Die Grünen-Krise: Das sagen Menschen in Hückeswagen | Aktuelle Stunde 02:30 Min. Verfügbar bis 26.09.2026

Was die Grünen-Krise mit Hückeswagen macht

Stand: 26.09.2024, 18:50 Uhr

Rücktritte im Bundesverband, Schulterzucken bei Menschen in der bergischen Kleinstadt. Ist die Politik in Berlin zu sehr mit sich selbst beschäftigt?

Von Sabine Schmitt

Es lief nicht gut für die Grünen bei den Wahlen im Osten. Und überhaupt. Über die Grünen wird viel gemeckert. In ganz Deutschland. Das hatte jetzt Konsequenzen. Die Grünen-Spitze kündigt ihren Rücktritt an. Der Vorstand der Grünen Jugend trat direkt zurück - und verlässt dann gleich noch die Partei. Einfach so das Handtuch schmeißen, darf man das? Was sagen die Menschen in der Kleinstadt dazu?

Für unsere WDR aktuell-Tour sind wir unterwegs in Hückeswagen im Bergischen Land. Hier löst die Aktion der Grünen-Verantwortlichen am Donnerstagmittag bei vielen erst mal nur eines aus: Schulterzucken. Berlin, Bundespolitik. Irgendwie scheint das hier in Hückeswagen weit weg zu sein. Nicht nur in Kilometern, sondern vom Leben der Menschen.

Ulrike Schwinning (50) lebt mit ihrer Familie im Bergischen und arbeitet in Hückeswagen bei der Firma Pflitsch als Konstrukteurin. Das Unternehmen ist Anbieter von Elektronikbauteilen. In Berlin forderten die Politiker die Menschen dazu auf, mehr Bus und Bahn zu fahren, sagt Schwinning. Schön und gut, sei das. Und? Funktioniert das für ihren Weg zur Arbeit? "Nein", sagt sie. Der Bus käme nur einmal in der Stunde. Das sei hier auf dem Land anders als in Berlin, wo man mit Bus, Bahn, U-Bahn zu jeder Tageszeit überall hinkommt.

E-Autos, Photovoltaik, Wärmepumpen - notwendig, aber ...

E-Autos, Photovoltaik, Wärmepumpen, das sei alles schön und gut und sicher auch notwendig. Aber in der Umsetzung für die Menschen und auch für Unternehmen sei das "ganz schön hart". Viel Geld müsse in kurzer Zeit investiert werden. Das hätte man anders lösen können, findet Schwinning, "mit einem Stufenplan zum Beispiel".

Schwinning hat da außerdem so ein Gefühl. "Die Politiker, egal welcher Partei, die regieren an unseren Bedürfnissen vorbei", sagt Schwinning. Für die Grünen gelte das ganz besonders.

Plötzlich war die Prämie für das E-Auto wieder weg

Aktuelle-Stunde-Moderator Michael Dietz (r.) befragt Heinz-Hubert Kraus aus Wipperführt | Bildquelle: WDR/Sabine Schmitt

Über den Markt von Hückeswagen läuft derweil Heinz-Hubert Kraus aus Wipperführt durch den Regen. Er habe sich neulich ein E-Auto bestellt, erzählt er. Beim Kauf hätte es geheißen, es gebe eine Prämie. Dann wurde die Prämie gestrichen - mit unmittelbaren Folgen für sein Portemonnaie: Das Auto kostete ihn plötzlich mehr Geld, als geplant. "Und jetzt reden die wieder über die Prämie". "Ärgerlich" sei das für ihn und seine Frau.

AKS-Moderator Michael Dietz im Interview | Bildquelle: WDR/Thomas von der Heiden

Umwelt. Klimaschutz. Trotzdem wichtig, sagt Kraus. Grün würde er deshalb nicht wählen. Eine junge Frau, die gerade auf dem Supermarktparkplatz ihre Taschen in den Kofferraum packt findet grüne Themen auch wichtig - für Parteien interessiere sie sich aber gar nicht. Was ist mit Parteien? Wählen? Sie schüttelt den Kopf. Sie fühle sich nicht von der Politik verstanden. Sie versuche aber da, wo es möglich sei, nachhaltig zu leben. Klamotten zum Beispiel kaufe sie nur secondhand.

