Bundesverfassungsgericht greift in Suche nach hohem Richter in NRW ein
Stand: 29.08.2024, 15:49 Uhr
Das Bundesverfassungsgericht hat die Besetzung eines der höchsten Richterposten in NRW in eine neue Runde geschickt. Für Justizminister Limbach ist das äußerst unangenehm, das quälend lange Verfahren geht weiter. Die Opposition sppricht von "einer Klatsche".
Von Philip Raillon
Seit drei Jahren ist das Oberverwaltungsgericht in Münster ohne Präsidenten. Jetzt ist klar: Es dürfte noch länger dauern, bis das höchste Verwaltungsgericht des Landes einen neuen Chef oder eine Chefin bekommt. Dafür haben die Bundesverfassungsrichter am Donnerstag heute in Karlsruhe gesorgt. Sie haben der Verfassungsbeschwerde eines unterlegenen Mitbewerbers teilweise Recht gegeben.
Der erfolglose Mitbewerber, selbst Richter am Bundesverwaltungsgericht, sah sich im Bewerbungsprozess benachteiligt. Dagegen ging er gerichtlich vor und hatte zunächst im maßgeblichen Eilverfahren verloren – ausgerechnet am zuständigen Oberverwaltungsgericht in Münster selbst. Ihm blieb danach nur noch eine Möglichkeit: Der Gang nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht.
Verfassungsbeschwerde gegen Eilentscheidung des OVG
Dort wehrte er sich gegen die Eil-Entscheidung der Münsteraner OVG-Richter. Zentraler Kritikpunkt: Das OVG habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Es habe eine eidesstattliche Versicherung von ihm – also dem Mitbewerber – quasi ignoriert.
Mit dieser Versicherung hatte er Kläger belegen wollen, dass NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) die Auswahl für den OVG-Chefposten nicht unvoreingenommen getroffen hatte. Konkret soll Limbach in einem persönlichen Gespräch mit dem unterlegenen Mitbewerber gesagt haben, die von Limbach am Ende ausgewählte Bewerberin habe einen „Vorsprung“.
Die Vermutung des unterlegenen Bewerbers: Limbach habe aus politischen Motiven gehandelt und sei daher voreingenommen gewesen. Das wäre rechtlich unzulässig, da bei Beamten ausschließlich nach sachlichen Kriterien entschieden werden darf.
Gericht hätte den Sachverhalt besser ermitteln müssen
Doch lässt sich aus diesem Gespräch eine voreingenommene Entscheidung des Ministers ableiten? Dies hätte das OVG in dem Eilverfahren genauer ermitteln müssen, so die Karlsruher Verfassungsrichter heute. Die Richter hätten das mit einer "nicht tragfähigen Begründung" abgelehnt. Weil sie das nicht taten, war die OVG-Entscheidung verfassungswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht folgte also an diesem Punkt dem unterlegenen Mitbewerber. Die Karlsruher Richter hoben die Eilentscheidung aus Münster auf und verwiesen den Fall zurück. Das heißt: Nun muss wieder das OVG in Münster in dem Eilverfahren entscheiden und diesmal genauer den Sachverhalt ermitteln.
Entscheidung befeuert politischen Streit
An anderen Punkten nahm die Erste Kammer des Zweiten Senats die Verfassungsbeschwerde nicht an. Der unterlegene Mitbewerber hatte noch weitere Mängel im Auswahlverfahren und die Erklärungen von Limbach, mit denen er die Auswahl der präferierten Bewerberin begründet hatte, angegriffen.
Im politischen Nordrhein-Westfalen dürfte die heutige Entscheidung aus Karlsruhe trotzdem den schwelenden Konflikt befeuern oder zumindest am Köcheln halten. Die Opposition hat bereits vor Monaten den Rücktritt des Grünen Ministers Limbach gefordert. Seit Juli arbeitet ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag das Thema auf.
Das OVG in Münster dürfte erstmal ohne Chef bleiben. Limbach kann die von ihm präferierte Bewerberin nicht zur Präsidentin ernennen, bis das Verfahren abschließend und rechtskräftig entschieden ist.
Ministerium: Es gab keine unzulässige Vorfestlegung durch Minister
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne)
In einer ersten Reaktion begrüßte das Justizministerium, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe so schnell entschieden habe. „Das Ministerium wird seinen Rechtsstandpunkt auch in dem neuen Durchgang vor dem Oberverwaltungsgericht Münster entschlossen vertreten und alles Notwendige zur weiteren Aufklärung beitragen“, so ein Sprecher gegenüber dem WDR. Eine unzulässige Vorfestlegung durch Minister Limbach habe es nicht gegeben.
Die Regierungsfraktionen schützen Limbach und heben hervor, dass man gemeinsam auf der Suche nach Reformen für die Besetzung von Spitzenrichtern sei. CDU-Ausschusssprecher Gregor Golland fordert außerdem, den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorerst auszusetzen. "Dem Parlament obliegt es nicht, richterliche Entscheidungen juristisch zu prüfen, schon gar nicht während eines laufenden Verfahrens", so Golland.
Unterstützung bekommt Limbach auch von ungewohnter Seite: Die AfD im Landtag glaube nicht, dass dem Minister ein Verschulden nachzuweisen sei, so AfD-Sprecher Hartmut Beucker. Vielmehr sei die Ernennung in eine Zeit des Regierungs- und Ministerwechsels gefallen, was Probleme verursacht habe.
SPD und FDP sehen sich in Kritik bestärkt
Die anderen Oppositionsfraktionen im Landtag sehen das grundlegend anders. Die Entscheidung aus Karlsruhe rücke die Landesregierung in schlechtes Licht. "Das Eis, auf dem sich Herr Limbach bewegt, ist inzwischen so dünn, dass er Konsequenzen ziehen sollte", so die SPD-Abgeordnete Elisabeth Müller-Witt.
Auch die FDP kritisiert: „Limbachs Scherbenhaufen wächst – und die Einschläge kommen näher", so der Fraktionsvorsitzende Henning Höne (FDP). Er fordert schnelle Transparenz von Limbach, auch zur Rolle der Staatskanzlei in dem Verfahren. Seine Fraktion setze auf den Untersuchungsausschuss. Dieser könne von dem nun erneut stattfindenden Gerichtsverfahren am OVG profitieren, so der rechtspolitische FDP-Sprecher Werner Pfeil.
Quellen:
- WDR-Reporter
- Bundesverfassungsgericht
- NRW-Justizministerium
- Pressemitteilungen von SPD, FDP und AfD
Über dieses Thema berichtet der WDR am 29.08.2024 auch in seinen Hörfunnknachrichten und der WDR 5-Sendung Westblick