Reporter Jochen Trum berichtet von der CDU-Deutschlandtour in Köln
Aktuelle Stunde . 01.03.2024. UT. Verfügbar bis 01.03.2026. WDR.
CDU diskutiert ihr neues Programm - Merz gibt sich entschlossen
Stand: 02.03.2024, 09:04 Uhr
Dass es grundsätzlich wird, lässt sich am Freitagabend schon vor dem Eingang des Gürzenichs in der Kölner Altstadt erkennen: Da protestieren gleich mehrere Gruppen, angemeldet und unangemeldet.
Von Jochen Trum
Auch "Fridays for Future" und Verdi ließen es sich nicht nehmen, zu Kundgebungen aufzurufen. Wie praktisch, wird sich manch ein Gewerkschaftsfunktionär gedacht haben, waren sie wegen des Warnstreiks im ÖPNV doch ohnehin gerade in der Nähe.
Die CDU im Saal kann sich damit trösten, dass die diversen Kundgebungen vor der Tür auch als Indikator für politische Relevanz gelesen werden können - viel Feind, viel Ehr‘. Auch wenn die Partei sich verärgert zeigt über Flyer, die in der Kölner Straßenbahn hingen: "Rechte Pläne aus der Mitte", hieß es dort. Versehen mit einer Kollage aus Logos von CDU und AfD.
Neue Kursbestimmung nach 17 Jahren
Im Saal ist die Losung, den Kurs der CDU unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz zu bestimmen. Das letzte Grundsatzprogramm der Partei stammt aus dem Jahr 2007, Zeit also, die Leitgedanken oder den Kern der Christdemokratie in Deutschland neu zu fassen.
"Wir nehmen die Menschen wie sie sind", donnert Generalsekretär Carsten Linnemann in den mit mehr als eintausend Mitgliedern gefüllten Saal, "und nicht wie sie sein sollen". Und: Man werde sich nicht in die rechte Ecke drängen lassen. "Wir sind nicht rechtsextrem, wir sind die Mitte", so Linnemann.
Proteste vor dem Gürzenich in Köln
Unter dem Titel "In Freiheit leben" hat die Grundsatzkommission unter seiner Leitung auf 74 Seiten beschrieben, mit welchen Themen die Union "Deutschland sicher in die Zukunft führen" will, wie es in der Überschrift heißt. Von christlichem Menschenbild über Klima bis zur Digitalisierung, von Verteidigung bis Migration ist so ziemlich alles dabei, was der CDU politisch in diesen Zeiten von Belang zu sein scheint.
"Mut zur Leitkultur!"
Erkennbar nimmt die Merz-CDU an einigen Stellen Kursveränderungen vor, die Ära Merkel soll auf diese Weise auch im Grundsatz für beendet erklärt werden: Humanität und Ordnung, unter diesen Schlagwörtern geht es künftig bei der Migrationspolitik strenger zu, Verfahren in Drittstaaten zum Beispiel stehen jetzt im Programm.
Auf die Option Kernkraft will die CDU ebenso wenig verzichten wie auf den Einsatz der Bundeswehr im Innern, über das bisher mögliche Maß hinaus. Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr taucht auf, im Geleit mit der Wiederkehr der "Leitkultur" - bei dem die Verantwortlichen für den Text wohlweislich bereits die Muskeln anspannen: Es brauche "Mut zur Leitkultur!", heißt es dort.
v.l.n.r.: Hendrik Wüst, Friedrich Merz, Ina Scharrenbach, Jens Spahn, Serap Güler und Carsten Linnemann
Gleich 36 Mal taucht das Wort "Familie" auf, auch hier will die CDU an ihrer Tradition keine Zweifel aufkommen lassen: "Wir stehen zum Leitbild von Ehe und Familie", formuliert das Papier. Bekenntnisse zur sozialen Marktwirtschaft und zur Europäischen Union, zum Existenzrechts Israels, zum Leistungsgedanken und einem funktionierenden Staat sind so überraschend wie ein Amen in der Kirche.
"Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland", schreibt die Partei nun und bleibt damit hinter dem viel zitierten "der Islam gehört zu Deutschland" von einst erkennbar zurück.
Die Partei sei für geschlechtergerechte Sprache, "grammatikalisch falsche Gender-Sprache" aber solle in "Behörden, Schulen, Universitäten und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk" nicht verwendet werden. Über die Bedeutung dieses Themas für ein Grundsatzprogramm gehen die Meinungen innerhalb der Partei auseinander, Friedrich Merz aber hinterlässt damit seine eigene Duftmarke - zur Freude vieler Konservativer.
Merz will bürgerliche Mitte zusammenhalten - und Kanzler werden
In seiner Rede erinnert der Partei- und Fraktionschef daran, dass die CDU vor bald 80 Jahren in Köln gegründet wurde. Er beschwört die gemeinsame Geschichte von Partei und Republik. Einmal mehr wird deutlich, dass sich die Union stets als prägendste politische Kraft im Land verstanden hat.
Opposition, das sehen viele so, ist für die Partei eben nicht der Normalzustand. "Die bürgerliche Mitte zusammenzuhalten", so Merz, "das ist unser historischer Auftrag". Und einmal in Fahrt gekommen: Die Belehrungen von SPD und vor allem Grünen seien die Leute leid.
Angesichts der Umfrageschwäche der Ampelparteien wittert die Union Morgenluft. Dass der Kanzlerkandidat Friedrich Merz heißen wird, gilt als so gut wie sicher. Der minutenlange, stehende Applaus im Gürzenich für ihn lässt sich so verstehen.