Wenn Josefine Paul im NRW-Landtag ans Rednerpult tritt, kann sich das Publikum auf Wortsalven gefasst machen, bei denen Konzentration gefragt ist. Im dichten Stakkato, oft in kantigen Sätzen, hält sie ihre Reden, gespickt mit Fakten, Zahlen - und den daraus folgenden Anklagen. Plauderton liegt ihr nicht - wenn Paul spricht, ist klar: Es ist ernst. Durchweg eindringlich und in der Regel ohne die im Landtag auch beliebte rethorische Polemik trägt sie ihre politischen Ideen vor.
Erklärtes Ziel: eine gleichberechtigte, offene Gesellschaft
Gerade 40 geworden, ist die Grüne derzeit am vorläufigen Höhepunkt ihres politischen Engagements. Am 29. Juni 2022 wurde sie als neue Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration im NRW-Landtag vereidigt. Sie übernahm das, wie sie es nennt, "Chancen- und Gesellschaftsministerium" von ihrem FDP-Kollegen Joachim Stamp.
Ihr erklärtes Ziel: eine gleichberechtigte, offene Gesellschaft - das wird sie nicht müde, zu sagen. "Ich streite für eine Gesellschaft der Vielen", schreibt Paul auf ihrer Homepage, Rassismus und Ausgrenzung könne sie "nur schwer aushalten". Großes Thema und persönliches Anliegen sind dabei auch die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und der Queer-Community.
Antidiskriminierungsgesetz für NRW
Eins der ersten Projekte, die die neue Ministerin jetzt umsetzen will, ist dann auch ein Antidiskriminierungsgesetz für NRW. Zwar gibt es bereits eins auf Bundesebene, doch das habe "Schutzlücken", sagt Paul im WDR Interview, die für NRW geschlossen werden sollen. Zweites wichtiges Vorhaben: Eine Fachkräfte-Offensive gegen den Personalmangel in Kitas. Das in der Pandemie gestartete Alltagshelfer-Programm soll zur Dauereinrichtung werden.
Dass sie dabei einmal mit dem traditionellen Gegner CDU gemeinsam in Regierungsverantwortung sein würde - das hat sich die Grüne Paul zu Beginn ihrer politischen Laufbahn sicher nicht träumen lassen. Eine schwarz-grüne Landesregierung gab es erstmals 2008 in Hamburg. Doch im WDR Interview gibt sie sich optimistisch: Bei den jetzigen Koalitionsverhandlungen hätten Grüne und CDU beschlossen, doch mehr nach Gemeinsamkeiten zu suchen, als über Differenzen zu streiten.
Dennoch wird Paul jetzt in manchen sauren Apfel beißen müssen. Befragt beispielsweise nach dem in Düsseldorf geplanten Abschiebegefängnis, ist ihre Antwort ausweichend: "Wir werden uns erstmal sehr konkret anschauen, was dort in Planung ist und das dann im Detail prüfen". Um dann zu betonen, dass der Fokus in der Flüchtlingspolitik in NRW aber vielmehr auf Integration liege.
Atomkraft und Rostock
Inspiration für ihr politisches Engagement bekam sie schon als Jugendliche, erinnert sich Paul: Da waren zum einen die rassistischen Anschläge in Hoyerswerda, Rostock oder Solingen, die den Entschluss reifen ließen, sich für eine offene Gesellschaft und gegen Hass und Gewalt einzusetzen. Zum anderen die Anti-Atomkraft-Bewegung. Aufgewachsen in Helmstedt an der ehemaligen DDR-Grenze, umgeben von Atom-Endlagern, sei sie schon als Jugendliche auf Demos gegangen. "Konsequenterweise" habe sie dieses Engagement dann zu den Grünen geführt.
Da war sie 17. Noch als Schülerin trat Paul Grünen bei. Drei Jahre später saß sie bereits im Landesvorstand der Grünen Jugend Niedersachsen. 2005 kam Paul nach Münster, studierte hier Geschichte, fand dann Arbeit als Politiklehrerin in einem Dortmunder Gymnasium. Mit 28 zog sie erstmals in den nordrhein-westfälischen Landtag ein. Seit Oktober 2020 ist Paul Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen in NRW, war zuletzt Sprecherin für Kinder, Jugend und Familie, für Frauen- und Queerpolitik.
NRW, "Land der Vielfalt"
NRW gefalle ihr vor allem als besonders vielfältiges und gesellschaftlich offenes Bundesland: "Hier leben Menschen unterschiedlichster Religionen, Nationalitäten, Weltanschauungen und Lebensentwürfe zusammen – mit allen Chancen und Herausforderungen, die eine plurale Gesellschaft ausmacht."
Wenn Familienministerin Paul nach Hause fährt, dann kann es gut sein, dass sie dort auf eine weitere Ministerin trifft: Paul ist seit einigen Jahren mit der sächsischen Justizministerin Katja Meier - auch eine Grüne - liiert. Beide Frauen haben ihre Beziehung längst öffentlich gemacht. "Ich finde, man sollte nichts verstecken", hat Paul in einem Interview mit der Zeit mal gesagt - Offenheit könne auch ein "Türöffner" sein. Über queere Themen müsse mehr gesprochen werden - zumal die Selbstmord- und Depressionsrate in dieser Community noch immer erschreckend hoch sei.
Privat brennt die Politikerin vor allem für Fußball. Sport bringe Menschen zusammen, sagt sie als bekennender Fan des VfL Bochum. Befragt nach ihrem "perfekten Tag" in NRW, sagte Josefine Paul im WDR-Kandidatencheck, der beginne an einem Samstagmorgen auf dem Markt in Münster, bei Sonnenschein und einer Tasse Kaffee. Nachmittags ginge es dann vielleicht ins Stadion nach Bochum.