"Er hat mich geschlagen, er hat mich eingesperrt und vergewaltigt." Es war kein Fremder, der Agnes M. das alles angetan hat. Sie spricht von ihrem Ex-Mann. Dabei hatte alles ganz romantisch begonnen.
In ihrer Heimat Polen hat Agnes ihren späteren Ehemann kennengelernt, erzählt sie. Wenig später zog sie mit ihrer Tochter aus einer früheren Beziehung zu ihrem Partner nach Deutschland. Als sie wenig später von ihm schwanger wurde, heirateten die beiden.
Doch nach und nach habe ihr Mann sein wahres Gesicht gezeigt, erinnert sie sich. Er habe sich kaum unter Kontrolle gehabt, habe sie und den gemeinsamen Sohn oft geschlagen.
Nach Jahren des Leidens habe Agnes M. 2016 endlich die Trennung geschafft. Sie zeigte ihren Mann an und zog mit den Kindern in ein Frauenhaus. Ins Gefängnis kam ihr langjähriger Partner nie, er habe eine Bewährungsstrafe bekommen.
Inzwischen lebt Agnes M. im Bergischen Land und erhält Unterstützung durch den Opferschutz der Polizei. Ganz unbeschwert sei ihr Leben aber nicht. Sie lebe mit der Sorge, dass ihr Ex-Mann irgendwo auflauern könne.
Häusliche Gewalt: 70 Prozent der Opfer sind Frauen
Die Geschichte von Agnes M. ist einer von vielen Fällen häuslicher Gewalt in Deutschland. Die Zahlen von polizeilich registrierter häuslicher Gewalt steigen nahezu kontinuierlich an, in den vergangenen fünf Jahren um 19,5 Prozent. Das geht aus dem im Juni veröffentlichten Bericht des Bundeskriminalamts hervor.
256.276 Menschen in Deutschland wurden demnach im Jahr 2023 Opfer häuslicher Gewalt - 70 Prozent davon sind weiblich. Die meisten Opfer waren von Partnerschaftsgewalt betroffen (167.865 Personen), darunter 132.966 Frauen.
Diese Situation sei "völlig inakzeptabel", schreiben die Frauenrechts-Organisation Terre des Femmes und andere Organisationen in einem offenen Brief an die Bundesregierung, den sie am 19. September dieses Jahres veröffentlichten. Der Titel: "Frauen sind in diesem Land nicht sicher".
Bereits jeden zweiten Tag komme es in Deutschland "zum Mord einer Frau durch ihren (Ex-) Partner", so die Organisationen in ihrem Brief. Diese Zahlen bestätigt der BKA-Bericht. Die Zahl der Femizide ist demnach von 2022 auf 2023 gestiegen, von 133 auf 155.
Brandstiftungen und Drohungen in Essen
Wie gefährlich die Situation für betroffene Frauen und auch für deren Familie werden kann, zeigt der Vorfall, der sich jüngst in Essen ereignete, also etwa eine Woche nach dem offenen Brief der Organisationen. In Essen war ein 41-jähriger Mann festgenommen worden, nachdem er mutmaßlich zwei Wohnhäuser in Brand gesteckt hatte und mit einem Lieferwagen in zwei Geschäfte gefahren war. 31 Menschen wurden verletzt, 17 davon schwer und zwei Kinder lebensgefährlich. Der Tatverdächtige, der Anwesende auch mit einer Machete gedroht haben soll, sitzt in Untersuchungshaft.
Laut NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) seien die Taten "das Werk eines Mannes, welcher möglicherweise die Trennung seines Ex-Frau nicht verkraftet hat". Auch die Polizei und der Anwalt des Verdächtigen schilderten ein solches mögliches Motiv des gebürtigen Syrers. Es gebe einen "familiären Streit um das Umgangsrecht der Kinder", dieser sei eskaliert, so der Anwalt.
Die Trennung sei bereits drei Jahre her. Damals soll die Frau mit den drei gemeinsamen Kindern in ein Frauenhaus geflohen sein. Inzwischen habe sie einen neuen Freund. Als Reaktion habe der tatverdächtige Ex-Partner gezielt Wohnungen und Ladenlokale angegriffen, in denen Menschen wohnen und arbeiten, die seine ehemalige Partnerin unterstützen würden.
Gewalthilfegesetz bislang nicht verabschiedet
Die Taten in Essen seien "ein weiterer schrecklicher Fall von Partnerschaftsgewalt", schrieb Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) auf der Plattform "X". Man müsse Frauen und ihre Kinder besser vor Gewalt durch (Ex-) Partner schützen.
