MEINUNG

Insekten essen: Wir sollten unser Ekelgefühl überwinden!

Stand: 26.01.2023, 10:58 Uhr

Insekten im Essen lösen bei vielen Menschen immer noch Ekel aus. Unsere Kolumnistin Minh Thu Tran hat schon einige Krabbeltierchen verspeist und meint: Das sollten noch viel mehr Menschen tun.

Von Minh Thu Tran

Diese Woche gab es Neuigkeiten aus der EU: Neben Mehlwürmern und Heuschrecken dürfen nun auch Grillen und Getreideschimmelkäfer zu und in Lebensmitteln verarbeitet werden. Und schon machten auf Twitter, Facebook und Co. verschiedene Befürchtungen und Verschwörungstheorien die Runde: Mischt die EU uns jetzt heimlich Insektenpulver in den Kuchenteig? Werden wir - ohne unser Wissen - mit Insektenpulver gefüttert? #DankeEU (wütender Smiley)!

Die Empörungswellen gingen so weit, dass die EU-Kommission sich genötigt sah, auf Twitter mit einem Post zu den Grillen zu antworten. Zitat: "Aus Gründen".

In der EU sind Insekten in Lebensmitteln nicht neu

Zuerst also die Klarstellung.

Erstens: Es ist nicht das erste Mal, dass Insekten in der EU als Nahrungsmittel zugelassen wurden. Schon längst erlaubt sind Mehlwürmer und Heuschrecken. Und jetzt hat die EU auch noch die Larven des Getreideschimmelkäfers und die Hausgrille - als Ganzes (gefroren oder getrocknet) oder zu einem Pulver zerkleinert - als sogenanntes "neuartiges Nahrungsmittel" zugelassen.

Zweitens: Wenn sie in Lebensmitteln vorkommen, muss das laut dieser EU-Verordnung klar gekennzeichnet sein. Oder im Wortlaut: "Die Bezeichnung des neuartigen Lebensmittels, die in der Kennzeichnung des jeweiligen Lebensmittels anzugeben ist, lautet 'teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)'."

Also: Alle mal "tief durchatmen" - wie auch die EU-Kommission fordert.

Insekten in Lebensmitteln - ein gefundenes Fressen für EU-Gegner

Die Insektenempörung war aber erwartbar. Insekten lösen in vielen Menschen hierzulande immer noch viel Ekel aus. Andere mögen sie vielleicht mal essen, die Motivation ist aber eher ein aus dem Ekel heraus entstandener Nervenkitzel, quasi als Gag. Dabei sind Insekten in anderen Teilen der Welt als Nahrungsmittel nicht unbeliebt, bei Milliarden Menschen stehen Insekten schon längst auf dem Speiseplan. Weltweit gibt es mehr als 2.000 für den menschlichen Konsum geeignete Insektenarten.

"Ich als einer dieser Milliarden Menschen, die schon Insekten gegessen haben, kann Ihnen versichern: Schmeckt alles ganz okay." Minh Thu Tran

Ich war vor einigen Jahren in Vietnam auf Reisen, um die Heimat meiner Eltern kennenzulernen. Dort habe ich eine Seidenmanufaktur besucht, in der die Seide hergestellt und auch weiter zu Kleidung verarbeitet wird. Der Besuch ist mir aber nicht wegen der wunderschönen Seide in Erinnerung geblieben, sondern eher deshalb, weil der Tourguide mich ganz nonchalant fragte: "Hier wird nichts weggeschmissen, sondern alles weiterverarbeitet – auch die Seidenraupen! Lust, die zu probieren?"

Einfach mal probieren

Seide wird aus den Kokons der Seidenraupen hergestellt. Dafür werden die Larven in ihren Kokons gekocht. So wird verhindert, dass sie die Kokons und damit auch die kostbaren Seidenfäden durchbeißen. Die darin enthaltenen Larven des Seidenspinners werden dann zu Nahrung weiterverarbeitet. In Vietnam werden Seidenraupen nhộng tằm genannt. Sie werden erst in Wasser gekocht und danach mit Fischsauce oder Chili und Zitronengras im Wok geschwenkt. 

Gebratene Seidenrauben | Bildquelle: picture alliance/imageBROKER

Ich biss also hinein in die Seidenraupenlarve. Außer dem Aroma der Gewürze war die recht neutral im Geschmack, leicht nussig, die Textur mehlig. Wird nicht mein Lieblingsessen, aber kann man machen. Und es machte mich stolz, dass die vietnamesische Esskultur, die meine Eltern mir mein ganzes Leben vermittelt haben, stets die Maxime hat: Wenn wir Lebewesen verwenden, dann schmeißen wir aus Respekt nichts weg - sondern verwenden alles!

