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Politiker müssen ehrlicher sein, damit sich was ändert | MEINUNG

Stand: 08.02.2025, 06:00 Uhr

Nur noch wenige Tage bis zur wichtigsten Bundestagswahl seit der Wiedervereinigung 1990! Was fehlt, ist die Zuversicht, dass sich danach wirklich etwas Entscheidendes ändert, sagt Kolumnist Ralph Sina.

Von Ralph Sina

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Wer hat zum Beispiel tatsächlich die Hoffnung, dass Deutschland dank neuer Spielregeln wieder ein attraktiver Player auf dem Feld der internationalen Wirtschaft wird? Ein Land, in dem international aufgestellte Unternehmen gern investieren. In dem die heimischen Unternehmer nicht die Umzugskisten packen, um von den günstigeren Energiepreisen und Firmenbesteuerungen woanders zu profitieren. Schon beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nehmen viele aber die Beine in die Hand. Denn das Gesetz ist mindestens genauso sperrig, wie es klingt.

Wo bleibt die Zuversicht…

Ich bin skeptisch, ob Deutschland nach der Wahl schnell genug auf Kurs kommt. Und damit bin ich nicht allein.

"Welche Partei vermittelt Ihnen Zuversicht?", lautet eine der Fragen beim ARD-Deutschland-Trend. "Keine" antwortet spontan ein Viertel der Befragten. Wenige Tage vor der Bundestagswahl! Da müssten bei den Kandidaten fürs Kanzleramt doch alle Alarmlampen leuchten.

Doch warum sind so viele Menschen skeptisch? Ich glaube, weil wir merken, dass die Spitzenkandidaten und der Wahlkampf nicht authentisch sind! Kuschelkurs mit schönen Wahlversprechen, statt knallharte Ehrlichkeit. Darauf haben viele keinen Bock mehr. Vertrauen schafft, wer klar sagt, was geht und was Märchen sind.

Politiker müssen offen über Zumutungen sprechen

Mich enttäuscht, dass die drei Kanzlerkandidaten der demokratischen Mitte bisher nicht den Mut haben, uns Wählern auch unbequeme Wahrheiten zuzumuten! Denn davon gibt es genug:

Explodierende Benzinpreise

CDU, SPD und Grüne haben gerade im Bundestag die Grundlagen dafür geschaffen, dass sich der CO2-Preis schon bald vervielfachen wird. Sozusagen im Windschatten der Migrationsdebatte wurde die "umfassende Reform des Emissionshandels" beschlossen. Sollte der Bundesrat zustimmen, werden wir die Auswirkungen ab 2027 wohl sehr konkret spüren: zum Beispiel an der Tankstelle. Spritpreise von bis zu 2,30 Euro pro Liter sind nicht ausgeschlossen. Auch das Heizen mit fossilen Brennstoffen könnte deutlich teurer werden - über 100 Euro monatlich zusätzlich könnten auf Familien zukommen.

Die Kanzlerkandidaten von CDU, SPD und Grünen haben jetzt noch die Chance, der Bevölkerung klarzumachen, dass diese drastische Verteuerung wegen des Klimawandels aus ihrer Sicht alternativlos ist. Dass der Europäische Emissionshandel für Verkehr und Wärme ab 2027 den deutschen Brennstoffemissionshandel ablöst und das dieser Zertifikatehandel für die Haushaltskasse jedes Einzelnen sehr spürbare Konsequenzen hat.

Von den überzeugten Europäern Merz, Scholz und Habeck höre ich zu diesem heiklen Thema nichts. Obwohl es eine enorme Sprengkraft hat. Denn von höheren Energiepreisen sind gerade Familien mit einem geringeren Einkommen überproportional betroffen.

Wählerinnen und Wählern muss aber gesagt werden, was von ihnen verlangt wird. Und im gleichen Zug müssen sie erfahren, an welchen Stellen sie entlastet werden, um nicht finanziell baden zu gehen.

Tabuthema Gesundheitswesen

Vor diesem Hintergrund wundere ich mich über Wahlkampfslogans, wie "Mehr für Dich". Tatsache ist, dass die rund 58 Millionen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherungen seit diesem Jahr drastische Zusatzbeiträge zahlen - bei einem aktuell mittleren Einkommen von 43.750 Euro brutto sind es jährlich 175 Euro mehr. Ich bin ein großer Fan des Wahl-O-Mats der Bundeszentrale für politische Bildung und habe mit seiner Hilfe versucht, in den Wahlprogrammen der Parteien konkrete und zielführende Vorschläge zu finden, um den galoppierenden Anstieg der Krankenkassenbeiträge zu stoppen. Doch weder der Wahl-O-Mat noch die eigene Parteiprogramm-Lektüre haben mich fündig werden lassen.

Rekordauftakt für den Wahl-O-Maten

WDR Studios NRW 07.02.2025 00:49 Min. Verfügbar bis 07.02.2027 WDR Online


An Steuergeschenken und Versprechen nach dem Strickmuster "Mehr Netto vom Brutto" mangelt es nicht. Aber wie der galoppierende Anstieg der Gesundheits- und Pflegekosten gestoppt werden soll, bleibt mir ein Rätsel.

Renten-Lücke: Hauptsache die rund 22 Millionen deutschen Rentner sind gut drauf!

Allen klar, aber ungesagt bleibt auch, dass unser Rentensystem gegen die Wand fährt. Spätestens ab 67 Jahren wird sie fällig - egal, wie sehr unsere Kinder und Enkel dafür finanziell bluten müssen.

Das Problem: Auf einen Rentner kommen immer weniger Beitragszahler. Soll ich meinen Kindern sagen, dass sie gefälligst in Zukunft mehr Beiträge für uns Baby-Boomer zahlen sollen, damit unsere Rente stabil bleibt? Oder, dass noch mehr ihrer Steuern in die staatliche Rentenkasse fließt, während gleichzeitig Schienennetz, Brücken und Autobahnen zerbröseln? Dass sie immer mehr auf die hohe Kante legen sollen, um nicht selbst eines Tages in völliger Altersarmut zu enden? Ich will nicht "mehr für mich" und eine steigende Rente auf dem Rücken meiner Kinder und Enkel! Das Erregungspotential dieser größten und damit wichtigsten Wählergruppe ist den Spitzenkandidaten aber offenbar einfach zu gefährlich.

Die Renten-Märchen dieses Wahlkampfes sind für mich nur ein Symptom - für den mangelnden Mut zu sagen, was sozialpolitisch Sache ist. Die meisten werden mehr und länger arbeiten müssen, wenn Deutschland nicht endgültig zum Rezessionsmeister der EU werden will. Diesen Klartext würde ich gern bis zum 23. Februar von den Kanzlerkandidaten hören. Dann wäre ich auch zuversichtlicher, was die Zukunftsfähigkeit unseres Landes angeht.

Was sagt ihr, sollte im Wahlkampf mehr Klartext geredet werden? Lasst uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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