Baseballschläger

Massenschlägereien im Ruhrgebiet: Neue Dimension der Clankriminalität?

Stand: 25.08.2023, 08:16 Uhr

Tagelang hielten Massenschlägereien zwischen Libanesen und Syrern die Polizei in Atem. Inneminister Reul sieht in der syrischen Gruppe eine "neue Konfliktpartei" bei der Clan-Kriminalität.

Von Thomas Drescher

Das Stichwort Clankriminalität sorgt seit Jahren für Unruhe - auch im NRW Innenministerium. Illegaler Handel und Fehden zwischen rivalisierenden Gruppen halten die Polizei in Atem - und die Clans selber scheinen nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, in weitgehender Ignoranz des deutschen Rechtsstaats.

Das vergangene Wochenende bildet einen vorläufigen Höhepunkt dieses autonomen Gebarens: Von Donnerstag bis Sonntag war die Polizei in NRW mit einem Großaufgebot damit beschäftigt, einen offenbar eskalierten Streit zwischen mehreren Gruppen einzudämmen. Mit mäßigem Erfolg, wie es scheint.

Abfolge von Schlägereien, offenbar abgestimmt

In Kurzfassung: Am Donnerstag, 15. Juni, lieferten sich etwa 50 Personen in Castrop-Rauxel auf offener Straße eine Schlägerei, bewaffnet mit Baseballschlägern, Messern, Macheten und Schlagstöcken. Nach Angaben des Innenministeriums hauptsächlich Männer aus dem türkisch-libanesischen und syrischen Milieu.

Am folgenden Freitag hätten sich rund 60 Personen "offenbar zu einer Art 'High Noon'" getroffen, wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) es nannte. In den geparkten Autos hätten die Beamten Waffen gefunden, darunter eine Maschinenpistole.

Am selben Abend kam es zu einer weiteren Massenschlägerei zwischen etwa 80 Personen vor einem syrischen Restaurant in der Essener Innenstadt. Im Netz hätten sich die Beteiligten zuvor mit der Parole "Kommt nach Essen" verabredet. Auch hier seien wieder etliche Waffen sichergestellt worden.

Die Polizei hätte die Lage "auch hier sehr schnell beruhigt", so Reul. Insgesamt zehn Menschen seien verletzt worden, so Reul, ein junger Syrer sogar lebensgefährlich. Auch einzelne Einsatzkräfte wurden angegriffen, ein Polizist sei am Handgelenk verletzt worden.

Alarmbereitschaft am Samstag, "Friedensgespräche" am Sonntag

Für Samstag habe die Polizei Hinweise auf eine Fortsetzung des Konflikts zwischen den rivalisierenden Gruppen gehabt und wieder ein Großaufgebot in Bereitschaft versetzt, "Clan-Spezialisten" des Landeskriminalamtes wurden aktiviert.

Am Sonntag beobachtete die Polizei ein Treffen in einer Moschee in Essen - offenbar sollten hier "Friedensgespräche" stattfinden, wie ein Polizeisprecher mitteilte. Lediglich ein "Waffenstillstand" sei dabei ausgehandelt worden, sagt ein Beobachter.

Auslöser des Prügel-Marathons sei die leichte Verletzung des Kindes einer Familie beim Spielen gewesen sein, berichtete Reul.

Die Bilanz der Polizei für dieses lange Wochenende: 700 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, dazu Diensthunde und Hubschrauber. 462 Personenkontrollen, 141 sichergestellte Gegenstände. 224 Platzverweise, 63 Betretungsverbote, 37 Strafanzeigen. Nur zwei vorläufige Festnahmen.

Hintergründe weiter unklar

Im Innenausschuss des Landtags waren die Clan-Fehden am Mittwoch Thema einer Sondersitzung. Mittlerweile ermittle die Polizei gegen mehrere Personen erfolgt, berichtete der Innenminister, unter anderem wegen Beteiligung an einer Schlägerei ohne Todesfolge sowie Widerstands gegen Polizeivollzugsbeamte. Außerdem ermittele die Polizei auch wegen des Verdachts der versuchten Tötung im Fall des jungen Syrers. Bei der Kreispolizeibehörde Recklinghausen sei dazu eine Mordkommission eingerichtet worden, "die aktuell unter Hochdruck ermittelt".

