimapolitik viel zu wenig beachtet worden. Er befürchtet, dass da "jetzt nicht mehr viel kommt". Er sagt: "Merz traue ich da nicht viel zu." Die Frage ist für ihn auch auch beruflich wichtig. Matthias Birrewitz arbeitet für den örtlichen Energieversorger. Bei seinem Arbeitgeber herrsche Unsicherheit. "Für uns spielt es eine große Rolle, wie wir uns aufstellen, je nachdem, was von der Regierung kommt."
Birrewitz steigt ins Auto und fährt weg, kurze Zeit später parkt an derselben Stelle ein älterer Herr. Reiner Finken ist 87 Jahre alt, steigt aus. In der Hand hat er einen Krückstock. "Von der neuen Bundesregierung verspreche ich mir, dass die besser miteinander umgehen als die Politiker in der vorherigen Regierung", sagt Reiner Finken. Diskussionen sollten wieder möglich sachlich ablaufen.
Reden und ein gutes Miteinander, das sei wichtig. Innerhalb von Deutschland, in Europa, und auf der ganzen Welt. Auch mit den Russen, mit Putin, müsse man wieder reden, so Finken. Der Rentner kam 1937 zur Welt. Er will nicht, dass Menschen wieder Kriege erleben müssen.
Erfahrungen der Kriegsgeneration
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Reiner Finken hat als Kind in Mönchengladbach den Bombenkrieg erlebt
"Ich habe den Krieg als Bombenkrieg hier erlebt in Mönchengladbach. Eine schlimme Situation war das. Manchmal saßen wir im Keller, es hagelte Bomben. Wir wussten nicht, ob wir je wieder aus diesem dem Keller rauskommen". Einmal, erzählt er, habe er auf dem Bauernhof seiner Großeltern gespielt. Ohne Vorwarnung, aus dem Nichts, seien Bomben abgeschmissen worden. Auch der Bauernhof der Großeltern sei getroffen worden. Es habe Feuer gegeben. "Dann brannten die Kühe", so Finken.
Es sind Bilder, die sich eingebrannt haben, auch in sein Gehirn. Ein anderes Mal sei ein Flugzeug abgestürzt. "Die Piloten konnten sich zunächst mit dem Fallschirm retten", erzählt er. Aber nur für ein paar Meter. "Sie wurden noch in der Luft erschossen." Ihre Leichen schlugen auf den Boden auf. Der junge Reiner Finken sah ihre toten Körper. Das sei der Grund, warum er später den Kriegsdienst verweigert habe. Streit habe es darüber gegeben mit Verwandten und Bekannten. Für ihn sei es aber die einzig richtige Entscheidung gewesen.
Dann erzählt Finken von seinem Vater. Der sei in Kriegsgefangenschaft in Sibirien gewesen. Erst drei Jahre nach dem Krieg sei er zurückgekommen. Seine Mutter sei mit seinem kleinen Bruder und ihm ganz alleine gewesen, habe versucht, alle irgendwie durchzubringen.
Gladbacher Glocken läuten nahe des Kremls
In der Gefangenschaft, sagt Reiner Finken, habe der Vater gehungert. "Aber nachts, wenn die Wachleute ihren Rausch ausschliefen, brachten die Menschen den Kriegsgefangenen heimlich Brot. Manchmal war es die letze Scheibe." So habe der Vater es ihm geschrieben. Deshalb sagt Reiner Finken heute: "Die russische Seele ist im Kern gut."
Reiner Finken sagt dann noch etwas, dass Russland und Mönchengladbach verbindet und ihn hoffen lässt an diesem Tag. Es ist nicht nur der Tag nach der Bundestagswahl, sondern auch der dritte Jahrestag des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine.
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Die Herz-Jesu-Kirche ist heute eine Wohnkirche, die Glocken läuten nun in Moskau
Finken erzählt von den Glocken der Herz-Jesu-Kirche in Rheydt. Die Kirche ist inzwischen entweiht und eine Wohnkirche. Ihr Glocken wurden abgebaut und nach Moskau gebracht.
Sie läuten in der evangelischen Kathedrale St. Peter und Paul in Moskau, nicht unweit des Kremls. Reiner Finken wünscht sich, dass die Menschen im Kreml diese Kirchen-Glocken hören. Und, dass es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und auf der Welt friedliche Zeiten gibt. Auch dafür solle die nächste Bundesregierung alles nur mögliche tun.
Unsere Quellen:
- Reporterin vor Ort
- Bundeswahlleiterin
- Website der Stadt Mönchengladbach