Der Kaffee ist fertig in der Grünen-Geschäftsstelle

Wie können Politik und die Menschen wieder zueinander finden? Zum Beispiel an der Hückeswagener Bahnhofsstraße. Dort haben die Grünen sich vor Kurzem eine neue Geschäftsstelle eingerichtet. Vor der Tür steht eine kleine Tafel auf einem Stehtisch. Darauf steht: "Kaffee ist fertig." Hier warten Lokalpolitiker darauf, dass Menschen vorbeikommen.

Kaum einer hat Zeit, sich politisch zu engagieren

Vorsitzende des Ortsverbandes Bündnis 90 / Die Grünen in Hückeswagen, Shirley Finster | Bildquelle: WDR/Thomas von der Heiden

Die Menschen kämen auch, sagt Shirley Finster, die Vorsitzende des Ortsverbands Hückeswagen. Wenn sie kämen, hätten sie aber immer auch ein Anliegen, häufig etwas, über das sie sich ärgerten. Wenn das Problem dann gelöst sei, wären die Leute wieder weg. Helfen, vermitteln, das sei natürlich eine Aufgabe von Parteien. Aber Parteien lebten auch vom Ehrenamt. "Die meisten von uns hier sind Feierabend-Politiker. Wir sind arbeiten und machen in unserer Freizeit Politik." Wenn sie Menschen dann frage, ob sie sich auch engagieren, sagten die Leute meist: "Keine Zeit."

Was sagen die Grünen zu den Problemen der Menschen? Zum Beispiel dazu, dass Busse an vielen Orten so selten fahren? Shirley Finster sagt: "Wir hätten natürlich gerne eine bessere Taktung." Und dann sagt sie: Es sei aber auch ein bisschen wie mit der Henne und dem Ei. "Brauchen wir erst mehr Busse, damit die Leute fahren? Oder brauchen wir erst mehr Leute, damit wir öfters Busse einsetzen?" Teils habe es neue Verbindungen gegeben, die dann nicht genutzt worden seien - und dann wieder eingestellt wurden.

Was ist mit Menschen, die sich über das Heizungsgesetz oder andere Dinge fürs Klima ärgern, weil sie sie viel Geld kosten? Mit Gesetzen für mehr E-Autos oder die Sanierung von Häusern?

Menschen hätten immer Schwierigkeiten mit großen Veränderungen. "Das wird erstmal abgelehnt. Jeder möchte eigentlich nicht aus seiner Komfortzone raus", sagt Finster. Das Problem sei aber: "Es muss in die Köpfen rein, dass es so nicht weitergeht und dass wir unsere Komfortzone verlassen werden müssen."

Der Klimawandel sei da, dazu käme die verschwindende Biodiversität - darunter fällt das Artensterben, etwa das Insektensterben. Das habe massive Folgen für unser Leben, für unsere Nahrung.

Politologe: "Die Grünen ordnen sich neu" WDR 5 Morgenecho - Interview 26.09.2024 08:50 Min. Verfügbar bis 26.09.2025 WDR 5

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Kommunikation kann besser werden

Würden Menschen so was besser verstehen, wenn es ihnen besser erklärt wird. "Ja, sicher", sagt Finster. Bei den Grünen lege man immer viel Wert darauf, alles gut und ausführlich zu erklären. Vielleicht sei das aber gar nicht so gewünscht. Einfache Erklärungen seien besser. Finster hofft, dass sich da bei den Grünen mit dem neuen Bundesvorstand etwas tut. Als Nachfolger für den grünen Bundesvorstand werden Franziska Brantner und Felix Banaszak aus Duisburg gehandelt. Banaszak zähle auch zu ihren Favoriten. 

"Warten wir es ab. Aber es ist eine neue Aufstellung - und ehrlich gesagt, es kann nur besser werden", sagt Finster. Im Lokalen habe sich da gerade auch was getan. Die Grünen in Hückeswagen sind jetzt bei TikTok.

Unsere Quelle:

  • WDR-Reporterin vor Ort