Das Bild zeigt eine Person in einem Schutzanzug und einer Gasmaske, die ein Gebäude saniert.

Neue Gefahrstoffverordnung: Handwerker in NRW in Not

Stand: 27.04.2025, 12:15 Uhr

Gesundheit in Gefahr? Für die Untersuchung alter Gebäude auf Asbest sind Bau- und Handwerksbetriebe zuständig, nicht die Bauherren. So besagt es die neue Gefahrstoffverordnung. Verbände und die Gewerkschaft IG Bau fürchten um die Gesundheit der Beschäftigten und einen enormen Kostendruck.

Von Daniela BeckerDaniela Becker

Staub und Putzreste fliegen durch die Luft. Stuckateurmeister Michael Christmann deutet auf die Wand eines Mehrfamilienhauses in Bonn, das sein Betrieb gerade saniert. "Hier ist Schicht über Schicht in Jahrzehnten dazu gekommen. Mit bloßem Auge kann man nicht erkennen, ob da Asbest drin ist und das ist eben die große Gefahr."

Neue Gefahrstoffverordnung bringt Handwerk in Not - Handwerker bei der Arbeit

Handwerker bei der Arbeit

In Dämmmaterial, Zement, Kleber, Spachtelmasse, Fensterkitt – Asbest lauert in vielen Materialien und durfte bis 1993 in Deutschland verbaut werden. Seitdem ist die einstige Wunderfaser in Deutschland verboten, denn sie gilt als krebserregend und verursacht die Lungenkrankheit Asbestose.

Überprüfung vor Sanierung – Bauherr muss nur Informationen liefern

Inzwischen stehen viele alten, potentiell asbestbelastete Häuser zum Verkauf oder werden saniert. Die Überprüfung auf Asbest müssen die Bau- und Handwerksbetriebe übernehmen, der Bauherr hat nur eine Informationspflicht. Das besagt eine Novellierung der Gefahrstoffverordnung, die Ende 2024 in Kraft getreten ist. Auf den Weg gebracht wurde sie noch von der Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen.

Baugewerbe und Gewerkschaft warnen vor Gesundheits- und Umweltgefahren

"Auf Kosten der Gesundheit der Handwerksbeschäftigten und nicht auf Kosten der Immobilienbesitzer, soll die energetische, familiengerechte und altersgerechte Sanierung von alten Häusern schneller vorangebracht werden", kritisiert die Gewerkschaft IG Bau. Deren Mitglied und Arbeitsschutzexperte Gerhard Citrich erklärt im Interview mit dem WDR: "In der neuen Gefahrstoffverordnung heißt es, der Bauherr kann nur Unterlagen einreichen, die er hat. Er muss keine Überprüfung machen." Die allerdings benötigt der Handwerksbetrieb, um eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen.

Neue Gefahrstoffverordnung bringt Handwerk in Not

Stuckateurmeister Christmann

"Machen wir uns nichts vor, an der Stelle gibt es nichts", sagt der Bonner Stuckateurmeister Christmann und meint Unterlagen über alte Gebäude, in denen zum Beispiel steht, was wann wie saniert wurde. Also müssen die Bau- und Handwerksbetriebe selbst auf Asbest prüfen.

Hoher Kostendruck könnte Gesundheitsschutz gefährden

Die Kosten muss der Handwerker an den Kunden weiterreichen. Bei einer Gesamtsanierung kämen schnell mehrere zehntausend Euro nur für die Asbestbeprobung zusammen. So mancher Kunde dürfte davon abgeschreckt sein und sich nach Alternativen umschauen. Die Befürchtung der Handwerker: es drängen verstärkt Handwerker in den Markt, die wenig Wert auf asbestgerechte Sanierung und Entsorgung legen.

