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Rechtsextremismus in NRW: Auf dem Vormarsch durch soziale Medien

Stand: 19.03.2025, 16:52 Uhr

Rechtsextremisten werben mit knackigen Social-Media-Angeboten. Damit ködern sie laut Verfassungsschutz immer mehr junge Anhänger.

Von Nina Magoley

Volle einhundert Seiten umfasst der Bericht des Verfassungsschutzes NRW zum "Lagebild Rechtsextremismus", den Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch in Düsseldorf vorstellte. Demnach ist die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Kriminalität im vergangenen Jahr weiter stark gestiegen - um rund 60 Prozent im Vergleich zum Jahr davor.

Wichtigstes und für den Verfassungsschutz schwierigstes Fazit: Die rechtsextremistische Szene wird immer jünger - und damit auch digitaler. Organisationen nutzen vermehrt und professionell die sozialen Medien, um andere junge Menschen mit knackigen, jugendkonformen Formaten zu erreichen.

Rechtsextremistischer "Lifestyle"

Statt, wie früher, mit "Glatze und Springerstiefeln" kämen Rechtsextreme heute mit "Kurzvideos, Gaming und Active Clubs" daher. "Auch rechtsextremistische Radikalisierung findet heute immer öfter online statt", so Innenminister Reul.

Herbert Reul (CDU) bei der Pressekonferenz zum Lagebericht Rechtsextremismus

Tief besorgt: Innenminister Reul

Die Szene gehe dabei deutlich strategischer vor als noch vor wenigen Jahren und habe einen regelrechten "Lifestyle" entwickelt, eine neue Jugendkultur, mit dem vor allem junge Menschen geködert werden sollten. Das Einstiegsalter der Nutzer solcher Angebote liege zwischen zehn und 15 Jahren.

Freizeitgestaltung im "Active Club"

Sogenannte "Active Clubs" bieten außerdem vor Ort gemeinschaftsstiftende Freizeitangebote - wie Kampfsport oder gemeinsames Wandern. In freundschaftlicher Atmosphäre sollen die Mitglieder dann zu politischen Haltungen motiviert werden. In NRW gibt es laut Verfassungsschutz mittlerweile drei solcher "Active Clubs": Niederrhein, Nordrhein und Ostwestfalen.

Landesregierung will mit Aufklärung dagegen halten

Als wichtigste Gegenmaßnahme nannte der Innenminister die Prävention: Gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung versuche der Verfassungsschutz über die trügerischen Botschaften dieser Gruppierungen aufzuklären - unter anderem mittels Workshops an Schulen. Reul verwies außerdem auf das 2020 im Auftrag des Ministeriums entwickelte Videospiel "Leons Identität", das die Medienkompetenz Jugendlicher stärken soll.

Bei der Forschungsstelle Rechtsextremismus an der Hochschule Düsseldorf betrachtet man diese Ansätze als längst nicht ausreichend. Wenn die Landesregierung hier wirklich Prävention aufbauen wolle, müsse "größer gedacht werden", sagte Extremismusforscherin Sabine Reimann. Statt dessen hätten massive Kürzungen in allen sozialen Bereichen dazu geführt, dass viele Projekte in der Jugendarbeit nur noch von Jahr zu Jahr existierten.

"Viele Jugendliche sind dadurch sozial allein gelassen und dann leichter ansprechbar für Rechtsextreme." Eine längerfristige Planungssicherheit wäre hier wichtig, sagt Reimann.

Zum Thema Prävention in den sozialen Medien komme vonseiten der Landesregierung selbst bislang wenig, sagt die Forscherin. Obwohl das Phänomen nicht neu sei: Schon 2023 habe eine Studie offenbart, dass beispielsweise die in Teilen als rechtsextrem eingestufte AfD bei der Onlinepräsenz führend ist - und dass sich kritische Stimmen nach Drohungen im Netz immer stärker zurückziehen würden.

Waffenentzug und Strafverfolgung

Ein weiterer Baustein der Landesregierung im Kampf gegen den Rechtsextremismus sei die "Repression", sagte Reul. Rechtsextrem umtriebige Besitzer von Waffen müssten beobachtet werden, gegebenenfalls seien die Waffenlizenzen zu entziehen. Auch Risikobewertungen oder Strafverfolgung einzelner Personen sollten die Szene unter Druck setzen.

