Vielen Hebammen droht nach Schiedsspruch das finanzielle Aus

Stand: 24.04.2025, 09:49 Uhr

Ab November rechnen Krankenkassen die Arbeit von Hebammen anders ab. Vielen droht das finanzielle Aus. Die Politik ist alarmiert.

Von Philip Raillon

Jahrelang wurde über die Hebammenvergütung verhandelt, ohne Erfolg. Anfang April entschied nun die Schiedsstelle von Krankenkassen-Spitzenverband (GKV) und den Hebammen-Berufsverbänden. Das Ergebnis ist eine andere Abrechnungsweise. Davon sollen die freiberuflichen Hebammen profitieren. Bei manchen klappt das wohl, bei den Dienst-Beleghebammen führt es zu einem Minus.

Hebammen in mehreren Kliniken in NRW sind betroffen

„Wir rechnen mit bis zu 30 Prozent weniger Einnahmen“, sagt Melanie Michelius. Sie ist Dienst-Beleghebamme im St. Vincenz-Krankenhaus in Datteln. Dienst-Beleghebammen sind selbstständige Hebammen, die sich selbst organisieren und in Eigenregie in Kreißsälen arbeiten.

Neben der Klinik in Datteln gibt es sie in NRW zum Beispiel in Bonn, Herne, Bensberg, Paderborn und Coesfeld. Dort scheint das Fazit zum neuen Hebammenhilfevertrag ähnlich auszufallen. In Bonn etwa erwarten die Hebammen ein Minus von 25 Prozent.

Die beschlossene Umstellung könnte schwere Folgen haben. Wenn die Hebammen künftig deutlich weniger verdienen, bedeutet es für manche wohl das finanzielle Aus. Denn die Lebenshaltungskosten und andere Ausgaben bleiben gleich. Die bisherigen Vergütungen waren bereits seit Jahren nicht mehr gestiegen.

Manche Hebammen müssten wohl aufgeben

„Bei uns müsste ein Drittel ernsthaft überlegen, ob sie weiterarbeiten können“, sagt Rebekka Sanne aus Bonn. In Datteln sind es sogar rund zwei Drittel. Wichtig: Das gilt nur für den Fall, dass die Vergütung tatsächlich, wie beschlossen, ab November sinkt. Das wollen die Hebammen verhindern und planen Proteste.

„Die Beleghebammen leisten hochmotiviert ihre Arbeit und müssen jetzt Vergütungsverluste hinnehmen. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund“, sagt Wolfgang Müller, Geschäftsführer der St.-Vincenz Klinik in Datteln und Vorsitzender des Hauptausschusses in der nordrhein-westfälischen Krankenhausgesellschaft.

Krankenkassen-Verband: Fokus auf eins-zu-eins Betreuung

Er fordert von den Krankenkassen eine Erklärung. Auf Anfrage begründet der GKV-Spitzenverband die neue Vergütungsstruktur mit einem Fokus auf die Eins-zu-eins-Betreuung. Heißt: Wenn eine Hebamme nur eine Schwangere - quasi exklusiv - betreut, bekommt sie dafür künftig mehr Geld. Wenn sie das zwei Stunden vor und nach der Geburt macht, gibt es einen weiteren Zuschlag.

Immer mehr Entbindungsstationen werden geschlossen | Bildquelle: Imago/Sven Simon

„Eine Eins-zu-eins Betreuung ist wunderschön, wenn wir genügend Hebammen hätten“, sagt Melanie Michelius. Hebammen seien schon jetzt Mangelware, selbst bei Parallelbetreuung. Die Dienst-Beleghebammen profitieren von dem Eins-zu-eins-Fokus der geplanten Anhebung nicht.

Im Kreißsaal betreut eine Dienst-Beleghebamme parallel mehrere Schwangere. Sie kann weitere Kolleginnen bei Bedarf hinzurufen und Zusatzleistungen abrechnen. Das rechnete sich, weil die Parallelbetreuung besser bezahlt wurde.

Dienstbeleg-System rechnet sich bislang durch Parallelbetreuungen

Das lasse sich auch kaum umstellen, da Geburten nicht planbar sind. Um von der besseren Bezahlung für Eins-zu-eins-Betreuung zu profitieren, müssten immer genug Hebammen in Bereitschaft sein. Sie müssten kurzfristig ins Krankenhaus fahren können und dort die Betreuung übernehmen. Dann würde die Krankenkasse mehr zahlen, sonst nicht.

Doch das sei reine Theorie und kaum umsetzbar, sagt Melanie Michelius aus Datteln. „Und selbst dann würden wir als Dienst-Beleghebammen am Ende weniger verdienen“, hat Rebekka Sanne für Bonn ausgerechnet. Das liege an der künftig anderen Abrechnungsweise, bei der etwa Einzelabrechnungen durch Pauschalzahlungen ersetzt werden.

