Gerade eben noch fragten sich viele Kölner, wofür eigentlich diese neue Partei "Volt" steht - und schon sitzt sie mit fünf Vertretern im Stadtrat. In Köln erreichte Volt mit fünf Prozent Stimmenanteil mehr als die AfD (4,4 Prozent) und nur knapp weniger als die FDP (5,3 Prozent). Auch in Münster hängte die junge Partei die AfD ab. Volt wurde damit in einigen Medien bereits als heimlicher Gewinner der Kommunalwahlen tituliert. Erst 2018 gegründet, gelang der Partei noch in weiteren Städten - darunter Aachen, Bonn oder Düsseldorf - ein Senkrechtstart.
Sein "größter Traum" sei in Erfüllung gegangen, jubelte Volt-Mitbegründer Damian Boeselager auf Twitter - "gegen rechtsextreme Parteien zu gewinnen". Boeselager sitzt für "Volt" schon im Europaparlament.
Die Partei bezeichnet sich als paneuropäisch und ist nach eigenen Angaben in 29 Ländern vertreten. Sie tritt für soziale und globale Gleichberechtigung, nachhaltige Klimapolitik und Migration ein.
Kölner Lokalpartei mit Spontanerfolg
Ein ähnlicher Senkrechtstarter, wenn auch im kleineren Maßstab, ist die Wählergruppe GUT aus Köln. Mit zwei Prozent Stimmanteil sitzt die 2016 gegründete Gruppe jetzt mit zwei Vertretern im Stadtrat. Gut warb im Wahlkampf für eine "konstruktive Beteiligung an den politischen Prozessen" in Köln. Als "Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern" vereinige man Menschen, die die Stadt "sozial und ökologisch lebenswert" gestalten wollten. Die Gruppe bezeichnet ihre Ziele als "antifaschistisch und antirassistisch".
"Die Partei" jetzt in etlichen Stadträten
Eigentlich als Spaßpartei angetreten, hat auch "Die Partei" nach der gestrigen Kommunalwahl immerhin 28 Ratssitze in NRW. Ganze zwei Prozent konnte die Partei in vielen Städten NRWs einfahren, in Köln und Essen auch 2,5 und in Hagen, Bielefeld oder Herford erreichte sie fast drei Prozent der Wähler. In Dortmund lag die Partei mit 2,8 Prozent gleichauf mit der FDP, im dortigen Rat hat sie mit drei Vertretern in größte Präsenz in NRW.
Wahlplakat der "Partei" in Köln
Mitgründer ist der ehemalige Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic", Martin Sonneborn. In Köln warb "Die Partei" mit Plakaten, auf denen Sprüche zu lesen waren wie "Klüngel den Profis überlassen" oder "Das kommt hier alles weg", aber auch "Nazis töten". Auf Blanko-Plakate konnten Bürger mit Filzstift eigene Sprüche schreiben.
Wähler sind experimentierfreudiger
Den Trend, dass bei Kommunalwahlen zunehmend kleinste Parteien oder Wählergruppen Erfolg haben, beobachten Parteienforscher schon länger. Vielen Wählern erscheine das Risiko, "dabei etwas falsch zu machen", auf kommunaler Ebene gering, sagt Michael Angenendt, Politikwissenschaftler am Institut für Parteienforschung der Heinrich Heine Universität Düsseldorf. "Die Bereitschaft, zu experimentieren" - und auch mal für eine Spaßpartei zu stimmen - , sei hier deutlich größer als etwa bei Landtags- oder Bundestagswahlen.
Im Vordergrund stehe beim Wähler das Bedürfnis, den etablierten Parteien damit "einen Denkzettel zu verpassen", so Angenendt. Denn bei Themen wie Klimaschutz würden viele den Grünen immer noch deutlich mehr Kompetenz zuschreiben - das hätten Umfragen ergeben. Zwar gilt auch die AfD gemeinhin als Protestpartei - auf kommunaler Ebene aber würden viele Wähler die Möglichkeit zum Protest eher bei den kleinen Parteien und Wählergruppen mit ihren "bürgernahen und sachbezogenen Themen" sehen.
Kommunalwahlen ohne Sperrklausel
Dass kleinste Parteien antreten und dann mit vergleichsweise wenigen Stimmen in Räte einziehen können, ist möglich, seit 2017 die sogenannte Sperrklausel abgeschafft wurde.
Konkurrenzdruck für die großen Parteien
Für die großen, etablierten Parteien, sagt Politikwissenschaftler Angenendt, sei dieser Zersplitterungstrend bei den Kommunalwahlen verheerend. Seit Jahren beobachten die Forscher hier einen Mitgliederschwund, der es Parteien wie CDU oder SPD künftig schwierig mache, überhaupt noch flächendeckend Ortsverbände aufrechtzuerhalten.
"Parteien wie Volt stoßen genau in diese Lücke", so Angenendt, seien Ersatzparteien und könnten für die Großen zum strukturellen Problem werden. Denn der jetzige Trend zu Miniparteien und Wählergruppen werde sich "so schnell nicht mehr umkehren lassen".