Fabian hat die ersten Monate seines Praktischen Jahres (PJ) hinter sich. Sein Lehrkrankenhaus im Ruhrgebiet möchte er nicht öffentlich nennen. Nach fünf Jahren Studium mit überwiegend Theorie war er mit viel Elan gestartet. Nun aber ist er frustriert.
Oft müsse er als PJ-ler unliebsame Aufgaben übernehmen wie Blutabnehmen, Venenzugänge legen oder im OP Haken halten, statt bei Visiten oder Patientengesprächen etwas zu lernen. Fabian fühlt sich als Lückenbüßer, einfach ausgenutzt und ausgebeutet.
40 Wochenstunden für weniger als den Mindestlohn
Da das praktische Jahr zum Medizinstudium gehört, haben Medizinstudierende kein Anrecht auf Vergütung. Sie können zwar eine Aufwandsentschädigung bekommen, die maximal so hoch sein darf, wie der Bafög-Höchstsatz von aktuell 934 Euro im Monat. Das allerdings zahlt keine Uniklinik in NRW. In Bonn zum Beispiel gibt es 450 Euro monatlich plus 200 Euro für das Essen. In Aachen sind es nur 160 Euro und 69 Euro Essensgeld.
Die sogenannten Lehrkrankenhäuser, wie die DRK-Kinderklinik in Siegen, seien an die Vorgaben der Unikliniken gebunden, sagt Chefarzt Gebhard Buchal. Sein Haus bietet den Studierenden im Praktischen Jahr immerhin noch eine Unterkunft an.
Ohne Nebenjobs geht es oft nicht
Für PJ-ler, die kein Bafög bekommen und auch nicht von ihren Eltern unterstützt werden, ist es schwer, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Fabian arbeitet deshalb an den Wochenenden abends in einem Hotel. Das sei ziemlich anstrengend.
Lisa Suchner hat das Praktische Jahr gerade hinter sich. Sie ist nebenbei Rettungsdienst gefahren. Eigentlich sei man dafür nach einer Schicht im Krankenhaus nicht aufnahmebereit genug: "Das kann patientengefährdend sein, weil man übermüdet und überlastet ist", sagt sie rückblickend. Aber anders sei es nicht gegangen.
Ärztliche Tätigkeiten ohne Aufsicht
Lisa Suchner hat auch erlebt, dass Kliniken wegen des Ärztemangels gar keine Zeit zur Ausbildung der PJler hatten. So habe sie als Studentin auch Arzttätigkeiten ohne Aufsicht übernehmen müssen. Unter anderem habe sie Patienten vor OPs aufgeklärt, den Aufklärungsborgen dann aber nicht selbst unterschrieben, sondern nachträglich die Unterschrift eines Arztes eingeholt. Das passiere täglich, sagt Lisa Suchner.
Eine aktuelle Umfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund bestätigt ihre Schilderungen: 77 Prozent der befragten PJ-ler haben demnach schon ärztliche Kernleistungen ohne Anleitung ausgeführt. Eigentlich ist das nicht zulässig. Das NRW-Gesundheitsministerium verweist auf WDR-Anfrage darauf, keine Hinweise auf Missachtungen der Grundsätze der Ausbildung von Medizinern zu haben.
Kliniken brauchen Zeit und Personal für Nachwuchsausbildung
Die letzten Monate ihres PJ hat Lisa Suchner in der DRK-Kinderklinik in Siegen absolviert. Dort sei sie gut betreut worden und habe Fortbildungen bekommen. Jetzt ist sie dort Assistenzärztin. Chefarzt Gebhard Buchal bemüht sich sehr um den Nachwuchs, denn er ist froh über jeden jungen Nachwuchsmediziner, den die Klinik nach Siegen locken kann. Dennoch würde er sich für die Ausbildung im PJ mehr Zeit und Personal wünschen. Im Moment würden sie zusätzlich zur Patientenversorgung laufen. "Add on", so Buchal.
Stress im PJ verschärft Ärztemangel
Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bmvd) sieht noch zwei weitere Probleme. PJ-ler dürfen im ganzen Jahr nur 30 Fehltage haben, egal ob sie krank sind oder Urlaub machen. Und unmittelbar im Anschluss findet die Prüfung zum dritten Staatsexamen statt. Deshalb fordert die bmvd eine Trennung von Krankheits- und Fehltagen und einen Mindestabstand von vier Wochen zwischen Ende des PJ und Prüfung. Guilia Ritter, Vizepräsidentin der bmvd sieht im Stress während des Praktischen Jahres einen wesentlichen Grund für den Ärztemangel. "Wir bilden genug Ärzt:innen aus, aber sie bleiben nicht im System. Und ich denke, das PJ ist da auch noch mal ein großer Schritt, wo sie sagen, so möchte ich nicht arbeiten. Das ist mir zu viel", so Ritter. Deshalb fordert sie nicht mehr Studienplätze für Medizin, sondern bessere Bedingungen.
Opposition im Landtag fordert Verbesserungen
Die gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Susanne Schneider erwartet, dass sich NRW für die Medizinstudierenden einsetzt. Die Liberalen haben einen entsprechenden Antrag in den Landtag eingebracht und werden von SPD und AfD unterstützt. "Wenn man mal vergleicht: Referendare in der Justiz oder auch im Lehrerberuf, die werden ganz, ganz anders vergütet in dieser Zeit. Das müssten uns unsere Ärzte auch Wert sein“, so Schneider.
Das NRW-Gesundheitsministerium hat dem WDR mitgeteilt, dass man mit den für die medizinische Ausbildung zuständigen Einrichtungen im Austausch sei und Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungsbedingungen erarbeiten will.
Über das Thema berichten wir am 10.09.2023 ab 19.30 Uhr in Westpol im WDR Fernsehen.