Urlaubsreisen im Flutsommer: Landesregierung in Erklärungsnot
Stand: 13.04.2022, 14:59 Uhr
Wegen der Mallorca-Affäre musste NRW-Umweltministerin Heinen-Esser zurücktreten. Kommunalministerin Scharrenbach (beide CDU) steht weiter in der Kritik. Auch ihr Staatssekretär war während der Flut im Urlaub. Die SPD fordert Konsequenzen.
Von Marc Steinhäuser, Martin Teigeler und Niklas Schenk
NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach steht wegen ihrer Teilnahme an einer Feier der zurückgetretenen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (beide CDU) auf Mallorca weiter in der Kritik. Wie die "WAZ" berichtete, war auch Scharrenbachs Staatssekretär Jan Heinisch (CDU) im Flutsommer 2021 im Urlaub - nicht auf Mallorca, sondern in Frankreich. Von dort kommentierte er das Geschehen.
Das Kommunalministerium bestätigte, dass Heinisch vom 3. bis 25. Juli in Frankreich im Urlaub gewesen ist. Auch der Feuerwehrverband, dessen ehrenamtlicher Landesvorsitzender Heinisch ist, war nach eigenen Angaben über die Abwesenheit informiert.
Staatssekretär soll vor Untersuchungsausschuss
Jan Heinisch kommentierte aus dem Frankreich-Urlaub
Als Verbandschef hatte sich Heinisch nach Beginn der Katastrophe Mitte Juli per Pressemitteilung über den Einsatz seiner Kollegen geäußert: "Wir werden auch in den nächsten Tagen noch gebraucht werden. Wir sind dankbar, dass tausende Feuerwehrleute, auch aus Nachbar-Bundesländern, hier weiterhin durchhalten. Unsere Frauen und Männer haben Großartiges geleistet und tun es noch weiter. Bei aller notwendigen Konzentration auf die Einsatzlage sind unsere Gedanken aber auch immer wieder bei den Familien unserer toten Kameraden." Das klang so, als sei da ein spürbar betroffener Feuerwehr-Funktionär nah dran am Geschehen - tatsächlich aber weilte Heinisch im Urlaub.
Kutschaty nennt Verhalten "zynisch"
SPD-Landes- und Fraktionschef Thomas Kutschaty bezeichnete Heinischs "Solidaritätsverlautbarungen aus dem Ausland" als "zynisch". So ein Verhalten gehöre sich nicht. Kutschaty, der auch Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl ist, erinnerte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) an dessen indirekte Rücktrittsaufforderung in Richtung der dann auch als Bundesfamilienministerin abgetretenen Frankreich-Urlauberin Anne Spiegel (Grüne). "Herr Wüst muss sich jetzt beim Wort nehmen lassen und selbst in seinem eigenen Laden für Ordnung sorgen."
Die SPD will den CDU-Politiker Heinisch sowohl wegen seiner Rolle als Staatssekretär als auch Verbandschef vor den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe zitieren. Auch Ex-Umweltministerin Heinen-Esser soll am 22. April erneut vor dem Gremium aussagen. Diese hatte unter anderem irreführende und falsche Angaben zu ihrer Mallorca-Reise gemacht.
Viele Minister waren abwesend - Scharrenbach sollte vertreten
Die Jahrhundertflut hatte das Kabinett insgesamt kalt erwischt: Während der schlimmsten Hochwasser-Katastrophe in der Landesgeschichte waren diverse Mitglieder der Landesregierung abwesend. Zunächst weilten Innenminister Herbert Reul (CDU), der damalige Verkehrsminister Wüst, die inzwischen zurückgetretene Umweltministerin Heinen-Esser sowie Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) allesamt im Urlaub. Das geht aus einem Kalender der Landesregierung hervor, der dem WDR-Magazin Westpol vorliegt.
Fast im gesamten Monat Juli übernahm Kommunal- und Heimatministerin Ina Scharrenbach die offizielle Vertretung für Wüst, Heinen-Esser und Pfeiffer-Poensgen. Zusätzlich flog Scharrenbach dann aber selbst für ein Wochenende nach Mallorca zur der Geburtstagsfeier bei Heinen-Esser. Allerdings soll sich ihre formale Vertretung nur auf Dienstgeschäfte wie etwa Kabinettssitzungen, Gesetzesunterzeichnungen oder Landtagsreden beziehen, die in der Regel unter der Woche stattfinden. Dies teilte die Staatskanzlei dem WDR mit.
Die Minister reagierten unterschiedlich auf die Fluten des Jahrhunderthochwassers am 14. Juli 2021 und den darauf folgenden Tagen: Innenminister Reul brach seinen Urlaub ab und nahm seine Dienstgeschäfte vollständig am 15. Juli wieder auf, der damalige Verkehrsminister Wüst brach seinen Urlaub am 18. Juli. ab. Die damalige Umweltministerin Heinen-Esser flog aber bereits am 16. Juli wieder nach Palma, um ihren Mallorca-Aufenthalt fortzusetzen.
Staatskanzlei ließ sich über Minister-Urlaube nicht informieren
Die Mallorca-Affäre belastet bereits jetzt den Wahlkampf von Ministerpräsident Wüst. Er erklärte, erst "im Rahmen der letzten Tage" von der Sache erfahren zu haben. Auch Wüsts Regierungszentrale will angeblich nichts von den parallelen Mallorca-Reisen mitbekommen haben. Obwohl "Reisen nach Orten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland" laut Geschäftsordnung der Landesregierung eigentlich dem Ministerpräsidenten angezeigt werden müssen, treffe diese Regelung nicht auf Privatreisen zu, erklärte das Land gegenüber dem WDR.
Entsprechend "langjähriger und legislaturübergreifender Praxis in der Anwendung der Regelungen" müssten Reisen ins Ausland mit einer Dauer von drei oder weniger als drei Tagen nur angemeldet werden, soweit es sich um Auslandsdienstreisen handele, teilte die Staatskanzlei mit. Kurioserweise hatte allerdings Bauministerin Scharrenbach in einer Stellungnahme betont, dass sie - auch auf Mallorca - jeder Zeit erreichbar und "im Dienst" gewesen sei und "ihre Amtsgeschäfte auch über das Wochenende wahrgenommen" habe.
SPD-Fraktionschef Kutschaty warf den Kabinettsmitgliedern ein "fragwürdiges Amtsverständnis" vor und sprach von einem "drunter und drüber" bei den Urlaubs-Regelungen der Landesregierung.