Betreuung von Schwangeren künftig womöglich gefährdet?

Der Ausblick ist bitter. Sollte die Vergütung ab November sinken und Hebammen ihren Job aufgeben, könnten wohl nicht mehr alle Schwangeren betreut werden. Alternativmodelle gebe es kaum, da Hebammen insgesamt fehlen.

Die Neuregelung sei so wenig nachvollziehbar, dass sie noch korrigiert werden müsse, glaubt der Dattelner Klinik-Chef Wolfgang Müller. „Rechtzeitig vor dem 1. November“, fordert er. Zuständig wären die Krankenkassen und die Berufsverbände, die dies gemeinsam regeln müssten. Die Berufsverbände sehen das Thema aber unterschiedlich, da nicht alle Verbände Dienst-Beleghebammen repräsentieren.

Warnende Worte kommen aus der NRW-Politik. Das Gesundheitsministerium (MAGS), will zwar die neuen Vergütungen nicht kommentieren, hebt aber die Rolle der Dienst-Beleghebammen für die NRW-Geburtshilfe hervor.

NRW-Politik fordert Anpassungen zur Stärkung der Geburtshilfe

Deutlicher werden Fachpolitiker: „Die neue Vergütungsvereinbarung verschärft die angespannte Situation erheblich“, sagt Susanne Schneider, FDP-Politikerin. Die klinische Geburtshilfe stehe an mehreren Standorten auf dem Spiel. CDU-Gesundheitspolitiker Marco Schmitz befürchtet punktuelle Engpässe und fordert, die Entwicklung genau zu beobachten.

AfD-Fraktionschef Martin Vincentz kritisiert die neue Regelung, den Hebammenhilfevertrag: „Der Vertrag verkennt, dass es nicht um Ideale geht, sondern um Machbarkeit.“ Er fordert insbesondere, die Parallelbetreuung durch Dienst-Beleghebammen weiter angemessen zu bezahlen.

Lisa-Kristin Kapteinat | Bildquelle: WDR/privat/Judith Buethe

Trotz Schiedsspruch könne neuverhandelt werden, wenn andernfalls die Gesundheitsversorgung gefährdet sei, heißt es von der Düsseldorfer SPD-Fraktion. „Ich kann nur alle Beteiligten dazu auffordern, dringend zu überdenken, was sie da fataler Weise auf den Weg gebracht haben“, sagt SPD-Politikerin Lisa Kapteinat.

Quellen:

  • WDR-Recherche
  • Hebammenhilfevertrag vom 2.4.2025
  • Interview mit Dienst-Beleghebammen
  • Anfrage an GKV-Spitzenverband
  • Interview mit St.-Vincenz Krankenhaus Datteln
  • Anfrage an NRW Krankenhausgesellschaft
  • Anfragen an NRW-Landtagsfraktionen

Über dieses Thema berichtet der WDR am 24.04.2025 auch im Hörfunk auf WDR 5 in der Sendung Westblick.

Kommentare zum Thema

  • Maria Preßentin 24.04.2025, 12:13 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • Maike 24.04.2025, 11:53 Uhr

    Warum ist die Arbeit und der Einsatz von Beleghebammen nur 80% und nicht 100% wert? Was sage ich Patientin Nr.2 und 3 die mit Blutung, Wehen, Ängsten an der Kreisssaaltür steht? Bitte warten, bis ich in 4 Stunden die 1:1 Bezreuung abgeschlossen habe? Warum ist eine 2te Betreuung nur noch 30% Vergütung wert? Habe ich dann auch nur noch 30% Verantwortung??? Abgestraft, weil ich mich kümmere! Kaum jemand ist beteit am Wochenende und nachts zu arbeiten- dafür, dass wir bereit sind Tag und Nacht da zu sein, wird der Zuschlag gekürzt! Das ist absolut nicht nachvollziehbar und ein Schlag ins Gesicht für alle Beleghebammen. So wird Geburtshilfe aussterben! Danke GKV, BfHD und Netzwerk- für die unglaubliche Wertschätzung! Ich war selten so enttäuscht und wütend!

  • Phillip 24.04.2025, 11:00 Uhr

    Die AfD muss in so einem Artikel aber nicht zu Wort kommen. Für eine rechtsradikale Partei die unsere liberale Gesellschaft zerstören möchte bekommt sie eh schon viel zu viel Redezeit in den Medien.

    • Sandra 24.04.2025, 12:44 Uhr

      @Phillip, inwieweit hat ihr Kommentar mit dem Thema zu tun? NICHTS. Zum Thema: unser Gesundheitswesen ist so kaputt, da wundert mich gar nichts mehr. Am besten keine Kinder bekommen, dann geht's. (Wer Ironie findet, darf sie gerne behalten)