Das Lützerath-Dilemma der NRW-Grünen
Stand: 23.09.2022, 20:10 Uhr
Dass die Ortschaft Lützerath erhalten bleiben soll, war für die NRW-Grünen lange glasklare Position. Nun sind sie aber in der Landesregierung - und Klimaaktivisten bemängeln fehlendes Engagement gegen die Abbagger-Gefahr. Eine Analyse.
Von Samuel Acker und Moritz Börner
Im September reichten die Grünen für den NRW-Landtag einen Antrag ein: Durch ein "Vorziehen der Beendigung des Braunkohleabbaus bis 2030" solle erreicht werden, dass "auch das Dorf Lützerath sicher erhalten bleibt". Klare Position - nur: Der Antrag stammt aus dem September 2021.
Ziemlich genau ein Jahr später sind die Grünen in Nordrhein-Westfalen als Juniorpartner in einer Regierung mit der CDU. Vergangene Woche besetzten Klimaaktivisten Grünen-Büros in NRW und forderten explizit von der Partei, sich stärker für den Erhalt von Lützerath einzusetzen. Und für heute mobilisierten unter anderem der BUND und Fridays for Future zu einer Sitzblockade vor dem grün geführten Wirtschaftsministerium in Düsseldorf auf, unter dem Motto "Lützerath ist unverhandelbar". Was ist da los?
Kaum Bewohner, enorme Symbolik
Lützerath, eine Ortschaft in Erkelenz, ist eines der Dörfer, die für den Braunkohle-Tagebau Garzweiler II des Energiekonzerns RWE weichen sollen. Nur noch ein Landwirt und hinzugekommene Klimaaktivisten leben dort, dennoch ist der Ort mit enormer Symbolkraft aufgeladen: Greta Thurnberg, die globale Klima-Ikone schlechthin, war vor fast genau einem Jahr zu Besuch. Klimaschützer betonen: Sollte die Braunkohle unter Lützerath abgebaggert und verwendet werden, sei dies fürs Klima katastrophal.
Im März hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster allerdings entschieden: Lützerath darf für den RWE-Tagebau abgebaggert werden. Juristisch wurde damit viel Entscheidungskraft dem Energiekonzern zugesprochen.
Kein expliziter Schutz im Koalitionsvertrag
Im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen heißt es: "Alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts werden wir erhalten. Die Tagebauplanung für den Tagebau Garzweiler muss dementsprechend zeitnah angepasst werden."
Lützerath gehört zum zweiten Umsiedlungsabschnitt, ein explizites Bekenntnis zu seinem Schutz gab es von Schwarz-Grün also nicht. Stattdessen besagt der Vertrag: "Die weitere Tagebauführung in Garzweiler und Hambach soll unter Berücksichtigung aller Massenbedarfe so gestaltet werden, dass die Flächeninanspruchnahme auf ein Minimum begrenzt wird."
Klimaaktivisten reicht das nicht, schon im Juni, als der Vertrag vorgestellt wurde, machten sie ihrem Ärger Luft. „Das Fehlen einer klaren Aussage zur Ortschaft Lützerath ist (...) ein Fehler“, schrieb der BUND in NRW. Beim Landesparteitag der Grünen in Bielefeld, bei dem über die Koalition mit der CDU abgestimmt wurde, wurde die damalige Grünen-Spitzenkandidatin und heutige NRW-Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur von wütenden Protestlern der Gruppe "Lützerath lebt" empfangen.
Kritik durch junge Grüne
Dass die Rettung des Ortes nicht explizit im Koalitionsvertrag festgehalten ist, nannten beim Parteitag einige junge grüne Delegierte als Grund dafür, den Vertrag abzulehnen. Am Ende votierte dennoch eine deutliche Mehrheit der Stimmberechtigten für eine schwarz-grüne Regierung - doch dass Lützerath für die NRW-Grünen ein unbequemes Thema bleibt, war abzusehen.
