Ein Auftritt von Friedrich Merz in Bochum hat Streit im Wahlkampf ausgelöst. Der CDU-Chef zweifelte die Pläne für einen raschen Umbau der Stahlindustrie auf eine klimafreundliche Wasserstoffwirtschaft an. "Ich glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum Wasserstoff-betriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird", so der Kanzlerkandidat am Montagabend bei einer Betriebsrätekonferenz der CDU-Arbeitnehmerschaft CDA.
"Wo soll der Wasserstoff denn herkommen - den haben wir nicht", sagte Merz weiter. "Und wenn wir das mit Wasserstoff machen, dann ist die Tonne Stahl immer noch mindestens 300 Euro teurer als so wie sie bisher konventionell erzeugt wird." Damit stellte Merz Pläne für "grünen Stahl" in Frage, hinter denen unter anderem auch die schwarz-grüne Landesregierung steht.
Kritik von SPD und Grünen
NRW-SPD-Chefin Sarah Philipp bezeichnete die Aussagen von Merz als "brandgefährlich für den Industriestandort" NRW. Sie warf ihm am Dienstag vor, die "Abrissbirne für eine Industrie von morgen im Ruhrgebiet" vorzubereiten. Thyssenkrupp Steel werde eine Zukunft haben, "wenn klimaneutraler Stahl in Duisburg produziert werden kann".
Auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck kritisierte Merz: "Diese Aussage ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, denn sie kann nur so übersetzt werden, dass die deutsche Stahlproduktion zu Ende geht." Auch andere Staaten wie die USA oder China hätten sich "längst auf den Weg gemacht", die Dekarbonisierung der Stahlherstellung voranzutreiben. Habeck betonte, unter anderem habe sich NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) für grüne Stahlproduktion ausgesprochen.
Die IG Metall reagierte ebenfalls. "Ich lade den CDU-Vorsitzenden ein, ihm die Bedeutung grünen Stahls für Industrie und Arbeitsplätze vor Ort in einem Stahlwerk zu erläutern", sagte Gewerkschafts-Vize Jürgen Kerner. An der Frage, "ob es gelingt, grünen Stahl in Deutschland zu produzieren, hängen Zehntausende Arbeitsplätze".
ThyssenKrupp bekräftigte, an der grünen Transformation festzuhalten. Zugleich räumte das Unternehmen "an diversen Stellen Verzögerungen beim Aufbau von Infrastruktur und Produktionskapazitäten für eine zuverlässige Wasserstoffversorgung" ein.
Höflicher Applaus für Merz
Am Montagabend hatte Merz mit rund 150 Betriebsräten und anderen Arbeitnehmern über seine Pläne nach der Bundestagswahl diskutiert. Im Dampfgebläsehaus der Bochumer Jahrhunderthalle referierte der Kanzlerkandidat über die jüngst von der CDU beschlossenen Pläne für eine "Agenda 2030" - geplant sind unter anderem eine Senkung der Unternehmenssteuer und Einsparungen beim Bürgergeld.
Der Applaus für Merz in Bochum ist höflich, aber nicht frenetisch. In der anschließenden Diskussion spricht Arndt Küpper, Betriebsratsvorsitzender bei Clariant in Oberhausen, den CDU-Chef auf dessen Vergangenheit bei Blackrock an.
Skepsis bei Arbeitszeitplänen
Kritik äußert Küpper am Plan der CDU, im Arbeitszeitgesetz die Tagesarbeitszeit auf eine Wochenarbeitszeit umzustellen. "Da braucht es starke Gewerkschaften für, und die haben wir nicht in allen Bereichen." Dann könnten sich die Unternehmen durchsetzen. Darüber müsse man noch kontrovers diskutieren, so Küpper.
Die Merz-Aussage zu Wasserstoff fällt im Dialog mit ThyssenKrupp Steel Betriebsrat Tekin Nasikkol. Eindringlich fordert er Merz auf, sich für Erhalt von Industriearbeitsplätzen einzusetzen. Der Industriestandort stehe an einem "Kipppunkt". Es gehe im Stahlbereich insgesamt um 450.000 Arbeitsplätze. Nasikkol forderte "jetzt sofort Hilfe" wegen hoher Energiekosten und Konkurrenz durch "Billigstahl" aus China. Merz sagte zu, sich zu kümmern - und nahm eine Einladung nach Duisburg an.
Nach Bochum war Merz vom neuen CDA-Chef Dennis Radtke eingeladen worden, der vor einigen Monaten die Nachfolge von Karl-Josef Laumann an der Spitze der CDU-Arbeitnehmerschaft angetreten hatte. Der Europaabgeordnete Radtke gilt nicht als Merz-Fan, eine Zeitung hatte den Sozialpolitiker aus Bochum-Wattenscheid sogar mal als "Anti-Merz" bezeichnet.
Nach dem Merz-Auftritt in Bochum dürften Radtke und seine CDA noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen, um Arbeitnehmer für den Unions-Kanzlerkandidaten zu begeistern.
Unsere Quellen:
- Merz und Betriebräte bei CDA-Konferenz in Bochum
- Material der Nachrichtenagenturen Reuters und AFP
- Eigene Recherchen