Doch wie kann das gelingen? Vielerorts fehlt es an Zimmer in Frauenhäusern, Personal und Präventionsmaßnahmen.
Bundesfamilienministerin Paus bringt auch deshalb jetzt wieder das sogenannte Gewalthilfegesetz ins Gespräch. Dieses hatte sie schon vor einem Jahr vorgestellt. Es soll jeder von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffenen Frau und auch ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung gewähren.
So richtig voran geht es dabei aber offenbar nicht. Das Gesetz befindet sich nach wie vor in der Beratung. Über die Finanzierung wird gestritten. Laut einer Sprecherin des Bundesfamilienministeriums sei es aber das Ziel, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Ob dies wirklich gelingt, daran zweifeln Kritikern.
Für das Gewalthilfegesetz sei noch kein offizieller Entwurf vorgestellt worden, sagt Dilken Çelebi vom Deutschen Juristinnenbund. So ein Gesetz solle alle Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt in Partnerschaften schützen, erklärt Çelebi auf WDR-Nachfrage.
Forderungen nach Schutzmaßnahmen für betroffene Frauen
Es brauche dringend ausreichende Schutzmaßnahmen für betroffene Frauen - das sagen die Organisationen um Terres des Femmes. Sie warten auf das Gewalthilfegesetz und fordern:
Das Gewalthilfegesetz, unter anderem mit der verlässlichen Finanzierung von Frauenhäusern, müsse "sofort auf den Weg gebracht" werden. Die beteiligten Organisationen fordern zudem: mehr Orte, an denen Frauen Schutz finden, mehr Beratungsangeboten, einen massiven Ausbau von Präventionsangeboten und Täterarbeit und auch die bundesweite Einführung der elektronischen Fußfessel zur Einhaltung und Überprüfung von Näherungsverboten. Denn Frauen seien ihren (Ex-) Partnern auch trotz eines im Vorfeld erteilten Kontakt- und Annäherungsverbots immer wieder "hilflos ausgeliefert", so Terres des Femmes.
Femizide im deutschen Recht nicht definiert
Die Bundeszentrale für politische Bildung kritisiert in einem Artikel von 2023 auch die Tatsache, dass Femizide - also die Tötung von Frauen im Kontext geschlechtsspezifischer Macht-, Kontroll- und Hierarchieverhältnisse - im deutschen Recht nicht juristisch definiert sind.
In der Gesetzgebung und Rechtsprechung finde der geschlechtsspezifische Hintergrund von Femiziden somit kaum oder wenig Anerkennung. Das führe dazu, dass diese Art von Tötungsdelikten seltener als andere Taten als Mord verurteilt werden - mit der Folge niedriger Haftstrafen für die Täter.
Deutscher Juristinnenbund: Vor allem Aufklärung ist wichtig
Der Deutscher Juristinnenbund (djb) bestätigt auf WDR-Anfrage, dass es aktuell im deutschen Recht keinen Straftatbestand und keine Definition für Femizide gibt. Einen Straftatbestand des Femizids hält der djb allerdings auch nicht für erforderlich. Eine strafrechtliche Definition sei nicht notwendig - dafür aber: "eine allgemeine Definition, um über das Phänomen geschlechtsspezifischer Gewalt auch in der Strafverfolgung aufzuklären".
Sensibilisierung für "Morde aus niedrigen Beweggründen"
Dilken Çelebi, die beim Deutschen Juristinnenbund Vorsitzende der Kommission Strafrecht ist, erklärt, warum das wichtig ist: "Wenn es mehr Wissen für das Phänomen von Femiziden geben würde, insbesondere deren Formen, dann könnte das dazu führen, dass Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender die geschlechtsspezifische Motivation hinter den Tötungsdelikten erkennen und entsprechend als Mord aus niedrigen Beweggründen einstufen würden, insbesondere bei Trennungstötungen." Denn hier sei die Motivation hinter den Taten nicht die Verzweiflung über die Trennung - entscheidend sei dass "Frauen von den Tätern abgesprochen wird, selbstbestimmt über das Eingehen oder Beenden einer Beziehung zu entscheiden."
Auch Natalie Djurkovic von der Aachener Initiative "Frauen helfen Frauen" wünscht sich, dass sich rechtlich etwas ändert und Frauen geschützt und Täter anders bestraft werden.
Unsere Quellen:
- Offener Brief der Organisation Terre des Femmes
- BKA-Bericht zur häuslichen Gewalt
- Bundeszentrale für politische Bildung
- Deutschlandfunk
- Aktuelle Stunde
- WDR-Reporter vor Ort
- Interview Dilken Çelebi, Juristin, Deutscher Juristinnenbund