Immer weniger Betriebe und Arbeitgeber lassen sich darauf ein, ihre Löhne nach einem festgelegten Tarifvertrag zu zahlen. Zwar gilt im Öffentlichen Nahverkehr eine Tariftreueregelung mit festen Abmachungen zur Lohnzahlung. In vielen anderen Branchen dagegen herrscht ein Trend zum Lohndumping - beispielsweise in der Gebäudereinigung, bei den Sicherheitsdiensten, im Baugewerbe oder in der Gastronomie.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) NRW hat am Dienstag nocheinmal an die NRW Landesregierung appelliert, ein sogenanntes Tariftreuegesetz zu erlassen. Tarifbindung gebe Beschäftigten mehr Sicherheit, mache Berufe deutlich attraktiver, sagte Anja Weber, Vorsitzende des DGB NRW, auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Sie sorgten für "Augenhöhe zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern" und seien deshalb auch wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Mit guten Löhnen nicht wettbewerbsfähig
Arbeitgeber, die sich an feste Tarife halten, seien mittlerweile oft nicht mehr wettbewerbsfähig, sagte Weber. Viele tarifgebundene Betriebe würden sich nicht für öffentliche Aufträge bewerben, weil sie neben anderen Arbeitgebern mit niedrigen Lohnkosten keine Chancen hätten.
"Ministerpräsident Wüst hat vor knapp einem Jahr ein Tariftreuegesetz versprochen", sagte Weber, es werde jetzt Zeit, das umzusetzen.
Auf WDR-Nachfrage erklärte ein Sprecher des Arbeitsministeriums, das Gesetz liege als Entwurf vor und befinde sich zurzeit in der Abstimmung.
NRW hatte mal gute Tradition
Jahrzehntelang sei NRW ein Land mit hoher Tarifbindung gewesen, sagte Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Das sei längst vorbei: Nur noch 51 Prozent der Beschäftigten in NRW werden heute noch nach Tarifvertrag bezahlt, gerade mal ein Viertel der Betriebe zahle tarifgebundene Löhne - eine "dramatische Entwicklung", so Schulten.
Laut einer Erhebung des DGB verdienen Angestellte in Betrieben ohne Tarifvertrag 8,5 Prozent weniger Geld. Ein mittleres Bruttomonatsgehalt mit Tarifbindung liegt laut WSI bei 4.180 Euro, ohne Tarifbindung dagegen bei 3.470 Euro.
Amazon und Tesla stigmatisieren Tarifbindung
Gründe dafür gebe es viele, sagte Schulten: Traditionelle, gut bezahlte Industriearbeitsplätze verschwinden aufgrund des Strukturwandels. Statt dessen entstünden neue Branchen und Bereiche "ohne diese Tradition". Unternehmen wie Amazon oder Tesla hätten außerdem dazu beigetragen, dass Tarifbindung als "altbacken" angesehen werde, als "Ideologie".
Vorbilder für ein Tariftreuegesetz gebe es in anderen Bundesländern, sagte Schulten. Zwar hätten Bayern und Sachsen gar kein solches Gesetz, ein gutes Beispiel aber sei das Saarland, wo "Kernbranchen" durch die Landesregierung definiert und die wesentlichen Regelungen in einer Rechtsverordnung vorgegeben seien.
Idealerweise aber müsse die Bundesregierung hier voran gehen, so Schulten. Er ist Mitinitiator eines Aufrufs an die "politischen Parteien der künftigen Koalitionsregierung", Maßnahmen zu einem Bundestariftreuegesetz in ihren Koalitionsvertrag aufzunehmen. 124 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Deutschland haben unterschrieben.
Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sind unterdessen in der Nacht zu Dienstag vorerst gescheitert. Seit Freitag lief in Potsdam die dritte Verhandlungsrunde für mehr als 2,5 Millionen Menschen, die etwa in Kliniken oder Kitas, Flughäfen oder Nahverkehr, Bädern oder Pflegeeinrichtungen, Klärwerken oder Abfallbetrieben arbeiten. Am Montagabend kündigte die Verhandlungsführerin des Bundes, Innenministerin Nancy Faeser (SPD), an, dass die Schlichtung eingeleitet werde.
Quellen:
- Pressekonferenz des DGB NRW am 18.03.2025 in Düsseldorf
- Statement Ministerium für Arbeit
- Presseagentur DPA