Gerade ist für mich eine stressige Zeit. Nach der Arbeit ziehe ich los, Geschenke einkaufen in der vollen Innenstadt, mit meiner Familie besprechen, was wir noch beim Metzger, im Supermarkt oder Asialaden einkaufen müssen für die Feiertage. Denn am 24. Dezember werde ich Weihnachten feiern - mit meiner buddhistischen vietnamesischen Familie. Wir werden Geschenke austauschen unter einem Weihnachtsbaum. Wir werden hässliche Weihnachtspullover anziehen, Fondue oder Raclette essen mit asiatischem Twist und beim Karaoke nervige Weihnachts-Klassiker wie "Last Christmas" singen.
Weihnachtstraditionen übernehmen, verwerfen oder neue schaffen
Wir feiern anders als viele deutsche Familien ohne christlichen Bezug. Wir lesen nicht die Weihnachtsgeschichte vor, wir gehen nicht in die Christmette. Aber was wir sehr wohl können: die festliche Stimmung genießen. Kitschigen Weihnachtsschmuck aufhängen. Und da wir nur an Weihnachten alle frei bekommen und nicht an Mondneujahr, unserem wichtigsten Feiertag, hat es sich über die Jahre so eingependelt, dass wir eben auch als vietnamesische Familie Weihnachten groß feiern.
Mir war auch schon als Kind immer klar, dass es meine Eltern waren, die uns die Geschenke besorgten, dass zu uns nicht das Christkind oder der Weihnachtsmann kommt. Uns Weihnachtsgeschenke zu geben, war ihre Art, uns zu zeigen: Euch fehlt es an nichts. Ihr seid nicht anders als die deutschen Kinder. Sie hatten nie Angst, dass wir dadurch unsere Feste und Traditionen verlieren, sondern empfanden es als Bereicherung, dass wir jetzt auch dieselben Feste feiern, wie die meisten Menschen, die in diesem Land wohnen. Und wenn wir doch mal ehrlich sind - damit sind wir in Deutschland gar nicht so alleine. Denn hierzulande bezeichnen sich inzwischen sehr viele Menschen nicht mehr als religiös, feiern Weihnachten aber trotzdem mit ihrer Familie.
Und ich weiß von vielen meiner türkischen, jüdischen, arabischen Freunde, dass sie auch schöne, lustige Mischformen gefunden haben von Weihnachten, die sie mit ihrer Familie feiern. Weihnukka zum Beispiel - eine Mischung aus Weihnachten und Chanukka - beide Feste sind ja terminlich eh nah genug beieinander. Ich gehe auch mit meinen Freunden, die so wie ich nicht in einer christlichen Familie aufgewachsen sind, gerne auf den Weihnachtsmarkt um einen Kinderpunsch zu trinken oder eine Bratwurst zu essen. Warum denn auch nicht? Egal ob Vietnam, Türkei oder Albanien - auch dort, in der alten Heimat, werden Einkaufszentren, Straßen und Parks weihnachtlich geschmückt. Weihnachten ist für mich ein Fest, das uns allen gehört - und das jeder so ausgestalten kann, wie er mag. Ein Fest, das alle mitnehmen kann.
Weihnachten wird jedes Jahr missbraucht - von Populisten
Umso trauriger machen mich die alljährlichen giftigen "Debatten" rund um Weihnachten. Die sich daran entzünden, dass angeblich der Untergang des Abendlandes bevorsteht, weil einzelne Weihnachtsmärkte sich in "Wintermarkt" umbenennen oder weil angeblich die bösen Ausländer Weihnachten abschaffen wollen. Das jüngste Opfer dieser Nicht-Debatte: Eine Hamburger Kita, die sich entschlossen hat, keinen Weihnachtsbaum aufzustellen. Nun gibt es wirklich viele Gründe, in einem Raum voller spielender Kleinkinder keinen nadelnden Baum mit Kerzen aufzustellen. Die Kita begründete es jedoch mit "Religionsfreiheit", man wolle niemanden wegen eines Baums ausschließen.
Die Welle der Entrüstung war erwartbar und heftig. Auf den Aufreger-Zug sprang auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf:
Die Hamburger Kita bekam rassistische Drohungen und Beleidigungen ab und stellte klar - in manchen Jahren gibt es einen Weihnachtsbaum, und in anderen halt nicht. Es gibt kein Verbot. All diese Aufregung, nur weil man Menschen absichtlich missverstehen will. Was aber womöglich Kinder mit Migrationshintergrund, die in diese Kita gehen, mitbekommen: Hier gibt es in ihrer Kita gerade Probleme, die Eltern, die Erzieher*innen sind angespannt - und sie könnten den grausamen Eindruck bekommen, es läge an ihnen. Mich entsetzt es, dass populistische Politiker wie Söder in ihrer Suche nach dem nächsten populistischen Aufreger selbst das Weihnachtsfest missbrauchen, um zu spalten.
