Das Kölner Amtsgericht sah am Freitag (06.05.2016) keine Beweise dafür, dass der 26-Jährige in der Kölner Silvesternacht zu einer Gruppe gehört hatte, die eine Frau begrapscht und bestohlen haben soll. Das Opfer, eine 54-jährige Frau, hatte den Algerier in der Verhandlung nicht wiedererkannt. Das Verfahren gegen ihn war der erste Fall, in dem ein Sexualdelikt aus der Silvesternacht angeklagt war. Der Mann wurde unter anderem wegen Hehlerei zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Autoaufbruch gestanden
Der 26-Jährige war ursprünglich angeklagt, weil er am Kölner Hauptahnhof zusammen mit etwa zehn anderen Männern eine Frau umzingelt haben soll. Laut Anklage hatten mehrere Personen aus der Gruppe heraus das Opfer zwei bis drei Minuten lang begrapscht. In dem Getümmel soll der 26-Jährige der Frau das Handy gestohlen haben - die Polizei fand es später bei ihm. Das Handy habe er einem Bekannten abgekauft, sagte er vor Gericht.
Opfer erkennt Angeklagten nicht
Das 54 Jahre alte Opfer schilderte in der Verhandlung, wie es sich plötzlich von Männern umkreist fand: "Ich habe das als sehr bedrohlich empfunden." Überall an ihr seien fremde Hände gewesen. Später bei der Polizei hatte sie den 26-Jährigen anhand eines Fotos "mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit" identifiziert. Doch als sie den Mann in der Verhandlung sah, kam er ihr nicht bekannt vor. Die Staatsanwaltschaft ließ daraufhin den Vorwurf der sexuellen Nötigung fallen.
In Abschiebehaft
Auch einem wegen Raubes mitangeklagten 23-Jährigen konnte die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen, dass er Silvester einer Frau das Handy gestohlen hatte. Er wurde im Gerichtssaal ebenfalls nicht wiedererkannt. Das Amtsgericht verurteilte beide Männer letztlich zu Bewährungsstrafen von sechs Monaten wegen Hehlerei und eines gemeinschaftlich begangenen Autoaufbruchs. Auf freien Fuß kommen beide Männer, die in Untersuchungshaft gesessen hatten, aber nicht. Wie der Verteidiger des 26-Jährigen sagte, müssen beide in Abschiebehaft, weil sie sich in Deutschland nicht als asylsuchend gemeldet hätten.
Wenige Ermittlungserfolge für die Staatsanwaltschaft
Aller Voraussicht nach wird es im Zusammenhang mit den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln neben diesem einen Prozess lediglich einen weiteren geben. Dabei handelt es sich um den Fall eines 19-jährigen Marokkaners, der kürzlich in der Schweiz festgenommen wurde. Ihm wird sexuelle Nötigung und Raub vorgeworfen. Da sich der Mann noch in Auslieferung befinde, sei noch nicht Anklage erhoben worden, so die Staatsanwaltschaft Köln.
Über 1.100 Stunden Videomaterial gesichtet
Insgesamt sind nach den Vorkommnissen der Kölner Silvesternacht 492 Anzeigen wegen Sexualdelikten gestellt worden. Dass nach dieser hohen Zahl lediglich zwei Prozesse folgen, stimmt die Kölner Staatsanwaltschaft nicht glücklich. "Es sind über 1.100 Stunden Videomaterial gesichtet worden, aber auf Grund der schlechten Lichtverhältnisse und der verworrenen Situation vor Ort konnten wir nur wenige Ermittlungserfolge vorweisen", sagt Ulrich Bremer, Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Ähnliche Lage in anderen Städten
Ähnlich sieht es auch in Düsseldorf und Bielefeld aus. In den beiden Städten meldeten sich nach Silvester ebenfalls zahlreiche Frauen, die sexuell belästigt worden waren. In Düsseldorf gab es daraufhin 69 Anzeigen, die in den Bereich der Sexualdelikte fielen, in Bielefeld fünf. Das Resultat: In Düsseldorf wird aktuell vor dem Amtsgericht ein Prozess geführt. Dort muss sich ein Mann unter anderem wegen sexueller Nötigung verantworten. Weitere Anklagen wird es laut Düsseldorfer Staatsanwaltschaft nicht geben. Das einzige Verfahren, das in Bielefeld eingeleitet wurde, musste vorläufig eingestellt werden - der Aufenthaltsort des mutmaßlichen Täters konnte nicht ermittelt werden.
Die Bonner Rechtsanwältin Martina Loersch ist jedoch froh, dass in Köln zumindest dieser eine Fall verhandelt wurde. "Das ist keine Selbstverständlichkeit", sagte sie, "denn die überwiegende Zahl der Silvesterübergriffe wäre aus Sicht der bisherigen Rechtsprechung ohnehin nicht als erheblich angesehen worden."
Lücken im Strafrecht
Dass ähnliche Fälle wie der jetzt in Köln verhandelte nach der Reform des Sexualstrafrechts härter bestraft werden könnten, glaubt der Kölner Strafverteidiger Frank Langen nicht. Der Vorwurf, dass der Angeklagte sein Opfer oberhalb der Kleidung an Gesäß und Hüfte angefasst habe, werde zukünftig auch nicht reichen, um als sexuelle Nötigung angesehen zu werden. Rechtsanwältin Loersch will als Mitglied der Strafrechtskommission des Juristinnenbundes dafür kämpfen, dass für solche Handlungen wie den Griff ans Gesäß - aus ihrer Sicht eindeutig sexuell motiviert - im neuen Sexualstrafrecht noch eine besondere Strafrechtsnorm geschaffen wird. "Diese klaren Lücken im Strafrecht müssen geschlossen werden", sagte sie.