Mit seinem schwarzen Filzstift hat Donald Trump ein Dekret nach dem anderen unterschrieben: Im Eiltempo hat er Beamte entlassen, Umweltgesetze gelockert, die Wissenschaftsfreiheit infrage gestellt und eine härtere Migrationspolitik umgesetzt. Er baut die Institutionen der USA um, aber er sägt auch an der internationalen Weltordnung.
Das zeigte der Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyi im Weißen Haus, bei dem Trump und sein Vize JD Vance vor laufenden Kameras den ukrainischen Präsidenten in herablassendem Ton bloßstellten. Trump unternahm anschließend den Versuch, die Ukraine zu einem einseitigen Deal zu zwingen - ohne Beteiligung der Europäer. Damit zeigte Trump der EU den Mittelfinger und machte klar: Westliche Werte und internationale Bündnisse sind für ihn bedeutungslos. Auch die Wirtschaftsordnung, die Regeln, wonach wir in der Welt Handel treiben, das schert ihn alles nicht. Also erhebt er erst gegen alle Länder der Welt Zölle und setzt sie dann doch größtenteils aus.
Merz mit Führungsanspruch in Europa
Und in all diesen 100 Tagen, seit Donald Trump wieder im Oval Office sitzt, stand Deutschland gezwungenermaßen an der Seitenlinie - wegen der vorgezogenen Bundestagswahl. Die Bundesregierung formiert sich jetzt so langsam, mit der Hoffnung, Anfang Mai dann wirklich loslegen zu können. Friedrich Merz, der Kanzler in spe und engagierte Transatlantiker, der jahrelang für US-Unternehmen gearbeitet hat, ist ungeduldig. Der Rest von Europa, so sagt Merz, warte nur darauf, dass Deutschland wieder eine Führungsrolle übernehme.
Wie wichtig es ihm ist, angesichts der internationalen Herausforderungen Akzente zu setzen, sieht man daran, dass die CDU sich durchgesetzt hat, das Außenministerium zu besetzen. Traditionell geht das eigentlich an den kleineren Koalitionspartner, aber hier will Merz Inkonsistenzen unbedingt vermeiden. Außenpolitik wird Chefsache. Johann Wadephul, ein Sicherheitsexperte aus der CDU, wird Außenminister und soll mit Merz diesen deutschen Führungsanspruch in Europa und gegenüber Trump vertreten, dabei aber vor allem loyaler Zuarbeiter für Friedrich Merz sein.
Trumps Politik ist nicht nur kalkulierbar: Sie ist schon vorbestimmt
"Donald Trump ist kalkulierbar, er tut, was er sagt", das sagte Merz einmal über den amerikanischen Präsidenten. Und das stimmt auch auf größerer Ebene. Denn ein Großteil seiner Dekrete, die er unterschrieben hat, decken sich mit dem "Project 2025" - einem erzkonservativen Masterplan, der zum Ziel hat, die Macht des US-Präsidenten auszuweiten, und gegen "woke, linke Diversity zu kämpfen". Einer der Autoren von Project 2025 ist der rechte Vordenker Russell Vought - aktuell der Haushaltschef von Donald Trump. Für den Rest der Welt bedeutet das Project 2025: Der Kurs der US-Regierung heißt weiterhin "America First". Was Trump und seine Regierung wollen, das steht so ziemlich 1:1 in einem Handbuch.
Die Trump-Regierung ist vorhersehbar, was sie tun will, ist vorhersehbar. Sie versuchen davon abzulenken, mit einer Strategie, die Trumps Ex-Berater Steve Bannon schon 2018 mit "Flood the Zone with Shit" beschrieb. Den Medienraum jeden Tag mit so vielen absurden Aktionen und Provokationen zu füllen, damit Journalisten, aber auch andere Entscheidungsträger nicht mehr mitkommen. Hier muss sich Merz besinnen und auf den neuen Masterplan der USA einstellen. Er muss sich fragen: Was erfordert zwingend eine Reaktion und was gilt es zu ignorieren. Als Kanzler kann er mit daran arbeiten, die wichtigen Themen in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit zu rücken.
