Der Borbecker Mühlenbach in Essen

So soll eine KI im Ruhrgebiet beim Hochwasserschutz helfen

Stand: 31.08.2024, 06:00 Uhr

An über 400 Gewässern in NRW kann Hochwasser auftreten. Im Ruhrgebiet soll gegen Gefahren eine Künstliche Intelligenz mithelfen.

Von Lisanne Körsten und Viktoria Wettengel

Ein Hochwasser kann auch an Orten wie dem Borbecker Mühlenbach beginnen. Ein knöchelhoher und harmlos wirkender Bach in Essen. Hier in der Idylle werden Daten für den Hochwasserschutz im Ruhrgebiet gesammelt. Benjamin Freudenberg vom Bochumer Start-up Okeanos steigt zum Ufer hinab und zeigt auf eine kleine Box, die an einer Brücke über dem Bach befestigt ist: "Der Sensor misst die Distanz zum Wasserspiegel." Diese Messung hilft dabei, den Pegel genau zu bestimmen.

Start-up für Hochwasserschutz

Bei Hochwassergefahr zählt für Rettungskräfte und Anwohner von Flüssen jede Minute. Das Bochumer Start-up Okeanos will mit seiner Künstlichen Intelligenz Messdaten – wie den Pegelstand des Borbecker Mühlenbachs – schneller auswerten und damit Zeit gewinnen. Dazu nutzt das Unternehmen auch Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes. Wasserverbände, Feuerwehr, Polizei und Kommunen sollen ein drohendes Hochwasser so schneller erkennen können.

Referent und Mitarbeiter bei Okeanos

Benjamin Freudenberg vom Bochumer Start-up an einer der Messstationen.

Wichtig ist, dass die gesammelten Daten nicht nur schnell, sondern auch richtig interpretiert werden.

In irgendeiner Form muss ich immer Abstriche machen. Entweder, dass unsere Umwelt nicht realisiert wird, oder das Ergebnis wird stark verfälscht. Und da kommt letztendlich die KI ins Spiel. Benjamin Mewes, Mitgründer

So soll die KI funktionieren: Sensoren überwachen den Pegel eines Flusses, auch welche Strömung dort aktuell herrscht. Diese Messungen zeigen etwa, dass die Strömung ungewöhnlich hoch ist. Gleichzeitig werden durch Satelliten die Wetterdaten zur Regenwahrscheinlichkeit gesammelt. So soll zum Beispiel Starkregen erkannt werden, der Flüsse schnell anschwellen lässt.

Grafik | KI/Hochwasser

Diese Informationen werden von der KI gesammelt und bewertet. Das System vergleicht diese Informationen mit historischen Daten. Also, ob es diesen Pegelstand bei dieser Regenmenge schon einmal gegeben hat. Erkennt die KI in diesem Vergleich ein Muster, soll sie vorhersagen können, ob ein Hochwasser droht, oder nicht.

Kann die KI Menschen ersetzen?

Start-up-Mitgründer Mewes sieht seine KI eher als "einen zusätzlichen Schraubendreher im großen Werkzeugkoffer." Fachwissen bleibt entscheidend, um Daten korrekt zu interpretieren und effektiv im Hochwasserschutz einzusetzen. Diese Meinung teilt auch Christian Kuhlicke, Leiter der Arbeitsgruppe Umweltrisiken und Extremereignisse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Für ihn stellt die KI eine wertvolle Ergänzung zu bestehenden Modellen dar, die möglicherweise einen Wendepunkt markieren könnte. "Je früher und umfassender gerade die kommunale Ebene informiert ist, desto besser können Warnungen ausgesprochen werden“, betont Kuhlicke.

Der Sensor misst über Radar den Wasserpegel

In Plastikboxen stecken Sensoren, die den Wasserpegel messen.

Mewes sieht das Potenzial seiner KI vor allem bei Hochwassereinsätzen: "Die größte Zukunft für künstliche Intelligenz sehe ich in der nahezu Echtzeit-Erstellung von Lagebildern für Einsatzstäbe, besonders für THW, Feuerwehr, aber auch für Bürgermeister und Landräte.“

Allerdings bleibt die Entscheidung über konkrete Maßnahmen wie Evakuierungen weiterhin in politischer Hand. "Ob Krankenhäuser evakuiert werden oder Schüler besser nicht zur Schule gehen, ist weiterhin eine politische Entscheidung“, erklärt Kuhlicke.

Die Grenzen der KI

Das System kann Menschen zwar rechtzeitig warnen, aber die KI kann nicht verhindern, dass es zu Überflutungen kommt. Bestehende Deiche müssten an neue Standards angepasst werden, sagt Georg Johann von der Emschergenossenschaft. Der Hydrologe kümmert sich um die Gewässer rund um die Flüsse Emscher und Lippe. Seine Aufgabe ist, die Region vor Hochwasser zu schützen. Besonders problematisch ist im Ruhrgebiet dabei der Platzmangel: Nach starkem Regen hat das Wasser kaum die Möglichkeit abzufließen.

Wir haben kein Wissensproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Und das ist Flächenverfügbarkeit und Geld. Georg Johann, Hydrologe

Der jahrzehntelange Bergbau ist für den Hochwasserschutz im Ruhrgebiet eine Herausforderung. Durch den Steinkohleabbau sei der Boden in der Region um bis zu 25 Meter abgesunken, erklärt Hydrologe Johann. Wenn es dann regnet, sammelt sich Wasser in den Vertiefungen. Da es keinen Weg zum Abfließen findet, kommt es zum Hochwasser.

Wasserexperten schätzen, dass jeder Mensch in Deutschland im Laufe seines Lebens eine 50-prozentige Chance hat, mindestens einmal ein Hochwasser zu erleben. Neue Technologien wie KI könnten im Kampf gegen Hochwasser dabei helfen – auch im Ruhrgebiet.

Hochwasserschutz mit KI im Ruhrgebiet

WDR 5 Das Wirtschaftsmagazin - aktuell 26.08.2024 03:59 Min. Verfügbar bis 26.08.2025 WDR 5


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Unsere Quellen:

  • Interview mit Georg Johann, Emschergenossenschaft
  • Interview mit Christian Kuhlicke, Helmholtz-Zentrum