"Für die Freiheit unseres Landes würden wir unser Leben opfern"

Stand: 05.12.2022, 12:00 Uhr

Zwei Iranerinnen haben dem WDR von ihrem Kampf gegen das Regime erzählt. Für die Freiheit ihres Landes riskieren sie ihr Leben.

Von den Protesten in Iran, die zuletzt immer brutaler niedergeschlagen wurden, zeugen oft nur private Handyvideos. Eines wurde dem WDR nun von zwei Deutsch-Iranern aus Duisburg weitergeleitet, die auch den Kontakt zum Kreis der Urheber:innen herstellen konnten.

Über das Video und über den aktuellen Stand der Proteste in Iran konnte der WDR mit einer Mutter und ihrer noch minderjährigen Tochter sprechen. Beide unterstützen von Beginn an aktiv die Protestbewegung. Damit und weil sie dem WDR von ihrer Situation erzählen, bringen sie sich in Lebensgefahr. Deshalb wurde das Interview anonymisiert.

WDR: Ihr Video zeigt, wie Demonstrierende während der Proteste fliehen müssen, in einen Hauseingang hinein. Dort sind Schüsse und Geschrei zu hören. Wie haben Sie die Situation erlebt?

Tochter: Das waren die ersten Proteste (Anm. der Red.: im Oktober, nach dem Tod von Mahsa Amini Mitte September). Wir hatten auf der Straße Feuer angezündet. Leute haben mit ihren Autos gehupt. Es ging darum, den Verkehr lahmzulegen und so die Regime-Kräfte abzulenken. Gegen elf Uhr ging es los und wir waren bis fünf Uhr abends da.

Proteste im Iran

Eine Aufnahme eines Protests in Teheran.

Mutter: Wir haben ständig die Position gewechselt…

Tochter: …weil die angerückt sind und ihre Leute dort stationiert haben. Sie haben uns in die Enge getrieben, wir mussten immer weglaufen. Als sie sahen, dass wir in ein Gebäude gerannt sind, zerbrachen sie das Glas der Eingangstür, steckten ihre Schrotflinten hinein und schossen. Mehrere von uns wurden verletzt. Ich habe etwas an meiner Hand abbekommen. Die Frau neben mir hatte vier Kugeln in den Händen, und ihr Mann, der bei uns war, hat Kugeln zusammen mit Glassplittern in den Bauch abbekommen.

WDR: Das war die erste Protestphase, wie Sie sagen. Wie ist es jetzt? Nehmen Sie immer noch an Demonstrationen teil?

Tochter: Ja, natürlich, wir sind immer noch auf der Straße. Es gibt mehr Solidarität. Die Zahl der Menschen, die auf der Straße sind, ist viel größer als zuvor. Ich weiß nicht, ob sich die Augen der Menschen jeden Tag mehr öffnen oder ob die Zahl der Leute, die wir verlieren, sie überzeugt, dass wir in die Hände einer sehr diktatorischen Regierung gefallen sind.

Mutter: Die Kids schreiben nachts meist Parolen an Häuserwände und verteilen Flugblätter oder Aufruf-Schreiben. Ich drucke die Sachen aus, lasse sie die mitnehmen und verteilen. Gerade bereiten wir uns wieder auf neue Proteste an insgesamt drei Tagen vor, bei denen hoffentlich viele dabei sein werden.

WDR: Sie riskieren dabei Ihr Leben. Sind Sie tatsächlich bereit, Ihr Leben zu opfern?

Tochter: Wir sind bereit, auf jeden Fall. Das heißt, wenn wir wissen, dass unser Land dadurch frei sein wird, wenn wir das tun.

Mutter: Wenn die Islamische Republik gestürzt wird, sind wir bereit, unser Leben zu opfern, bis die Islamische Republik gestürzt ist. Möge der Iran frei sein!

WDR: Haben Sie keine Angst?

Mutter: Es gibt Angst, wir können nicht sagen, dass es keine gibt. Vor allem wenn wir zusammen gehen. Als wir vor etwa einer Woche zusammen unterwegs waren, hatte ich dauernd Angst, dass meiner Tochter etwas zustößt oder sie erwischt wird. Ich habe versucht, sie immer an sichere Orte zu bringen. Trotzdem ist sie so mutig, dass sie sich direkt vor die Gefahr stellt.

