Menschen mit bunten Plakaten demonstrieren vor dem Landtag in Düsseldorf, auf einem steht unter einem Batteriesymbol: "Wir sind am Limit".

Nach Sozialprotesten: SPD fordert Rettungspaket

Stand: 26.10.2023, 15:30 Uhr

Über 20.000 Menschen demonstrierten letzte Woche vor dem Landtag für den Erhalt der sozialen Infrastruktur. In einer Aktuellen Stunde berieten die Abgeordneten über die Forderungen. Doch es fehlt an Geld.

Von Martin TeiglerMartin Teigeler

Die Opposition hat am Donnerstag im Landtag die Zusage von Schwarz-Grün angezweifelt, NRW bleibe das "soziale Gewissen" der Republik. In einer Aktuellen Stunde bezeichnete SPD-Fraktionschef Jochen Ott die jüngste Großdemo von Sozialverbänden als "Fanal" und als "Protest aus Verzweiflung". Er warnte vor einer Existenzkrise im Sozialbereich. Die Koalition wies die Kritik zurück.

Auslöser der Grundsatzdebatte: 22.000 Menschen hatten am vergangenen Donnerstag vor dem Landtag demonstriert. Beschäftigte von Kitas, Pflege- und anderen Sozialeinrichtungen machten auf Arbeitsüberlastung, oft schlechte Bezahlung und Fachkräftemangel aufmerksam. Es war eine der größten Demonstrationen vor dem Landtag in den letzten Jahrzehnten.

FDP fordert klare Worte von Wüst

Vielen Kitas und Trägern von Offenen Ganztagsschulen gehe das Geld aus, sagte Ott in der Debatte. Es drohten Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion warf der schwarz-grünen Landesregierung vor, den Protest und die Verzweiflung von Erziehern, Sozialarbeitern und Pflegern auszusitzen. Die SPD forderte Landeshilfen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marcel Hafke, forderte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf, die sozialen Probleme zur Chefsache zu machen und Lösungen vorzulegen. Die Demonstranten hätten Schwarz-Grün die "rote Karte" gezeigt. Die Menschen seien unzufrieden mit der Politik der Landesregierung.

Die Lage ist ernst - der Protest bunt und fantasievoll

22.000 Menschen aus dem Sozialbereich demonstrierten in Düsseldorf vor dem Landtag.

Menschen mit bunten Plakaten demonstrieren vor dem Landtag in Düsseldorf, auf einem steht: "Keine Zeit für das Wichtigste"

Es war eine bunte, laute und friedliche Demonstration von tausenden Menschen, die in NRW im Sozialbereich arbeiten und gerne mehr Zeit für das hätten, was nicht nur für sie "das Wichtigste" ist, wie auf diesem Plakat steht.

Es war eine bunte, laute und friedliche Demonstration von tausenden Menschen, die in NRW im Sozialbereich arbeiten und gerne mehr Zeit für das hätten, was nicht nur für sie "das Wichtigste" ist, wie auf diesem Plakat steht.

Aus Leverkusen kamen diese Mitarbeiterinnen der OGS Gezelin-Schule. Sie wollen dafür demonstrieren, dass das Personal erhalten bleibt und sich die Arbeitsbedingungen verbessern. "Wir wollen keine Käfig- und Bodenhaltung für die Kinder", sagt die OGS-Leiterin Tanja Baader.

Ein Hilferuf, der unmissverständlich ist.

Aus Kall in der Eifel ist Boris Kröber angereist. Er macht im Waldkindergarten seine Ausbildung zum Erzieher und ist mit dem Berufswechsel sehr zufrieden: "Ich bleibe auf jeden Fall dabei!" Gar nicht zufrieden ist er jedoch mit den Arbeitsbedingungen. Es gebe zu wenig Personal, man finde kein Neues. Zudem brauche ein Waldkindergarten einen höheren Personalschlüssel, doch das müsse er selber zahlen.

Auf einem Plakat ist zu lesen: "1,2,3,4 - unsere Arbeit lieben wir."

Das können auch Kathrin Liefke, Jaqueline Ribbach und Luisa Müller unterstreichen. Sie arbeiten als Erzieherinnen in der Solinger Kita Confetti. Doch die Kita droht zum "Escape-Room" zu werden, aus der sie, wie sie sagen, nicht mehr ohne externe Hilfe herauskommen.

Auch aus dem Pflegebereich waren Demonstrierende angereist.

Eine neue Aufschlüsselung für das Kürzel "OGS": "So geht's sicher nicht"

Diese OGS sendet ein SOS auf der Demonstration.

Das ist wohl Flucht in Galgenhumor.

Die bunte Kundgebung war von viel Solidarität getragen - und von vielen selbst gestalteten, kreativen Plakaten.

Auf dem Plakat in der Mitte steht: "Eigentlich sollte hier ein toller Spruch stehen - aber ich hatte leider keine Vorbereitungszeit."

Forderung nach Gegenfinanzierung

Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer betonte, sie teile das Anliegen der Demonstranten. Zugleich forderte sie Vorschläge von der Opposition, wie mehr Geld für die soziale Infrastruktur finanziert werden solle. Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) deutete an, dass er die Schuldenbremse im Grundgesetz kritisch sieht - aber man müsse sie einhalten. Auch CDU-Fraktionschef Thorsten Schick verwies auf die angespannte Finanzlage.

Dieses Motiv zog sich durch die ganze Debatte. Redner aller Fraktionen erklärten ihre "Wertschätzung" und Sympathie für die Demonstranten aus dem Sozialsektor. Doch wie die sozialen Angebote des Staates besser finanziert und ausgebaut werden sollen, blieb offen.

Die AfD forderte ebenfalls Verbesserungen bei der sozialen Infrastruktur. Wie bei vielen Debatten im Landtag versuchten ihre Redner dabei Stimmung gegen Asylbewerber und Migranten zu machen.

Laumann statt Wüst

Ministerpräsident Wüst schwieg in der Debatte - trotz Aufforderung der FDP. Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) verteidigte den Kurs der Koalition. Er sagte zu Ott (SPD): "Wenn man im Glashaus sitzt, dann sollte man nicht so stark mit Steinen schmeißen." Laumann spielte damit auf Sozialkürzungen im Etatentwurf von SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil an.

Der Minister kündigte an, weiter im Gespräch bleiben zu wollen mit den Sozialverbänden in NRW. Das Land stehe zu einem starken Sozialstaat. So gebe man zum Beispiel Geld für Tafeln und Obdachlosenhilfe. Geld für Tafeln sei eine falsche Vorstellung von Sozialstaat, konterte die SPD. Der massive Protest aus dem Sozialsektor wird den Landtag weiter beschäftigen.

DGB fordert Paradigmenwechsel

Als Reaktion auf die Debatte forderte DGB-Landeschefin Anja Weber erneut mehr Geld vom Land für die soziale Infrastruktur: "Das Klammern an die schwarze Null darf nicht dazu führen, dass Kindern Zukunftschancen genommen und Pflegebedürftige nicht anständig versorgt werden. Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik des Landes."