Schlips, das war sein letztes Wort! Jahrzehntelang gab es keine Diskussionen, wenn ein Mann, der ernst genommen werden wollte, zum Kleiderschrank ging. Der Griff zur Krawatte war dann unumgänglich. Diese Regel galt viele Jahrzehnte lang: in Politik und Wirtschaft, bei feierlichen Anlässen und seriösen Auftritten.
Doch die Ansichten und die Kleiderordnungen haben sich gelockert, und mit ihnen das obligatorische Stück Stoff um den Männerhals. Die Krawatte gehört längst nicht mehr überall zur Pflichtausstattung. Das merken auch die Produzenten und Importeure, und das schon seit Jahren.
Einer der Bereiche, in denen jahrzehntelang nichts ging ohne Krawatte, war die Politik. Das beweist ein Blick auf das erste Kabinett der Bundesrepublik aus dem Jahr 1949: Alle sind alt, alle sind männlich, alle sind weiß - und alle tragen Krawatten.
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Umsätze sinken dramatisch: Krawattenproduzenten haben einen Hals
Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts, die der Modeverband Germanfashion zur Verfügung stellte, sind die Krawattenimporte nach Deutschland in den zehn Jahren von 2014 bis 2023 um zwei Drittel geschrumpft. Demnach wurden 2014 noch 14,4 Millionen Krawatten und Fliegen in die Bundesrepublik importiert, 2023 waren es nur noch knapp 4,8 Millionen. Auch die Ausfuhren sind um knapp 60 Prozent geschrumpft - von 5,2 auf 2,1 Millionen Stück.
Derzeit gibt es nur noch einen Hersteller, der Krawatten in Deutschland produziert: Ascot aus Krefeld, der sich mit seiner Schwesterfirma Henley auf hochwertige Seidenkrawatten spezialisiert hat. Aber auch dort befindet man sich wirtschaftlich "in einem äußerst schwierigen Fahrwasser", sagte Ascot- Chef Jan Moese.
Home Office und Casual Wear verstärken Niedergang der Krawatte
Gründe dafür gibt es viele. Der Trend zu Casualwear sei seit Jahren ungebrochen, sagt Axel Augustin, Geschäftsführer des Handelsverbands Textil Schuhe Lederwaren in Köln. Krawatten würden nur noch selten getragen. Selbst in Politik und Wirtschaft sieht man immer öfter wichtige Akteure ohne Schlips und leger mit offenem Hemd.
Dazu kommt: Immer mehr Männer arbeiten im Home Office, und dort legt man eben weniger Wert auf Chic, als wenn man den Kolleginnen und Kollegen im Büro Auge in Auge gegenübertritt. Jogginghose statt Zweireiher heißt für viele das Motto in der Arbeitswelt.
Doch ganz abschreiben sollte man das Kleidungsstück, das seit dem 17. Jahrhundert Männerhälse ziert, auf keinen Fall. Denn schließlich gibt es immer noch festliche Anlässe, bei denen man als Krawattenabstinenzler zumindest auffällt, wenn nicht gar kritisch beäugt wird.
Entdeckt die junge Generation die Krawatte als "Provokation" für sich?
Und es gibt offenbar eine Gegenbewegung. Gerade in der jungen Generation meinen Fashion-Beobachter einen Trend zur Krawatte zu bemerken. Die Mode-Zeitschrift "Vogue" kommentiert die aktuelle Situation: "Der Mann ist zurück! Mit Anzügen und Krawatten empfiehlt der kommende Herbst eine Rückkehr zur traditionellen Maskulinität." Tatsächlich zeigen sich Popstars wie Harry Styles und Billie Eilish in letzter Zeit wieder regelmäßig mit Schlips. Die "Neue Züricher Zeitung", glaubt sogar, die Krawatte sei "zum Mittel der feinen Provokation mutiert. Wer cool ist, trägt das Symbol der einst Uncoolen zur Schau".
Bleibt nur noch eine Frage: Was tragen die heutigen Uncoolen: Weiße Sneaker? Oder sind es doch die engen Hosen? Denn wir wissen ja alle: Modeaccessoires sind wie Zombies - irgendwann kommen sie wieder.
Unsere Quellen:
- dpa
- Statistisches Bundesamt
- Vogue
- Neue Zürcher Zeitung
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 11.03.2024 auch im Hörfunk: WDR 5 Nachrichten, 8.30 Uhr.