Es ist 4 Uhr morgens als Ende Januar in einem Krefelder Wohngebiet die Ermittler der Zentralstelle für Organisierte Kriminalität aus Düsseldorf anrücken. Es geht um das Verfahren gegen sogenannte Luxus-Schleuser. Im Fokus diesmal: Ein deutsch-chinesisches Unternehmerpaar.
Der Vorwurf: Gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern und gewerbsmäßiger Bandenbetrug. Das Paar soll zusammen mit einem weiteren Mann aus Krefeld chinesische Staatsangehörige um vermeintliche Investitionsgelder in Höhe von mehr als 5,6 Millionen Euro betrogen zu haben. Jörg K. kommt in Untersuchungshaft, seine chinesische Ehefrau Hong K. wird nicht angetroffen und mit internationalem Haftbefehl gesucht.
Spuren nach Düren
Die Spuren der beiden führen unter anderem zu einem Fußballverein: dem 1. FC Düren. Mit Hilfe des Frechener Anwalts Claus Brockhaus, einem Hauptbeschuldigten der mutmaßlichen Schleuserbande, hatte sich das Ehepaar K. beim Verein als Investor vorgestellt.
Präsident des Vereins ist Wolfgang Spelthahn. Der CDU-Politiker wird in dem Verfahren ebenfalls als Beschuldigter geführt und wurde Anfang November als Dürener Landrat suspendiert.
Spelthahn bestreitet die Vorwürfe und hat gegen seine Ablösung geklagt. Auch sein Anwalt Benedikt Pauka weist die Vorwürfe im Westpol-Interview vehement zurück: "Die Behauptung, Herr Spelthahn habe in irgendeiner Form finanziell profitiert, entbehrt jeglicher Grundlage. Das ist Verfolgungslyrik der Staatsanwaltschaft, erdichtet", erklärt Pauka.
In der gesamten Akte, im gesamten Verfahren gäbe es keinen einzigen Hinweis darauf, dass der Landrat in irgendeiner Form persönlich von irgendwelchen Machenschaften profitiert haben könnte. Dies sei "absurd und von der Hand zu weisen", so Pauka weiter.
Schleusergeld an 1. FC Düren?
Unstrittig aber ist: Die mutmaßlichen Schleuser bemühten sich intensiv um seinen Fußballverein. Einer der Hauptbeschuldigten, Claus Brockhaus, war dort mit einer Firma ein Jahr lang Trikotsponsor. Und das von ihm vorgestellte Krefelder Ehepaar gibt dem Verein im Juni 2020 ein Darlehen über 150.000 Euro. Gemeinsam plant man ein internationales Sportinternat für chinesische Nachwuchsfußballer.
Nach Ansicht der Ermittler stammte das Geld dafür aus den Schleusungsgeldern. Doch Recherchen des WDR-Magazins Westpol zeigen: Jörg und Hong K. machten auch noch andere Geschäfte.
Prominenter Geschäftspartner
Unter der Krefelder Adresse sind mehrere Firmen gemeldet. Unter anderem die German Sino Education Group. Laut Webseite kümmert sie sich um den Bildungsaustausch zwischen Deutschland und China. Neben dem Ehepaar K. wird auf der Seite auf ein prominentes Gesicht aufgeführt: Beirat des Unternehmens soll Rudolf Scharping sein.
Scharping ist im China-Geschäft kein Unbekannter: Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Verteidigungsminister hat sich nach dem Ausscheiden aus der Spitzenpolitik als Berater auf China spezialisiert. Die von ihm geleitete Beratungsfirma RSBK veranstaltet einmal im Jahr eine deutsch-chinesische Wirtschaftskonferenz. Mitausrichter: Eine direkt dem chinesischen Außenministerium und damit der kommunistischen Partei unterstellte Abteilung.
Wir schauen uns die Teilnehmerlisten der Konferenzen an und entdecken: Neben prominenten Ex-Politikern wie Sigmar Gabriel oder Hans-Peter Friedrich hält auch der Krefelder Jörg K. als Vertreter der GSE 2021 und 2022 Vorträge. K. sitzt auf einem Foto sogar mit Scharping in der ersten Reihe.
In welcher Verbindung steht Scharping zu den mutmaßlichen Schleusern aus Krefeld?
Scharping teilt über einen Medienanwalt mit: Die Angaben auf der Seite der GSE seien veraltet und die Liquidierung der Firma längst beschlossen. Doch die GSE ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Hong K., die heute flüchtige Unternehmerfrau, gründet Ende 2022 die XINDA Beteiligungs GmbH. Hauptziel der Firma laut Firmendatenbank North Data: Der Erwerb und das Halten einer Beteiligung an der RSBK AG. Also der Beratungsfirma, die Scharping leitet.