Insekten als gesunder "Snack to go"

Wieder zurück in Deutschland angekommen, recherchierte ich weiter: In Korea heißen die Seidenlarven beondaggi und sind ein beliebter Streetfood-Snack. In Thailand werden viele Insektenarten frittiert, bis sie knusprig sind, und auf der Straße als Snack verkauft. Auch in Uganda sind frittierte Grashüpfer beliebt.

Die Argumente, warum wir mehr Insekten essen sollten, werden in diesen Tagen immer wieder wiederholt: Insekten liefern hochwertiges Protein in hoher Konzentration, sind mineralienreich und enthalten wichtige Fettsäuren wie etwa Omega-3. Und: Sie sind in der Produktion umweltfreundlicher als Fleisch. Aber: Diese Argumente richten wenig aus, wenn Ekel bei bestimmten Lebensmitteln in der Bevölkerung so stark verankert ist.

Insekten könnten zur Delikatesse werden

Deswegen will ich Ihnen zum Schluss folgende Gedanken mitgeben: Welche Tiere als Delikatessen und welche als ekelig gelten, das kann sich schnell ändern. Noch im 19. Jahrhundert galt in den USA etwa der Hummer als Arme-Leute-Essen. Der Autor John J. Rowan etwa schrieb: "Hummerschalen im Haus werden als Zeichen von Armut und Erniedrigung angesehen." Man gab das Krustentier den Armen, den Bediensteten, den Versklavten, den Gefängnisinsassen. Auch Austern galten über lange Zeit in Großbritannien und in den USA als billige Suppeneinlage. Oder in den Worten Charles Dickens: "Es ist bemerkenswert, dass Armut und Austern immer zusammengehören."

Beide Lebensmittel gehören heute zu den teuersten der Welt. Vielleicht macht das Image der Insekten als Nahrungsmittel bald einen ähnlich wundersamen Wandel durch - wie die kleine hässliche Raupe zum schönen Schmetterling.

Haben Sie schon mal Insekten gegessen? Oder sind Sie neugierig darauf, wie die so schmecken? Oder sagen Sie: "Insekten haben defiitiv nichts auf meinem Speiseplan verloren!"? Teilen Sie gerne Ihre Meinung mit uns! In den Kommentaren bei WDR.de und auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • KeinInsektenfresser 01.02.2023, 16:24 Uhr

    wie nicht anders zu erwarten, wird hier alles was nicht dem ÖR Narrativ entspricht aus dubiosen "Netiqutte Regeln" gespart. Ein paar harmlose Kommentare lassen, damit man sagen kann "seht ihr wir zensieren doch nicht". Die Meinung seiner Zwangsgebührenzahler wortwörtlich so auszublenden damit die eigene Weltsicht passt ist mehr als fraglich. Wer zahlen muss, muss auch kritisieren dürfen. Sollte dieser Kommentar gesperrt werden, so beweist es nur die These.

  • Grenzen des Wachstums 01.02.2023, 12:57 Uhr

    Als Vorschlag kein Problem aber warum „sollten“ wir Insekten essen? Eigentlich geht es um Überbevölkerung, aber Insekten werden das nicht ändern, nur die Katastrophe in die Länge ziehen. Damit diese Geschichte einen Sinn bekommt muss man einen Nebensatz in die Überschrift packen: „Sie sind in der Produktion umweltfreundlicher als Fleisch“. Das mag zwar richtig sein und sind alle Menschen auf dem Planeten Vegetarier und Insekten-Esser kann man vielleicht noch ein oder zwei Milliarden Menschen mehr auf den Planeten quetschen, aber ein endlicher Planet kann nicht unendliches Bevölkerungswachstum vertragen und daran wird Verzehr von Insekten nichts ändern. Will man „umweltfreundlich“ sein, freundlich zur Umwelt, hätte man vielleicht schon bei 3 oder 4 Milliarden eine Grenze einziehen müssen. Jetzt sind wir 8 Milliarden und bekommen Konflikte nicht mehr in den Griff. Der wichtigste Treiber bei der Klimadebatte, der jedes Problem milliardenfach multipliziert, ist Tabu und wird gemieden.

  • Miro 01.02.2023, 11:58 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er beleidigend ist. (die Redaktion)