Kann er das politische Wunder noch einmal schaffen? Viele der mehr als 130.000 Grünen-Mitglieder hoffen auf Felix Banaszak (35), der heute in Wiesbaden von seiner Partei zum Bundesvorsitzenden gewählt werden will. Er soll zusammen mit Franziska Brantner an der Parteispitze und Robert Habeck als Kanzlerkandidat den Neuanfang verkörpern.
In welche Richtung steuert Banaszak die Grünen?
Denn die Zeiten für die Grünen sind wenig rosig: Nach vier verlorenen Wahlen in diesem Jahr und Zustimmungswerten von zuletzt 12 Prozent will sich die Partei wieder aufrichten. "Es geht um eine Richtungsentscheidung" sagt Banaszak im WDR-Interview mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl im Februar.
Doch in welche Richtung wird er die Grünen steuern?
Felix Banaszak wurde in Duisburg geboren, machte dort Abitur und Zivildienst, sein Opa arbeitete auf der Kokerei von Thyssen, seine Eltern waren Krankenpfleger. Was eigentlich nach klassischer SPD-Vita klingt, führte Banaszak zu den Grünen. Das Stahl-Unternehmen ist dem Wirtschaftspolitiker bis heute wichtig. Wer Thyssenkrupp-Konzernbetriebsrats-Chef Tekin Nasikkol nach Banaszak fragt, bekommt viel Lob zu hören: "Er gehört zu den fleißigen Politikern, steckt tief in den Themen, beeindruckend", lautet sein Urteil. Fürs Studium (Politikwissenschaft und Sozial- und Kulturanthropologie) zog Banaszak nach Berlin, seitdem lebt er im Wechsel dort und in Duisburg.
Linker Flügel, aber pragmatisch
Immer wieder betont er das Soziale, das klingt dann so: "Wollen wir dafür sorgen, dass es gerechter zugeht in diesem Land? Oder finden wir uns einfach damit ab, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt, bei mir in Duisburg jedes dritte? Finden wir uns damit ab, dass die Vermögen der einen immer weiter wachsen, während die anderen am Ende des Monats in den Dispo rutschen?"
Banaszak tritt für eine humane Flüchtlingspolitik ein. Er zählt zum linken Parteiflügel. Trotzdem gilt er als pragmatisch, mit viel Ideologie ist er zuletzt nicht aufgefallen. Dafür aber am Mikrofon im Bundestag, wo er seit zwei Jahren sitzt. Als Redner ist Banaszak talentiert.
Vor einem Jahr machte er Schlagzeilen, als er auf einen AfD-Antrag mit einem Vierzeiler antwortete, der an Goethes "Erlkönig" angelehnt war.
Von der Wahl-Klatsche zum besten Ergebnis aller Zeiten
Felix Banaszak hat es schon einmal geschafft, seine Partei aus der Krise zu holen, in Nordrhein-Westfalen: Hier waren die Grünen bei der Landtagswahl 2017 unter anderem für ihre misslungene Schulpolitik in der Regierung abgestraft worden - und flogen mit einem Ergebnis von nur noch 6,4 Prozent fast aus dem Landtag. 2018 übernahm Banaszak den Parteivorsitz an der Seite von Mona Neubaur. Zusammen reisten sie durchs Land, hörten Verbänden und Ehrenamtlichen aus allen politischen Ecken zu - und führten die Grünen bei der nächsten Wahl zum Erfolg: 18,2 Prozent der Menschen gaben den Grünen im Mai 2022 ihre Stimme, es war das beste NRW-Landtagswahl-Ergebnis aller Zeiten.
Neubaur und Banaszak handelten danach den Koalitionsvertrag mit der CDU federführend aus. Sie ist seitdem stellvertretende Ministerpräsidentin in NRW. Und er wohl bald an der Spitze der Bundespartei angekommen.
Brinkhaus: Banaszak ist hart und sachlich
In den NRW-Koalitionsverhandlungen saß Banaszak damals unter anderem Ralph Brinkhaus (56, CDU) gegenüber. In der gemeinsamen Verhandlungsgruppe "Finanzen" sei die Atmosphäre gut gewesen, auch dank Banaszak - "getragen von dem Willen, das Ganze zum Erfolg zu bringen", erinnert sich Brinkhaus. "Ich habe ihn als hart, sachlich, aber sehr freundlich und verbindlich erlebt", sagt er. Ein schlechtes Wort kommt dem CDU-Mann zu Banaszak nicht über die Lippen.