Außerdem, so Reul, sei die "gesamtgesellschaftliche Verantwortung" gefragt - ohne die gehe nichts. "Der beste Verfassungsschutz besteht aus mündigen Bürgern, die für die Demokratie einstehen."

Der Anstieg in Zahlen

Insgesamt 5.641 rechtsextremistische Straftaten zählte die Polizei in NRW 2024. Im Jahr zuvor lag die Zahl noch bei 3.549. In 78 Prozent der Fälle handelte es sich 2024 laut Verfassungsschutz um Propagandadelikte (3.511) und Volksverhetzung (839). Die Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Tatverdächtige stieg mit 154 Straftaten gegenüber dem Vorjahr (2023: 116) ebenfalls um 33 Prozent an. In den meisten Fällen (94 Prozent) handelte es sich hier um Körperverletzungen (145).

Die Hasskriminalität stieg um 43 Prozent von 1.432 auf 2.049 Straftaten an. Auch der Anteil der Tatverdächtigen in der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen hat sich erhöht. 287 Jugendliche in 2024 im Vergleich zu 100 ein Jahr zuvor.

Reul zu Lagebild Rechtsextremismus NRW

WDR Studios NRW 19.03.2025 01:06 Min. Verfügbar bis 19.03.2027 WDR Online


"Jeden Tag werden in NRW 15 rechtsextreme Straftaten begangen", bilanziert die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Verena Schäffer. Seit 2001 das Erfassungssystem für politisch motivierte Kriminalität eingeführt wurde, habe es nie so dramatisch hohe Zahlen gegeben wie heute. Das müsse alle Demokratinnen und Demokraten "alarmieren". Rechtsextreme fühlten sich "offensichtlich bestärkt durch die Wahlergebnisse der verfassungsfeindlichen, rassistischen AfD und greifen gezielt Minderheiten an".

Schäffer kündigte an, die Landeszentrale für politische Bildung "inhaltlich stärken und selbstständiger" zu machen. Bei der Weiterentwicklung von Gegenstrategien sollten auch die Erkenntnisse der vier neuen Meldestellen für Diskriminierungsvorfälle genutzt werden.

SPD: Landeszentrale für politische Bildung stärken

Auch die SPD im Landtag nennt die neuen veröffentlichten Zahlen und Erkenntnisse "alarmierend". Neben der konsequenten Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten müssten auch präventive Maßnahmen weiter verstärkt werden, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elisabeth Müller-Witt. Besonders junge Menschen müssten vor der Anwerbung durch extremistische Gruppen geschützt werden. "Dazu gehört, mehr in die politische Bildung zu investieren, die Landeszentrale zu stärken und zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, die die sozialen Medien bedienen."

FDP hält islamistischen Terror für größere Gefahr

Rechtsextremismus sei "ohne Frage eine ernstzunehmende Gefahr", sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Marc Lürbke. Doch während Innenminister Reul "Hand in Hand mit den Grünen gebetsmühlenartig betont, der Rechtsextremismus sei die größte Bedrohung für unsere Sicherheit", habe sich längst der islamistische Terror in NRW zur größten Gefahr für die Menschen entwickelt, meint Lürbke.

"Aus ideologischen Gründen" würden die "rechtsstaatlichen Scheinwerfer allein auf den Rechtsextremismus" verengt, behauptet der Liberale. NRW müsse "vielmehr entschlossen allen Extremismusformen den Kampf ansagen".

Unsere Quellen:

  • Pressekonferenz "Lagebild Rechtsextremismus" am 19.03.2025
  • Gespräch mit Extremismusforscherin Sabine Reimann
  • Pressemitteilung SPD-Landtagsfraktion
  • Statement der Grünen Landtagsfraktion
  • Statement der SPD-Landtagsfraktion

Über dieses Thema berichten wir am 19.03.2025 auch im WDR-Fernsehen: WDR aktuell, 16.00 Uhr.