Ansonsten tappt das Innenministerium offenbar noch mehr oder weniger im Dunkeln: "Ob es sich um die Fortführung von Streitigkeiten unter einzelnen Familienmitgliedern handelt oder mehr dahintersteckt, wissen wir noch nicht", erklärte Reul. Auch sei die Zusammensetzung der beteiligten Gruppen noch nicht geklärt - lediglich, dass es sich um libanesisch-türkischstämmige und syrische Gruppen handelte. Immerhin: Die Mobilisierung habe in "enormem" Ausmaß über digitalen Medien und Chatgruppen stattgefunden.

Staatsanwalt sah zunächst keinen Zusammenhang, Reul aber sehr wohl

Bislang hatte der im Fall Castrop-Rauxel zuständige Dortmunder Oberstaatsanwalt Carsten Dombert gesagt, er sehe bei der Massenschlägerei keine Hinweise für einen Clan-Hintergrund. Auch mit den dann in Essen eskalierten Schlägereien sah Dombert keinen Zusammenhang.

Innenminister Reul interpretiert das Gewalt-Wochenende dagegen völlig anders. Clankriminalität finde "nicht immer nur als organisierte Kriminalität im Hinterzimmer statt", stellte er vor dem Innenausschuss am Mittwoch fest. Auch die jetzt erlebten spontanen Gewaltausbrüche auf der Straße gehörten zum Phänomen dazu. Die Vorfälle im Ruhrgebiet seien jetzt jedenfalls Anlass dafür, "intensiv zu prüfen, inwieweit wir neben den türkisch-arabischstämmigen Clans, auch andere Strukturen unter dem Phänomen der Clankriminalität im Blick haben müssen". Als neue Konfliktpartei seien jetzt auch Syrer im Fokus.

Weiter Strategie der Nadelstiche

"Bei uns gilt das Gesetz des Staates, nicht das Gesetz irgendwelcher Familien", verkündete Reul vor dem Innenausschuss. Wer meine, "aufgrund von familiären oder ethnischen Konflikten in deutschen Städten eine Art 'bewaffneten Straßenkampf' veranstalten zu wollen", der müsse damit rechnen, "dass die Polizei das Spektakel ganz schnell beendet". Reul verwies abermals auf das von ihm so genannte "System der 1000 Nadelstiche", mit dem man die Clan-Szene in NRW offenbar mürbe machen will.

Erfolgsmodell Task Force?

Vollmundige Sätze - die Reul so allerdings schon seit einigen Jahren wiederholt. Schon 2018 hatte die Landesregierung eine "Task Force" aus Polizisten, Staatsanwaltschaften und Steuerfahndern gegen "Clans, Terroristen und Mafiamitglieder" ins Leben gerufen. "Wir versetzen die Szene in Unruhe", erklärte Reul im August 2020, und auch schon damals: "Bei uns gilt das Gesetz des Staates". Im April 2022 nannte Reul die Ermittlungsgruppe "ein Erfolgsmodell": Gelungene Schläge gegen Geldwäscher, Cybercrime und Sozialbetrug gingen auf das Konto der Spezialermittler. Zum Thema Clans erhielt die Bilanz wenig Erfolgsnachrichten.

Statt dessen: 2018 und 2019 öffentliche Schlägereien mit Verletzten, auch 2022 prügelten sich dutzende Männer auf offener Straße in Essen.

Reul sagt Gespräch mit Faeser ab

Die Teilnahme an einer Bund-Länder-Besprechung zum Thema Clankriminalität, die am Mittwoch in Berlin mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stattfand, sagte Reul kurzfristig ab. Nach Informationen der Deutschen Presseagentur begründete das Innenministerium die Absage damit, dass man davon ausgehe, dass Faeser das Treffen zu einer PR-Aktion machen wolle. Es gehe der SPD-Politikerin angeblich nicht um fachlichen Austausch.

Aufgestoßen war Reul möglicherweise, dass Faeser zuvor der "Bild"-Zeitung gegenüber auf Reuls gerne verwendeten Ausdruck Bezug genommen hatte: "Einzelne Nadelstiche" seien wichtig, reichten aber nicht aus.