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Das bedeutet die Bundestagswahl für die NRW-Landespolitik
Stand: 24.02.2025, 11:24 Uhr
Ein Beben in Berlin, das Folgen hat in Düsseldorf. Eine Analyse der Auswirkungen der Bundestagswahl auf die Landespolitik.
Von Sabine Tenta
Nach einem langen Wahlabend voller Ungewissheit herrscht nun Klarheit, wie die Mehrheitsverhältnisse im neu gewählten Deutschen Bundestag sind: Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) ist zwar Wahlsieger. Aber er hat sein Ziel, sich eine Koalition aussuchen zu können, ebenso verfehlt, wie ein Ergebnis von über 30 Prozent. Am Ende landete die Union bei 28,5 Prozent. Wenn es bei der Absage von Friedrich Merz an die AfD bleibt, dann kann er nur mit der SPD eine Mehrheit bilden.
Damit bleibt den Parteien und den Bürgerinnen und Bürgern eine quälende Sondierungsphase erspart und die Folgen für die Landespolitik in NRW treten klarer hervor.
Bye, bye Blaupause
Die CDU in NRW hat die 30-Prozent-Marke knapp geknackt und liegt mit 30,1 Prozent der NRW-Stimmen leicht über dem Bundesergebnis mit 28,5 Prozent. Das ist eine gute Nachricht für Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Doch seine "Blaupausen-Strategie" hat einen Dämpfer erhalten.
Während des Wahlkampfs schloss CSU-Chef Markus Söder kategorisch eine Koalition mit den Grünen aus. Wüst konterte stets mit dem Regierungsmodell aus NRW, der aus seiner Sicht erfolgreichen Zusammenarbeit von CDU und Grünen. Eine Koalition, die zur Blaupause für den Bund mutieren sollte. Doch dieses Koalitionsmodell haben die Wählerinnen und Wähler abgeräumt: Mit dem Scheitern von FDP und BSW an der Fünf-Prozent-Hürde reicht es nicht für Schwarz-Grün: Zu stark haben die Grünen dafür verloren und zu klar blieb die Union unter der 30-Prozent-Marke.
Jetzt müssen CDU und SPD zeigen, dass sie als Bundesregierung die großen Herausforderungen meistern. "Groko", also große Koalition, wird Schwarz-Rot dann wohl noch aus alter Gewohnheit genannt werden. Aber groß kann die Traditionspartei mit dem historischen Tiefpunkt im Wahlergebenis nicht mehr genannt werden.
Das Rot auf der NRW-Karte schrumpft
Die SPD ist im Bund auf 16,4 Prozent geschrumpft und hat mit 9,3 Prozent Einbußen am stärksten unter den Parteien der Ampelregierung verloren. Auch wenn die SPD in NRW auf exakt 20 Prozent kommt, sind die Verluste mit 9,1 Prozent in der gleichen Größenordnung.
Die roten Flecken der erzielten SPD-Direktmandate auf der NRW-Karte werden immer kleiner, auch in der "Herzkammer" der Sozialdemokratie, im Ruhrgebiet. Schwarz ist die dominierende Farbe. Besonders schmerzhaft für die Sozialdemokraten ist das Ergebnis in Gelsenkirchen, wo die AfD die meisten Zweitstimmen holte.
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Mützenich am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus
Selbst der Spitzenkandidat aus NRW, der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rolf Mützenich, ist erstmals knapp daran gescheitert, seinen Wahlkreis Köln III zu verteidigen. Der ging nun an Katharina Dröge von den Grünen.
Die Oppositionspartei im Düsseldorfer Landtag könnte Rückenwind aus Berlin gut gebrauchen. Schon im September stehen im bevölkerungsreichsten Bundesland Kommunalwahlen an. Dann muss die SPD zeigen, dass sie im Kampf um die Rathäuser und Kreistage ihre kommunale Basis stärken kann.
Ob dieser Rückenwind aber von der neuen Bundesregierung kommt, bleibt abzuwarten. Die Herausforderungen für den Bund sind gewaltig: Dazu gehören die Sicherheitspolitik in einer sich neu formierenden Weltordnung, die Wirtschaftslage und die Klimakrise - um nur drei Themen zu nennen, die beim Wahlkampf, der stark auf die Migrationspolitik fokussiert war, zu kurz kamen.
Die Grünen erleiden einen Berlin-Düsseldorf-Achsenbruch
Auch die Grünen schneiden in NRW leicht besser ab als im Bundesdurchschnitt: 12,4 Prozent hier im Vergleich zu 11,6 Prozent im Bund. Aber der Verlust der Regierungsverantwortung in Berlin dürfte schwerer wiegen als die Freude über diesen Zugewinn.