Neue Gefahrstoffverordnung bringt Handwerk in Not -Bernhard Baumann im Interview

Bernhard Baumann (Bauverbände NRW)

Diese Gefahr bestätigt auch Bernhard Baumann. Er ist Hauptgeschäftsführer der Bauverbände NRW. "Darauf wurde auch im 'Nationalen Asbestdialog' immer wieder hingewiesen - dass, wenn man unpragmatische Regularien erlässt, diese negativen Begleiterscheinungen in den Markt hineindrängen. Und das ist natürlich nicht im Sinne des Gesundheitsschutzes oder des Umweltschutzes", kritisiert Baumann im Interview mit dem WDR-Magazin "Westpol".

Einigung von Asbestdialog wurde gekippt

Die Baubetriebe sind ohnehin irritiert über die jetzige Verordnung. Ursprünglich sollten die Bauherren in die Pflicht genommen werden, sich um das Asbest zu kümmern. Darauf hatten sich Baugewerbe, Wohnungswirtschaft, Berufsgenossenschaft, Gewerkschaft und Politik im nationalen Asbestdialog geeinigt.

Warum wurde das nicht umgesetzt? „Man befand sich kurz vor einer Bundestagswahl. Möglicherweise wollte man sich nicht mit den Bauherren anlegen und hat deshalb die Verantwortung auf die Bauunternehmer übertragen.", mutmaßt der Hauptgeschäftsführer der Bauverbände NRW, Bernhard Baumann.

Handwerker von Verordnung enttäuscht

"Warum soll ich jetzt die Verantwortung übernehmen?", fragt Handwerksmeister Michael Christmann aus Bonn. "Es ist ja nicht mein Gebäude, sondern das müsste in der Verantwortung des Bauherren liegen."

NRW hat der umstrittenen Änderung im Bundesrat zugestimmt

Ministerin Ina Scharrenbach

Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU)

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) rechtfertigt das "Ja" in der Länderkammer auf Westpol-Anfrage mit dem Faktor Zeit, weil eine EU-Richtlinie noch in diesem Jahr in Kraft treten müsse. Die besagt allerdings nur, dass Arbeitnehmer vor krebserregenden Stoffen zu schützen sind, nicht wie. Und schon gar nicht konkret, dass Handwerksbetriebe nun für die Asbestüberprüfung zuständig sein sollen.

Die Betriebe müssen nun Schulungen durchführen, mehr Personal einstellen, mit Kunden über die steigenden Sanierungskosten diskutieren. Dabei sollte eigentlich Bürokratie abgebaut werden.

Jubel bei der Wohnungswirtschaft

Diejenigen, die sich über die Novellierung der Gefahrstoffverordnung freuen, ist die Wohnungswirtschaft. "Bei einem Asbest-Generalverdacht und der damit verbundenen Erkundigungspflicht für den Eigentümer wäre es natürlich zu sehr starken Verzögerungen und auch Verteuerung unserer Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen gekommen", sagt Gregor Boldt, Pressesprecher von Vivawest in Gelsenkirchen. "Dass das jetzt nicht kommt, finden wir natürlich gut."

Sorge um die Gesundheit der Beschäftigten

IG-Bau Arbeitsschutzexperte Citrich warnt vor weitreichenden Folgen: "80 Prozent der Bauunternehmungen haben unter zehn Beschäftigten. Und da geht es wirklich nur ums Geld und ums Überleben". Er befürchtet, dass wenn der Bauherr keine Unterlagen über sein Gebäude hat, Menschen, die dort arbeiten, zu Schaden kommen könnten.

Bundesweit sterben jährlich etwa 1.600 Menschen an den Folgen asbestausgelöster Berufskrankheiten. Die Dunkelziffer gilt als deutlich höher.

Unsere Quellen:

  • Recherchen des WDR-Magazins Westpol
  • Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung
  • EU-Richtlinien 2022/431/EU und 2004/37/EG
  • Interview IG Bau
  • Interview Bauverbände NRW
  • Interview NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach
  • Interview Vivawest GmbH

Über dieses Thema berichtet das WDR-Fernsehen auch am 27.04.2025 um 19.30 Uhr im Magazin "Westpol".