Auch die USA können nicht alles im Alleingang
So sehr die USA auch auf America First pochen - alleine können sie sich nicht gegen eine expansive Politik Russlands in der Ukraine, aber auch in Georgien und in Moldau stellen. Genauso wenig wie sich die USA alleine dem Wirtschaftskolonialismus Chinas mit seiner Politik der "Neuen Seidenstraße" stellen können. Die USA brauchen Europa - als Wirtschaftspartner, aber auch als Partner in einer Welt, in der Russland und China an ihrer eigenen Vormachtstellung in der Weltordnung arbeiten. Hier muss Merz ansetzen - aber gleichzeitig die Unabhängigkeit Europas von den USA in Sicherheitsfragen vorantreiben.
Merz braucht diplomatisches Feingefühl
Gleichzeitig hatte der Bald-Kanzler in der Vergangenheit schon öfters angedeutet, dass er zu offene Kritik an Donald Trump für einen diplomatischen Fehler hält. Ich übrigens auch, denn Trump reagiert auf sowas gern mit trotzigen Übersprungshandlungen und Drohungen, um seine Macht zu demonstrieren - damit ist keinem geholfen.
Merz’ Partei, die CDU, unterhält durchaus auch gute Kontakte in die republikanische Partei. Jens Spahn etwa hat den Parteitag der Republikaner besucht. Merz will hart in der Sache bleiben und die Interessen Europas gegenüber Trump klar verteidigen, aber dafür muss er mit Donald Trump auch eine gute Beziehung auf Augenhöhe aufbauen.
Ob ihm das gelingt? Es ist ein schmaler Grat, den ein neuer Kanzler Merz beschreiten muss. Er muss unsere geopolitischen Interessen klar vertreten, gleichzeitig der Trump-Regierung gewogen bleiben, aber auch unsere Werte als offene Gesellschaft verteidigen - und auch die Stimmen in seiner Partei dämpfen, die an einer noch stärkeren Annäherung an die ultrarechte MAGA-Bewegung arbeiten. Davon hängen bald nicht nur deutsche Interessen ab, sondern auch die Interessen Europas.
Über dieses Thema berichten wir am 30.04.2025 im WDR-Hörfunk: Im Morgenecho auf WDR 5, ab 6.05 Uhr.
Wie seht ihr das - wie sollte die neue Regierung mit US-Präsident Trump umgehen? Lasst uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.
Kommentare zum Thema
Danke, Minh Thu Tran, für diesen kühlen Blick aufs Trump‘sche Kalkül. Die aufgeregten Berichte darüber, wie schlimm er sich jetzt wieder verhalten hat, kann ich schon lang nicht mehr ertragen.
Was mich irritiert ist die Aussage von der Annäherung an die MAGA Bewegung. Die Entwicklung zeigt doch eindeutig das dabei nichts gutes für die Bevölkerung rauskommt. Ansonsten so schnell wie möglich unabhängiger von den USA machen gerade in Verteidigungsfragen.
nun rächen sich die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte!!! in denen der Kirchturm wichtiger war, als ein vereintes EUROPA zu schaffen. Mit einem geeinten Europa, wäre Europa ein bestimmender Faktor in der Welt und würde nicht nach der Pfeife von Despoten, Autokraten, Tyrannen und Diktatoren sich ausrichten müssen. . . , denn gemeinsam ist EUROPA stark und ein Verhandlungspartner, DEN welche Macht auch immer nicht ignorieren kann!!! Die aktuelle politische Realität sieht leider anders aus! - Orban torpediert die EU ohne Ende, ihm sollten sämtliche Gelder gestrichen werden und Fico tendiert in die gleiche Richtung . . . Die EU sieht für mich nach einem Selbstbedienungsladen aus, wo sich die einzelnen Länder die Rosinen rauspicken! Die EU muss politisch eine Einheit werden, bevor es zu spät ist. Die nationalen Tendenzen in den EU-Ländern geben Anlass zur Sorge. Hier sehe ich die Medien in der Mitverantwortung! u Berichte mit dem Satz: "was bedeutet das für NRW?" sind Kirchturmdenken!