Erdbeben in der Türkei und Syrien

MEINUNG

Erdbeben-Retter: DANKE für euren Einsatz, ihr gebt uns so viel Kraft!

Stand: 11.02.2023, 09:00 Uhr

Wer Familie oder Freunde im Erdbebengebiet in der Türkei oder Syrien hat, bangt aktuell ganz besonders um die Liebsten vor Ort. Hoffnung machen ihnen Rettungskräfte - auch aus NRW. "Ihr gebt uns gerade allen Kraft", meint Giselle Ucar.

von Giselle Ucar, Redakteurin im WDR Newsroom

Als am Montagmorgen um 4:30 Uhr mein Wecker klingelt, konnte ich noch nicht ahnen, was für eine furchtbare Woche mich erwarten würde. Beim ersten Blick aufs Handy registriere ich schon zahlreiche Pushnachrichten von News-Apps: "EIL - Starkes Erdbeben im Südosten der Türkei." Südosten? Das ist doch bei uns, denke ich direkt und klicke auf eine der Benachrichtigungen. "Erdbeben nahe Gaziantep" - puuh ok, also doch nicht ganz bei uns, sondern etwas weiter weg.

Der Kern meiner Familie lebt zwar in Deutschland, der Rest aber größtenteils in Antakya und Umgebung - ca. 200 km vom Erdbebenzentrum entfernt. Ich lege das Handy wieder aus der Hand und mache mich auf zum Frühdienst in die Redaktion. 

Erdbeben der Stärke 7,8

Erst im Laufe des Morgens begreife ich das Ausmaß des Erdbebens. Und erste Nachrichten im Familienchat trudeln ein. "Opas Haus ist wohl platt", schreibt mein Papa - und ist dabei sehr traurig. Opa lebt seit einigen Jahren nicht mehr und im besagten Haus in Kuzeytepe (etwas nördlich von Antakya) haben wir alle so viel mit ihm erlebt und erinnern uns gerne daran zurück.

Opas Haus - dem Erdboden gleich

Opas Haus - dem Erdboden gleich

"Wo ist Oma gerade?", frage ich besorgt. Ich hatte länger nicht mehr mit meiner Oma gesprochen, die viele Monate im Jahr in der Türkei verbringt. "Hier", lautet die Antwort und ich bin erstmal beruhigt, dass sie in Deutschland ist. 

Im Verlauf des Tages immer mehr Beunruhigendes: Meine andere Oma kann ihre Geschwister, Nichten und Neffen im Zentrum von Antakya nicht erreichen. Keinen von ihnen. Am Abend dann zunächst eine beruhigende Nachricht von meinem Onkel aus Hamburg: Eine Cousine aus der Türkei hat sich per SMS bei ihm gemeldet. Sie schreibt in aller Kürze auf Türkisch: "Uns geht’s gut, macht euch keine Sorgen." Erste Erleichterung.

Verschüttet und vermisst

Am nächsten Morgen wieder schlechte Nachrichten: Mamas Cousin ist mit Frau und zweijährigem Kind verschüttet in Kahramanmaraş. Die Familie in Deutschland bangt. Allen geht es schlecht. Der Familie in der Türkei sowieso. Die, die dort nicht verschüttet wurden, haben die Nächte im Freien oder ihren Autos verbracht.

Wir in Deutschland überlegen: Wie können wir helfen? Können wir sie zu uns holen? Leider nein - sie bräuchten ein Visum. Wir denken verschiedene Optionen durch. Am Ende sind wir uns einig: Vor allem brauchen die Hilfsorganisationen jetzt ganz schnell Unterstützung. Wir schicken Spendenlinks im Familien-Chat hin und her - und verfallen einem Spendenwahn.

Dann die traurige Nachricht: "Zehra hat mich gerade angerufen. Mustafa, Frau und Kind sind leider tot."