Für die jüngeren Demonstrierenden scheint es keine Gefahr zu geben. Sie denken mehr an die Freiheit, die folgen wird. Aber wir haben doch Angst. Es gibt Sorgen über Sorgen um die Familie. Der Traum von Freiheit ist für uns aber wichtiger.

WDR: Auch Minderjährige sind verhaftet worden, manchen von ihnen droht jetzt sogar die Todesstrafe. Wie erleben Sie das?

Tochter: Ich kann sagen, dass es die jungen Leute waren, die mit den Protestdemos begonnen haben. Personen unter 18 Jahren oder höchstens bis 22, 23 Jahre. Nach und nach schlossen sich uns ältere Leute an. Viele von uns wurden verhaftet. Zwischen 15.000 und 18.000 Menschen sind bislang ins Gefängnis gesteckt worden, viele noch nicht volljährig. Viele wurden in Erziehungslager gebracht, andere als psychisch krank abgestempelt. Jedem haben sie etwas angehängt.

Da war zum Beispiel Sarina Ismailzadeh, ein 16-jähriges Mädchen, das durch einen Schlagstock starb. Es gibt immer wieder solche Situationen: Menschen, die verhaftet und verschleppt wurden, mit denen wir mindestens einmal gesprochen haben oder zusammen auf die Straße gegangen sind. Wir können manchmal gar nicht glauben, dass nun auch diese Person verloren gegangen ist.

WDR: Haben Sie auch schon an Flucht aus dem Iran gedacht?

Tochter: Sehr oft…

Mutter: …vor den Protesten. Ich denke schon seit vielen Jahren darüber nach, die Kinder ins Ausland zu schicken. Vor einigen Jahren dachte ich, dass wir drei dorthin gehen sollten. Dann sagte ich zu mir selbst, ich mag den Iran wirklich. Ich möchte nicht gerne auswandern. Die Kinder vielleicht, zum Studieren, Arbeiten, für ihre Zukunft. Aber dann, nach diesen ganzen Geschehnissen, habe ich erkannt, dass es im Iran einen Umbruch geben wird. Der Iran wird wie andere entwickelte Länder fortschrittlich sein.

WDR: Sie haben Hoffnungen auf Veränderung im Iran?

Mutter: Wenn die islamische Regierung gestürzt wird, wird alles besser.

Tochter: Unsere Hoffnung ist, dass unser Land frei wird. Hier verlieren wir nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch alles andere in unserem Land. Sie zerstören alles. Sie nehmen uns Wasser, Erde, Öl, Gas und alles andere weg und geben es anderen Ländern. Und das Geld kommt nicht bei uns an. Wir hatten hier vor diesen Protesten und bevor wir beschlossen haben, diese Situation zu ändern, keine Zukunft.

Sittenpolizei im Iran angeblich aufgelöst

Das Interview entstand vor ein paar Tagen. Inzwischen gibt es wieder Neuigkeiten aus dem Iran. Unter Berufung auf den iranischen Generalstaatsanwalt berichten Medien davon, dass die sogenannte Sittenpolizei aufgelöst wurde. Gemeint ist damit die Polizei, die die Einhaltung der staatlichen Kleidungsvorschriften überwacht.

Zur Erinnerung: Die Proteste im Iran wurden durch den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini ausgelöst. Sie wurde von der Sittenpolizei in Teheran festgenommen unter dem Vorwurf, ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit zu lose getragen zu haben.

Viele iranische Bürger und Iran-Experten halten die Meldung allerdings für ein Ablenkungsmanöver des Regimes. So auch die Journalistin Gilda Sahebi.

Im Interview mit der Aktuellen Stunde sagte Sahebi: "Unabhängig davon ob diese Sittenpolizei nun als Institution besteht oder nicht - das macht für die Menschen auf der Straße, für die Frauen die kontrolliert und misshandelt werden, überhaupt keinen Unterschied."

Das Interview mit den beiden Frauen in Iran führte Thomas Kramer.