Im Frühjahr 2024 übernimmt die XINDA dort die Mehrheit der Aktien. Jörg K. wird in den Aufsichtsrat berufen - dort sitzt er seit der Razzia nicht mehr, so Scharping auf Westpol-Anfrage:
Wir haben von den Ermittlungen im Februar Kenntnis erlangt. Daraufhin wurde unverzüglich eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung einberufen und Herr K. von seiner Aufgabe entbunden. Überdies wurden alle erforderlichen Maßnahmen zur Einziehung der Aktien eingeleitet. Rudolf Scharping
Die Spur des Geldes
Die englische Kleinstadt Coventry: In einem einfachen weißen Gebäude in der Copperfield Road, zwischen Friseursalon und Fensterfirma, werden angeblich tausende Firmen verwaltet.
Auch eine Golden Turtle Investment Firma. Dort ist der Krefelder Jörg K. Geschäftsführer. Die Firma wechselt 2024 in kurzer Zeit mehrfach den Besitz, gehört mal Chinesen, dann einer Briefkastenfirma auf den Seychellen.
Diese Golden Turtle mit Sitz in England übernimmt wiederum zwischenzeitlich die Mehrheit an der Krefelder Firma Xinda und damit indirekt die Mehrheit der Aktien der RSBK.
Neues in der China-Schleuser-Affäre. WDR 5 Westblick - aktuell. 21.03.2025. 06:17 Min.. Verfügbar bis 21.03.2026. WDR 5.
Mischt der chinesische Staat mit?
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler hat früher als Ermittler für das LKA NRW selbst Geldwäsche aufgedeckt. Schattenfinanzplätze wie die Seychellen zu nutzen habe nur einen einzigen Zweck: Zu verschleiern wer der wirtschaftlich Berechtigte ist, meint Fiedler. Nutzen würden dies etwa kriminellen Organisationen, aber auch ausländische Staaten, die Einflussmöglichkeiten in anderen Staaten verschleiern wollten.
"Also wenn ich das aus der chinesischen Brille heraus betrachte, dann wäre das durchaus eine Konstellation, die mir absolut logisch erscheint", meint Fiedler. In Deutschland müsse man die Naivität mit Blick auf andere Staaten ablegen. "Im Hinblick auf Russland geschieht das Gott sei Dank nach und nach. Im Hinblick auf China scheint mir das noch nicht hinreichend klar zu sein, dass die Chinesen natürlich mit allen möglichen Methoden arbeiten, um ihre eigenen Interessen hier durchzusetzen", so Fiedler weiter.
Hat also der Chinesische Staat über den Umweg Seychellen mitgemischt? Möglich - aber schwer zu beweisen. Ob Rudolf Scharping in die Finanzbewegungen eingeweiht war - dazu gibt er auf Westpol-Anfrage keine Auskunft.
Dürener Glashütte als deutsch-chinesisches Kultur- und Wirtschaftszentrum?
Sicher ist: Im Mai 2023 taucht Scharping einmalig auch selbst in Düren auf. Zusammen mit Jörg K. wirbt er bei Wolfgang Spelthahn, damals noch Landrat, für ein deutsch-chinesisches Kultur- und Wirtschafszentrum. Entstehen soll es auf dem Gelände der ehemaligen Glashütte.
Der Krefelder Jörg K. "meldete sich bei Herrn Spelthahn und stellte bei einem Treffen, zu dem er Rudolf Scharping mitbrachte, den Plan vor", sagt Spelthahns Anwalt Benjamin Pauka. Und weiter: "Herr Scharping machte sich für den Investor stark."
Da für das entsprechende Gelände allerdings die Stadt und nicht der Kreis Düren zuständig war, habe der Landrat Scharping und den Investor an den Bürgermeister von Düren verwiesen. Ein erstes Gespräch mit ihm führt Jörg K. ein Jahr später – ohne Scharping. Realisiert ist das Projekt bis heute nicht.
Geschäftsbeziehungen zwischen Scharping und dem jetzt als Schleuser beschuldigten Ehepaar K. finden sich also viele. Für eine Verwicklung Scharpings in die Schleuseraffäre gibt es keinerlei Hinweise. Es wird daher auch nicht gegen Scharping ermittelt. Auf eine lange Liste mit Fragen antwortet das Ehepaar K. diese Woche nicht.