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Habeck und Neubaur
In NRW steht Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur einem "Superministerium" vor, mit den Zuständigkeiten für Wirtschaft und Klimaschutz. Als mit dem Antritt der Ampelregierung Robert Habeck (Grüne) ein spiegelbildliches Bundesministerium übernahm, schwärmte Neubaur von der Achse zwischen Düsseldorf und Berlin. Sie sollte die Transformation zur Klimaneutralität antreiben.
Bereits während der Ampelregierung lief diese Achse unrund: Die Kraftwerksstrategie von Robert Habeck für den dringend nötigen Bau von Gaskraftwerken als Backup für den Kohleausstieg ließ viel zu lange auf sich warten. Und als sie vorlag, musste Neubaur enttäuscht feststellen, dass sie zu klein ausgefallen war. All das gefährdet den Kohlausstieg 2030 in NRW.
Friedrich Merz hatte vor der Wahl angekündigt, die Bereiche Wirtschaft und Klimaschutz wieder trennen zu wollen. Wer auch immer dann welches Ministerium übernehmen wird, der "Achsenbruch" ist erst mal da.
Alles lässt sich ändern - auch der FDP-Vorsitz
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FDP-Wahlplakat
Nach einem langen Wahlabend ist die FDP am Ende deutlich mit 4,3 Prozent an der Sperrklausel gescheitert. Der Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat Christian Lindner zieht sich nicht nur vom Parteivorsitz, sondern auch von der Politik zurück. Damit tritt eine markante Persönlichkeit nach 25 Jahren von der Politbühne ab, die auch die NRW-Landespolitik prägte.
Hier zog Christian Lindner als damals jüngster Abgeordneter in den NRW-Landtag ein. Hier hatte er, nachdem die FDP aus dem Bundestag geflogen war, die parlamentarische Plattform, um die FDP zu profilieren und dann 2017 wieder in den Bundestag zu führen. Zuvor gelang ihm 2017 in NRW, die FDP zur Regierungspartei zu machen. Erstaunlich schnell verhandelte er mit Armin Laschet (CDU) den Koalitionsvertrag.
Christian Lindner polarisierte als Bundesfinanzminister und strikter Wächter der Schuldenbremse wie kaum ein zweiter Politiker der Ampelregierung. In der "D-Day-Affäre" fiel es dem Parteichef schwer, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass alles ohne sein Wissen geschah. Der Wahlkampfslogan der FDP lautete "Alles lässt sich ändern". Dies gilt nun auch für den Parteivorsitz und den Lebensweg von Lindner.
Die Wiederauferstehung der Linken
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Heidi Reichinnek jubelt am Wahlabend
Während Angela Merkel für ihre Strategie der "asymmetrischen Demobilisierung" bekannt war - also das gezielte Einschläfern des gegnerischen Lagers - hat Friedrich Merz mit seiner umstrittenen Abstimmung mit der AfD im Bundestag das genaue Gegenteil bewirkt: eine asymmetrische Mobilisierung, insbesondere des linken Lagers.
Nach der Abstimmung im Bundestag trat die linke Spitzenkandidatin Heide Reichinnek ans Rednerpult und hielt eine kämpferische Brandrede gegen die AfD und die CDU. Sie ging danach viral und erzielte millionenfache Abrufe. Tausende Neumitglieder strömten in eine Partei, die nach der Abspaltung des BSW ums Überleben kämpfte.
Auch in NRW scheint die Linke, die sich 2012 aus dem Landtag verabschiedete, und bei der letzten Landtagswahl 2021 nur 2,1 Prozent errang, förmlich wiederauferstanden zu sein. Die 8,8 Prozent bei der Bundestagswahl - in NRW schnitt die Partei ähnlich gut mit 8,3 Prozent ab - lässt nun 13 Linke aus NRW in den Bundestag einziehen.
AfD unter dem Bundestrend
Die AfD bleibt mit 16,8 Prozent in NRW unter dem Bundesergebnis, das bei 20,8 Prozent liegt. Und sie liegt noch unter den 18 Prozent, die die AfD im Schnitt in Westdeutschland erzielte. Der punktuelle Erfolg in Gelsenkirchen liegt wohl zu großen Teilen an der Schwäche der dortigen SPD.
Über dieses Thema berichten wir am Montag auch im WDR-Fernsehen und WDR-Hörfunk, zum Beispiel im WDR-5-Landesmagazin Westblick ab 17.04 Uhr.
Unsere Quellen:
- eigene Recherche
- infratest dimap