Sie sind tot

"Başın sağ olsun - mein Beileid", schreibe ich meiner Mama bei WhatsApp. Ihr Cousin ist jetzt also tot. Ein lebensfroher Mensch, den ich sehr mochte. Er war nur ein paar Jahre älter als meine Schwester und ich. Wir haben als Kinder mit ihm und seinem Bruder Murat gespielt, wenn wir in den Sommerferien dort waren. "Üzülme lütfen - sei bitte nicht traurig", schreibt mein Papa von der Arbeit aus in den Familien-Chat. Erschüttert fügt er kurz darauf hinzu: "Die waren noch so jung".

Cousin Mustafa mit seiner Familie

Cousin Mustafa mit seiner Familie

Ich rufe meine Mama an. Sie sitzt ebenfalls auf der Arbeit - und weint. Ich tröste sie und versuche, selbst stark zu sein. "Wie soll ich das jetzt Oma beibringen?", fragt sie mich und sorgt sich jetzt auch noch um den Gesundheitszustand ihrer Mutter. 

Am Abend können wir alle nichts tun, nur auf den TV-Bildschirm starren und die immer weiter steigenden Todeszahlen und die für die Rettung immer knapper werdende Zeit ohnmächtig aushalten.

"Die Zerstörung der Orte zu sehen, in denen meine Eltern geboren und aufgewachsen sind, ist so bitter. Noch viel bitterer ist aber das Leid der Menschen vor Ort - also auch von dem Teil unserer Familie, der dort lebt." Giselle Ucar

Für mich sind es meist Großtanten, Großonkel, Großcousinen und Großcousins - das macht es aber nicht weniger schlimm. 

Aus Papas Familie werden auch noch zwei Menschen in den Trümmern von Kuzeytepe vermisst. Es würde an ein Wunder grenzen, sie noch lebendig zu bergen. 

Die Rettungskräfte geben uns Hoffnung

Das einzige, was uns an diesem Abend Hoffnung gibt, sind die im Fernsehen gezeigten Rettungskräfte aus Deutschland, die zum Helfen in die Türkei aufbrechen. Und die vielen Zusagen anderer Staaten, ebenfalls schnelle Hilfe zu senden. 

Auch in den darauffolgenden Tagen verfolgen wir hoffnungsvoll die Arbeit der Hilfstruppen vor Ort - im Netz, im TV, überall. Jede einzelne Rettung macht uns überglücklich. Und so wie uns geht es tausenden Familien in Deutschland. 

Große Dankbarkeit in den sozialen Medien

Große Dankbarkeit in den sozialen Medien

Die Kommentar-Spalten in den sozialen Medien sind voll mit sehr herzlichen "Danke"-Botschaften. Unter einem Tweet von den Duisburger Erdbebenexperten I.S.A.R. Germany postet z.B. Melis Yönet: "Zum Glück seid ihr da, wir danken von ganzem Herzen." Erdoğan Şahin schreibt: "Ihr seid wahre HELDEN. Danke." Und Fatoş Köroğlu: "Meine Heimat hilft meiner Heimat. Danke danke danke! (Herzemoji)".

Aus tiefstem Herzen: Danke!

Die Dankbarkeit aus der deutsch-türkischen Community ist riesig, völlig zu Recht. THW, I.S.A.R, Malteser - ohne euch wären wir verloren. Ihr seid unsere Heldinnen und Helden, unsere Retterinnen und Retter in der größten Not, ihr macht uns stolz auf Deutschland! Stundenlang und mit Engelsgeduld ringt ihr um jedes einzelne Leben vor Ort. Helal olsun size! Danke, für euren Einsatz. Wir werden das niemals vergessen. 

Jetzt beginnt das Leben danach

Die meisten aus unserer Familie in der Türkei haben es inzwischen aus den Erdbebengebieten heraus geschafft. Sie sind bei anderen Verwandten, Freunden oder Bekannten untergekommen und können sich wohl selbst ganz gut versorgen. Die zwei Verschütteten sind noch immer nicht gefunden worden. Mustafa, seine Frau und sein Kind wurden am Donnerstag in İskenderun beigesetzt. 

Allah rahmet eylesin - mögen sie in Frieden ruhen. 

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