Tim Achtermeyer, neuer NRW-Landeschef der Grünen, hat familiäre Verbindungen ins Rheinische Kohlerevier bei Aachen. Er sagte dem WDR im Juni zu Lützerath, man müsse weiter auf Verhandlungen mit RWE setzen. "Wir erwarten aber auch, dass RWE da nicht einfach eine Totalblockade macht, sondern weiterhin mit uns auf dem Weg geht, klimaneutral zu werden in NRW", so Achtermeyer.
Überraschendes Signal aus Berlin
Überraschende Rückendeckung für den Erhalt von Lützerath kam vor zwei Monaten aus Berlin: Der Bundestag sprach sich für den Erhalt der Ortschaft aus. Wörtlich heißt es: "Der Deutsche Bundestag befürwortet (...) den Erhalt des Dorfes Lützerath am Tagebau Garzweiler und den Verzicht auf die Nutzung der Braunkohle unter dem Dorf." Dieses Statement gibt NRW-Wirtschaftministerin Mona Neubaur für die Verhandlungen mit dem Energiekonzern RWE neue Schlagkraft. Die Landesregierung arbeitet derzeit an einer neuen Leitentscheidung zu Garzweiler II.
Die Zeichen stehen auf Streit
Doch Klimaaktivisten gehen die Verhandlungen nicht schnell genug - das zeigen die Besetzungen von Grünen-Büros in NRW vergangene Woche. Und das wird auch daran deutlich, dass heute beim globalen Klimastreik Aktivisten von Fridays for Future und "Lützerath lebt" gemeinsam mit dem BUND und der "Klima-Allianz Deutschland" zu einer Mahnwache und symbolischen Sitzblockade vor dem NRW-Wirtschaftsministerium aufgerufen haben.
Allerdings waren heute gegen 16 Uhr nur wenige Demonstranten vor dem Ministerium zu sehen. Aufsehen erregte das sechs Meter große Modell eines Kohlebaggers. Ein Aktivist, der nicht seinen bürgerlichen Namen nennen wollte, sagte dem WDR: "Ich war jetzt zwei Jahre lang in Lützerath bei dem Widerstand dabei, und ich habe das nicht gemacht, um jetzt zu gehen. Ich werde mich da auf jeden Fall wegtragen lassen." Nach Angaben der Düsseldorfer Polizei zogen am Freitagabend schließlich rund 1.300 Aktivisten der Bewegung vom Landtag zum Wirtschaftsministerium, um die Demonstrierenden für Lützerath zu unterstützen. Der Protest sei friedlich verlaufen.
BUND: Lützerath ist "Nagelprobe der schwarz-grünen Koalition"
Bei der Versammlung am Nachmittag vor dem Ministerium sagte Dirk Jansen, Sprecher des BUND NRW, gegenüber dem WDR: "Lützerath wird zur Nagelprobe der schwarz-grünen Koalition werden. Wird Lützerath abgebaggert, wird dort Braunkohle gefördert, dann werden wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen." Die "hehren Ziele" der neuen Regierungskoalition seien in einem solchen Fall nur "Schall und Rauch", so Jansen.
Neubaur unterhält sich mit Aktivisten
Im Laufe des Nachmittags zeigte sich Wirtschaftsministerin Mona Neubaur persönlich vor dem Ministerium und unterhielt sich mit Aktivisten. Eine Zusage, dass der Ort Lützerath erhalten bleiben soll, gab sie aber nicht, nur soviel: Man halte an dem Ziel fest, bis 2030 aus der Braunkohleverstromung auszusteigen.
Die Interaktion passt zu Neubaurs Linie aus den vergangenen Monaten. Die Ministerin hatte in Gesprächen mit Aktivisten immer wieder betont, sie wolle beim Erhalt von Lützerath nichts versprechen, was sie später nicht auch einhalten könne. Insbesondere die OVG-Entscheidung pro RWE habe den politischen Spielraum erheblich verkleinert.