"Humorvoller Mensch"
"Er ist ein sehr humorvoller Mensch, der in der Lage ist, den Menschen zuzuhören und ihre Anliegen mitzunehmen und auch in konkrete Politik umzusetzen", sagt Verena Schäffer, die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Landtag. Die Partei führen, einen Koalitionsvertrag aushandeln - diese Erfahrung aus NRW komme ihm bei der neuen Aufgabe auf Bundesebene zugute, ist Schäffer überzeugt.
"Hoffnungen überwiegen"
Doch der Pragmatismus, den Banaszak unter Beweis gestellt hat, ruft bei der traditionell linken Parteijugend nicht nur Begeisterung hervor. Björn Maue ist frisch gewählter NRW-Co-Chef der Grünen Jugend - nachdem alle acht bisherigen Vorstandsmitglieder im September die Partei verlassen und ihre Ämter zur Verfügung gestellt hatten. "Die Grüne Partei macht keine linke Politik, wie es sie eigentlich bräuchte" schrieben die Abtrünnigen damals.
Wer Maue in dieser Woche fragt, ob Banaszak eine gute Wahl als Bundesvorsitzender wäre, bekommt einen nüchternen Satz als Antwort: "Die Hoffnungen in die Amtszeit von Felix Banaszak überwiegen." Der gehe mit seiner Kompromissbereitschaft in Richtung CDU in NRW bis an die Schmerzgrenze - "und zuletzt in der Ampel auch darüber hinaus". Dass Robert Habeck die Grünen weiter in die politische Mitte führen will, findet er falsch: "Dann gibt es irgendwann nichts mehr, wofür diese Partei stehen kann." Banaszak müsse deutlich machen, welche Themen den Grünen wichtig sind, das Profil schärfen - und Positionen weniger auf Koalitionstauglichkeit ausrichten.
Schmerzhafte Kompromisse
Unter Grünen-Kritikern gibt es zwei Lager, die derzeit beide laut sind: Die einen hadern, wie Maue, mit den vielen Kompromissen, die die Grünen in der Ampel bis fast zur politischen Selbstverleugnung mitgegangen sind: immer härtere Asylpolitik, Migrationsabkommen und Flüssiggas-Deals mit autoritären Regimen, ein geschliffenes Klimagesetz, die aufgeschobene Wärmewende, Verschärfungen beim Bürgergeld, die zusammengestrichene Kindergrundsicherung. All das haben die Grünen in der Bundesregierung mitgetragen, und es geht Grünen-Kernwählern teils viel zu weit.
Moralisierender Ton
Trotzdem gelten anderen in Deutschland die Grünen als verbohrte Ideologen, die den Menschen das Heizen vermiesen, das Gendern vorschreiben und das Schnitzel verbieten wollen. Das stimmt zwar nicht. Aber es gibt eine Anti-Grünen-Stimmung, zu der die Partei durch ihren teils moralisierenden Ton selbst beigetragen hat - mit Debatten über Kruzifixe in Bundestags-Räumen oder geschlechtsneutrale Umbenennungen von Möbelstücken.
Wenn die Grünen raus aus dem Zwölf-Prozent-Keller wollen, müssen sie beide der gesellschaftlichen Seiten gewinnen, ohne die jeweils andere zu verlieren. Die Quadratur des Kreises? "Ich stehe zu den Kompromissen", sagt Felix Banaszak zu drei Jahren Ampel. "Gleichzeitig ist klar: Wir wollen mehr erreichen."
Banaszak selbst nennt sich gern einen "linken Zentristen". In dieser Selbstbeschreibung ist der Konflikt angelegt, für den er in dem kurzen, intensiven Wahlkampf der kommenden Wochen eine Lösung finden muss: Wo immer er mit Brantner und Habeck die Bundespartei hinbewegt, die Kritiker sind - anders als 2018 in NRW - schon da.
Unsere Quellen:
- Interview mit Felix Banaszak
- Interview mit Verena Schäffer
- Interview mit Björn Maue
- Interview mit Ralph Brinkhaus
- Interview mit Tekin Nasikkol
- Eigene Recherchen der Reporter
Über dieses Thema berichten wir auch im Hörfunk und Fernsehen: Am 16.11.2024 ab 06 Uhr im WDR5 Morgenecho und am 17.11 ab 19:30 Uhr in Westpol.