An diesen Schockmoment im Frühjahr 2020 erinnern sich noch viele: Als klar wurde, dass eine potentiell tödliche Infektionswelle auf uns zurollt, gegen die es kaum Schutz gibt - außer, man hält viel Abstand zu seinen Mitmenschen. Oder man trägt eine Maske. Doch genau diese Masken waren im Nu verbraucht. Und Nachschub gab es nicht. Medizinisches Personal, vulnerable Gruppen, alle standen schutzlos vor der Bedrohung einer tödlichen Atemwegskrankheit.
Fatale Abhängigkeit
Die Frage, was Deutschland aus der Corona-Pandemie gelernt hat, führt nach Unna zur Firma D/Maske. Bis zur Pandemie hatte die Firma im östlichen Ruhrgebiet Folien für den Bürobedarf hergestellt. Geschäftsführer Daniel Lamping folgte den eindringlichen Appellen aus der Politik, eine heimische Maskenproduktion aufzuziehen und sich aus der Abhängigkeit von China zu lösen.
Mehr als hundert Kleinbetriebe und Mittelständler folgten diesen Appellen, investierten Millionen und hatten am Ende eine Produktionskapazität von 4,1 Milliarden FFP2-Masken pro Jahr aus dem Boden gestampft – was dem kompletten Jahresbedarf für Deutschlands Bevölkerung entspricht. Den Kauf der Maschinen hatte die Bundesregierung mit 100 Millionen Euro gefördert, zwei Drittel der Kosten mussten die Firmen selbst aufbringen – plus Investitionen für Gebäude und Personal.
Im Herbst 2020 startete bei D/Maske die Produktion. Geschäftsführer Lamping hatte bis zu 60 Arbeitskräfte eingestellt. In zwei Schichten arbeiteten sie an sechs Maschinen, die Lamping aus Taiwan besorgt hatte. Insgesamt 20 Millionen Masken wurden in Unna produziert, für die Bundesregierung, für Luxemburg, für die Behörden einiger Bundesländer.
Heute stehen die Maschinen still. "Hier arbeiten keine Menschen mehr", erzählt Daniel Lamping bedauernd dem WDR. Von den sechs Maschinen sind nur noch zwei vorhanden. "Wir haben auf Minijob-Basis die besten Maschinenführer halten können", so Lamping weiter. Doch sie sorgen nur gelegentlich dafür, dass die teuren Geräte betriebsbereit bleiben. Ab und zu gibt es noch kleinere Aufträge. Was fehlt, sind die großen öffentlichen Aufträge.
Öffentliche Aufträge bleiben aus
So wie Lamping geht es den meisten Firmen, die damals in die Maskenproduktion eingestiegen sind. 120 dieser Neulinge hatten sich seinerzeit im Maskenverband Deutschland organisiert. Heute sind noch etwa 60 Unternehmen im Verband, aktiv produziert werde nur noch "in einer Handvoll Firmen", wie die Verbandsfunktionärin Julia Jäcklin dem WDR sagt. Viele haben das Geschäft aufgegeben oder sind pleite gegangen und haben viel Geld verloren. Das Wort von der „hinterhältigen Förderung“ machte die Runde. Was ist da passiert?
Bis auf medizinisches Personal in Krankenhäusern, Arztpraxen oder beim Rettungsdienst benötigt heute kaum noch jemand regelmäßig Masken. "Wir brauchen große öffentliche Aufträge", sagt Daniel Lamping von D/Maske. Warum bleiben sie trotz vollmundigen Bekenntnisses zur inländischen Produktion aus?
Nationale Reserve für Gesundheitsschutz
Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte den Aufbau einer "Nationalen Reserve Gesundheitsschutz" (NRGS) angekündigt. Darin sollen, neben Masken und weiterer persönlicher Schutzausrüstung, auch Medikamente und Verbandmaterial in so ausreichender Menge vorgehalten werden, dass sich eine Schutzlosigkeit wie zu Beginn der Corona-Pandemie nie wiederholt. Drei Beschlüsse des Bundeskabinetts gibt es dazu, sogar im Koalitionsvertrag der Ampel ist das Thema angesprochen.
Aus dem Ministerium von Karl Lauterbach (SPD), federführend für die NRGS, heißt es lakonisch, das Thema stehe "unter Finanzierungsvorbehalt". Vorratshaltung ist kostspielig. 105 Millionen Masken hat der Bund gegenwärtig eingelagert. Und irgendwann läuft die Haltbarkeit ab. Nach zwei bis drei Jahren funktioniert die Filterwirkung und damit der Schutz nicht mehr. Was dann geschieht, wie die künftige Bevorratung laufen soll, wie der Bund dabei mit Ländern und Kommunen zusammenarbeitet – alles offen.
Leere Lager in NRW
Nordrhein-Westfalen, das selbst einen Vorrat an Masken und Schutzausrüstung angelegt hatte, hat just 3,5 Millionen Masken "thermisch verwertet", wie das Landesgesundheitsministerium mitteilt. Die nun komplett leere Reserve an Masken und Schutzanzügen wird erstmal nicht wieder aufgefüllt.
"Eine mögliche Landesreserve", schreibt das Ministerium dem WDR, könne "in ihrer Zusammensetzung eine Bundesreserve allenfalls ergänzen". Düsseldorf wartet also auf Berlin. Und Berlin hat gerade Geldsorgen. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen seien Produktionsstätten in Deutschland und Europa, auch aus Sicht des Landes NRW, sinnvoll, lässt das Landesministerium wissen.
Doch die so schnell aufgezogene Maskenproduktion ist, abgesehen von einigen Großherstellern, die es schon vor der Pandemie gab, wieder in der Versenkung verschwunden. Wer heute Masken kauft, erhält meist wieder Produkte aus China.
Das liege am Vergaberecht, erklärt der Maskenverband Deutschland, das den sparsamen Umgang mit öffentlichem Geld stark betont. Zwar seien in Deutschland produzierte Masken nur wenige Cent teurer als solche aus China. Aber bei den gewaltigen Stückzahlen summieren sich die Centbeträge schnell zu Hunderttausenden oder Millionen Euro.
Frankreich schaut nicht nur auf den Preis
Frankreich hat seine Behörden angewiesen, nur noch Masken aus europäischer Produktion zu kaufen. Der Preis soll nach einem Erlass des Gesundheitsministeriums in Paris nur noch zu 25 Prozent in die Vergabeentscheidung einfließen. Stattdessen werden auch stabile Lieferketten, gute Sozialstandards und der CO2-Fußabdruck berücksichtigt.
Die meisten vom WDR angefragten Städte und Landkreise entscheiden streng nach Preis. Nur die Feuerwehr in Köln und die Städteregion Aachen legen Wert auf europäische oder gar inländische Produktion. "Aufgrund der Erfahrungen während der Corona-Lage wurde der Produktionsraum für FFP2-Masken auf den EU-Mitgliedsraum begrenzt, um möglichen Versorgungsengpässen proaktiv entgegenzuwirken", schreibt die Stadt Köln.
Für D/Maske in Unna sind die sporadischen Lichtblicke zu wenig. Wie lange Daniel Lamping noch an seinen letzten Maschinen festhält, ist offen.
Über das Thema berichten wir am 25.07.2024 u.a. im Westblick auf WDR 5.