Ich denke deswegen an Weihnachten lieber an die Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben, die etwa durch Flucht ihre Familien zurücklassen mussten. 325.801 Asylanträge wurden in diesem Jahr gestellt. Die meisten dieser Menschen kommen aus Syrien und Afghanistan, die vor ihrer Ankunft in Deutschland mit Weihnachten selten in Berührung gekommen sind. Und da sind nicht mal die ukrainischen Menschen berücksichtigt, die seit Ende Februar 2022 eingereist sind. Häufig Frauen und Kinder, deren Männer, Väter und Brüder an der Front kämpfen.
Ich denke aber auch an Menschen, die vielleicht keine Familie mehr haben, oder vielleicht aus Gründen mit ihrer Familie gebrochen haben. Und ich hoffe, dass all diese Menschen jetzt an Weihnachten Ersatz-Familien und Freunde haben, die sie einladen, mit denen sie eine festliche Zeit verbringen können - und vielleicht auch mit ihnen neue Traditionen, neue Familien oder eine neue Heimat für sich schaffen können.
Wie verbringen Sie die Weihnachtstage? Haben Sie mit Freunden und Familie Traditionen verworfen oder aus verschiedenen Kulturen neue geschaffen? Erzählen Sie uns davon in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.
Kommentare zum Thema
Ich hatte gehofft, etwas mehr über das Miteinander und Verbindende zu Weihnachten lesen zu können. Stattdessen: Gezeter über Politik. Ich bin von AFD und Biodeutschen enttäuscht, die z.T. ja selbst ausländische Namen haben wie ein promintes Beispiel - Halemba . Selbst an Weihnachten können sie sich nicht zurücknehmen! Das sollen Vertreter christlicher Werte sein? Mitnichten.
Die Kolumne krankt bereits an dem fundamentalen Irrtum , Religiosität bzw. christl. Werteschätzung in D seien mit der Mitgliedschaft in den teuren ev./kath. Amtskirchen gleichzusetzen , so daß dann auch , weil die Leute aus ihnen austreten , um sich die Kirchensteuer (ca. 6 % von der ESt für den geringen kirchl. Nutzwert ersparen wollen , die völlig unzutreffende Schlußfolgerung, Weihnachten habe für Biodeutsche keine christliche Wertschätzung , dabei herauskommen muß ! Wenn selbst der Einzelhandel jetzt über ein "schlechtes Weihnachtsgeschäft" jammert kann der Rest der "Meinung" auch nicht stimmen ! Ich bin bereits vor 50 Jahren aus der Kirche ausgetreten, der Teufel hat sich des- wegen bei mir auch noch nicht gemeldet , meine christlichen Werte sind immer noch unverändert und dadurch viel erspartes Geld ist auch noch da. Mit solch unverifizierten Behauptungen, wie von der Kolumnistin an die Adresse der Biodeutschen, kann man sich bei ihnen nur unbeliebt machen !
Sie haben es sich mit dem Kirchenaustritt sehr einfach gemacht, dabei erfüllen die Kirchen mit der Kirchensteuer immerhin zu ca. 50% gemeinnützige und mildtätige Zwecke.
Nö, hier gibt es keine Gleichsetzung von Amtskirche mit Religion. Im Gegenteil, es werden die Traditionen in den Vordergrund gestellt, die man unabhängig von welcher Religion auch immer mehr oder weniger übernehmen kann oder nicht. Da steht auch nur, dass zu Weihnachten der christliche Ursprung nicht mehr so im Vordergrund steht wie früher; nicht, dass es für „Biodeutsche“ rein gar keine Bedeutung mehr hat. Wenn man sich die Kirchensteuer spart obwohl man zu unverändert christlichen Werten steht geht das im Grundsatz in Ordnung. Aber dann müsste man eigentlich einen Teil vom gesparten Geld wieder spenden, wenn man kann und wirklich zu den christlichen Werten steht. Und das Weihnachtsgeschäft ist mies, weil vielen durch Corona-, Kriegs- und überzogene Klimahysterie einfach das Geld fehlt. Die Gleichsetzung von 325.801 Asylanträgen mit „Flucht“ würde ich mal in Frage stellen, aber nicht hier und nicht heute.
Die christlichen Werte ,besonders kodifiziert in den 10 christl. Geboten , sind nach wie vor bestimmend in den Werten der biodt. Bevölkerung , den westl. Gesellschaften, USA. Diese Werte und sogar den Draht nach ganz oben kann man auch ohne Amtskirche leben, die sich die Mitgliedschaft teuer bezahlen läßt. Einen Kaufrausch gabs auch nicht; der Einzelhandel klagte sogar ausdrucklich über ein "mieses Weihnachtsgeschäft". Wovon sollen die Deutschen das auch finanzieren, wenn Berliner Laienspielschar dur immer neuerfundene Belastungen auspressen läßt , wie eine Zitrone.. Die Meinungskolumne hier liegt also realitätsfern so gut wie vollständig neben der Sache . In wenigen Stunden sind die Feiertage ohnehin wieder beendet und dann hat die Kolumnistin ausgiebig Zeit, sich davon wieder zu erholen, nämlich 362 lange Tage bis zur nächsten Weihnacht !