Kommentar: Verantwortung ist, wenn man trotzdem geht
Stand: 12.04.2022, 13:00 Uhr
Zwei Ministerinnen treten binnen weniger Tage zurück, beide stolpern über den Umgang mit der Flutkatastrophe: Ursula Heinen-Esser und Anne Spiegel. Das ist folgerichtig - denn Politiker tragen immer Verantwortung. Ein Kommentar.
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Verantwortung ist, wenn man trotzdem geht. Beide Rücktritte erfolgten im zweiten Anlauf, mit Nachhilfe vermutlich. Weil es beiden unabhängig voneinander im ersten Versuch nicht vergönnt war, die richtige Entscheidung zu treffen. Na gut, besser spät als nie. Beide waren im Sommer im Urlaub, Heinen-Esser, weil sie auf Mallorca den Geburtstag ihres Mannes feierte, Spiegel, weil ihre Familie in Frankreich eine nach eigenen Worten dringend benötigte Auszeit nahm. So weit, so bekannt.
Politiker können Urlaub machen - tragen aber Verantwortung
Sind Politik und Familienleben also prinzipiell unvereinbar, wie jetzt von besonders wohlwollenden Zeitgenossen zu hören ist? Nein, das ist Unsinn, und führt weg vom eigentlichen Problem. Denn selbstverständlich können auch Politikerinnen und Politiker, selbst in Spitzenämtern, Urlaub machen.
Das tun sie übrigens auch. Kanzlerin Merkel wanderte gern in Südtirol, Jürgen Rüttgers fuhr auch als Ministerpräsident in sein Ferienhaus nach Südfrankreich, Armin Laschet gern an den Bodensee. Hannelore Kraft weilte öfter zu Sportferien im Sauerland. Spitzenpolitiker tragen politische Verantwortung, das ist der springende Punkt. Übrigens tun sie das immer, auch im Urlaub, ja sogar am Wochenende.
Nur, was heißt das? Politische Verantwortung ist, wenn man so will, die Kehrseite der öffentlichen Macht. Wem das Wahlvolk Macht auf Zeit verleiht, von dem verlangt es - völlig zu Recht - Verantwortung im Umgang mit eben dieser Macht. Nur so ist das Vertrauen, das mit der Machtübertragung einhergeht, zu rechtfertigen.
Ein politisches Amt ist kein normales Angestelltenverhältnis
Ursula Heinen-Esser trat im Zuge der Mallorca-Affäre zurück
Deswegen ist es zur Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung auch unerlässlich, dass führende Politiker Verantwortung übernehmen für ihre Fehler, ja, sogar für die Pannen, die unter ihrer Aufsicht passieren. Sie müssen, anders als in den vorliegenden Fällen, nicht einmal zwingend selbst Schuld auf sich geladen haben. Sie übernehmen stellvertretend Verantwortung, um im Ernstfall mit ihrer Demission den Frieden und das Vertrauen wieder herzustellen. Oder auch, um die Regierung insgesamt zu schützen. Das unterscheidet eben ein politisches Amt von einem normalen Angestelltenverhältnis.
Es ist menschlich verständlich, dass sich gerade mit dem letzten Aspekt viele schwertun. Den Hut nehmen, weil andere etwas falsch gemacht haben? Vielleicht liegt es am Typus des reinen Berufspolitikers, der nichts anderes hat, dass die innere Hürde hier schier unüberwindlich zu werden droht. Am Amt kleben, so lange es eben geht, ein unwürdiges Schauspiel. Aber, daran sei erinnert, die wenigsten Minister wurden zuvor in ihre Ämter gezwungen.
Jochen Trum, Leiter der Redaktion Landespolitik
Privates und Politisches streng zu trennen, ja, das Private vor der Öffentlichkeit zu verbergen, ist legitim. Es ist vielleicht sogar eine Tugend. Aber dann bitte auch konsequent. Dieser logische Fehlschluss ist Anne Spiegel wohl entgangen, als sie meinte, genau in dem Moment das heilige Private offenbaren zu müssen, in dem es ihr fürs politische Überleben nützlich erschien. Und den Rücktritt mit dem Druck auf sie zu begründen, zeugt davon, dass sie nichts verstanden hat.
So auch Ursula Heinen-Esser. Sie wehrte sich im Brustton der Überzeugung gegen das, so wörtlich, falsche Bild, das durch ihre Feier entstanden sei. Mit anderen Worten, sie war überzeugt, ihr geschehe Unrecht. Sei’s drum. Verantwortung ist, wenn man trotzdem geht.