Es sind schreckliche Bilder, die uns nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien erreichen. In der Türkei sollen mehr als 1.700 Gebäude eingestürzt sein. Wieso haben diese Beben solch eine Zerstörung angerichtet? Wurde alles unternommen, um die Gebäude erdbebensicher zu machen?
"Erdbeben kann man nicht vermeiden", sagt Bauingenieurin Lamia Messari-Becker im WDR-Interview. Die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik betont aber: "Was wir tun können, ist am Boden die bebaute Umwelt, die Gebäude, die Straßen, die Brücken, die Infrastruktur eben so zu bauen, dass im Ernstfall die Menschen evakuiert und die Schäden minimiert werden können."
Eine Garantie, dass Häuser bei einem Beben wie in der Türkei und Syrien nicht einstürzen, kann niemand geben. Expertinnen und Experten sprechen deshalb von "erdbebengerechtem" Bauen. Man könne dadurch das Risiko lediglich minimieren, sagt Oliver Heidenreich vom Deutschen GeoForschungsZentrum.
Der achtjährige Yigit Cakmak ist wieder mit seiner Mutter vereint. Rettungskräfte im türkischen Hatay hatten den Jungen zuvor aus den Trümmern gerettet - nach 52 Stunden.
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Welche Materialien sind erdbebensicher?
Erdbebenschutz beginnt beim Baumaterial. Holz gilt als erdbebensicher, genau wie Bambus. Minderwertige Betonhäuser hingegen können wie Kartenhäuser in sich zusammenklappen. Auch Ziegel und Lehmbauten sind bei Erdbeben extrem einsturzgefährdet. Zudem sind Ziegel schwer und können Menschen im Falle eines Bebens erschlagen.
Gebäude aus Beton könnten aber auch erdbebengerecht gebaut werden. Wichtig dafür sei, dass sie stabil gebaut seien, aber noch eine "gewisse Flexibilität" hätten, so Messari-Becker. Bewusst könnten kleine Sollbruchstellen eingebaut werden, damit ein Gebäude an bestimmten Punkten Schaden nimmt, aber nicht sofort zusammenbricht. Flexible Gebäude sollen "Erdbebenwellen reiten".
Hochhäuser werden in der Regel mit flexiblen Stahlstrukturen gebaut. Das bedeutet: Im Falle eines Erdbebens sollen sie den Wellen nachgeben und schwingen - und somit nicht brechen.
Laut Experten ist außerdem der Abstand zu umliegenden Gebäuden wichtig. Sollten Gebäude direkt aneinander gebaut sein, können sich Schwingungen übertragen. Auch die Form des Gebäudes spielt laut Bauingenieuren eine Rolle dabei, wie anfällig es bei einem Beben sein kann. Symmetrisches Bauen wird hierbei empfohlen.
Es komme auch darauf an, wie der Boden beschaffen sei, erklärt Bauingenieurin Lamia Messari-Becker: "Haben wir es mit Granitstein, Sedimentboden oder Sandboden zu tun?" Hier stelle sich auch die Frage, welches Fundament gewählt worden sei und mit welcher Tiefe.
Es gibt bereits fortschrittliche Technik, die Gebäude bei Erdbeben "abfedern" kann. In einigen Ländern erkennen Sensoren ein Beben und ein Kompressor pumpt Luft zwischen zwei Platten unter dem Sockel des Gebäudes. Es gibt auch Wolkenkratzer, in deren Inneren sich Schwingungsdämpfer befinden. Bewegt sich das Hochhaus, schwingt der Dämpfer in der entgegengesetzten Richtung mit.
Wie kann man alte Gebäude nachrüsten?
Es gibt die Möglichkeit, ältere Gebäude nachträglich zu stabilisieren, zum Beispiel mit Stahlankern und Stützen. Auch Stoßdämpfer unter den Häusern können eine Lösung sein. Diese sind aber teuer. Gewebe aus Textil, Glasfasern, Plastiknetzen und Nylon kommen ebenfalls infrage, um Ziegel in Altbauten zusammenzuhalten. Zum Beispiel in Haiti wird auf Naturfasern wie Banane oder Bambus gesetzt.
Wie gut ist der Erdbebenschutz in der betroffenen Region?
Mit Blick auf die vielen eingestürzten Häuser in der betroffenen türkischen Region, meinte Mohammad Kashani, außerordentlicher Professor für bauliches- und Erdbeben-Ingenieurswesen an der University of Southampton in Großbritannien, die Gebäude seien für ein Beben dieser Stärke nicht ausgelegt gewesen.
Im Bestand sei es immer eine Frage des Geldes, weiß auch Lamia Messari-Becker. Dann sei es schwer, etwa an die Fundamente zu kommen, die Wände aber könne man zum Beispiel nachrüsten und verstärken.
Wurden Bauvorschriften eingehalten?
Die Türkei hat seit dem Erdbeben 1999 in Izmit, bei dem mehr als 17.000 Menschen starben, strengere Bauvorschriften. Häuser, die nach 1999 gebaut wurden, gelten als erdbebensicher. Allerdings haben dort viele ältere Gebäude Ziegelwände und bestehen aus minderwertigem Beton.
Die Kritik an den türkischen Behörden im Umgang mit Bauvorschriften nimmt zu. Der Vorsitzende der türkischen Bauingenieurs-Kammer, Taner Yüzgec, warf der Regierung vor, sie habe bei öffentlichen Gebäuden nicht die vorgeschriebenen Erdbebenverstärkungen veranlasst.
Lamia Messari-Becker bescheinigt ihren türkischen Ingenieurs-Kolleginnen und Kollegen derweil ein "hohes Know-how". Auch sie fordert aber, die Arbeit der türkischen Behörden zu hinterfragen und unter die Lupe zu nehmen, ob die Bauämter ihrer Kontrollpflicht nachgekommen sind.
Die Untersuchungen der Bauvorschriften auch wirklich durchzuführen und die Einhaltung der Standards zu überprüfen, hätten ihre Ingenieurs-Kolleginnen und -Kollegen in der Türkei immer wieder gefordert, berichtet Messari-Becker. Der türkische Erdbeben-Experte Şükrü Ersoy erklärte dazu: "Alles über Stärke 5,5 macht uns Angst, denn unser Gebäudebestand ist mangelhaft."
Zu wenig Anpassung an das Erdbebenrisiko in der Türkei, kritisiert auch Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Die Türkei habe zu wenig gemacht, was erdbebensicheres Bauen angeht.
Es sei wichtig, auf die Türkei zu schauen, als ein Land, das wirklich extrem erdbebengefährdet sei, mahnt Yogeshwar. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, dass diese Katastrophe passiere, meint auch Bauingenieurin Lamia Messari-Becker. Die Region sei erst 2013 auf der Risikoskala hochgestuft worden.