Es ist nur eine Seite, die eine Menge Fragen aufwirft. Es handelt sich um die Überstellungsmodalitäten für den späteren Attentäter. Der 26-Jährige hatte auf einem Stadtfest in Solingen wahllos auf Menschen eingestochen und drei getötet.
Eigentlich hätte der Syrer da schon nicht mehr in Deutschland sein dürfen, bereits im Februar 2023 akzeptierten die bulgarischen Behörden, den Mann aufzunehmen. Über dieses Land war er in die EU gekommen, nach dem sogenannten Dublin-Verfahren darf er nur dort einen Asylantrag stellen und hätte deshalb von Deutschland, wo er sich tatsächlich aufhielt, dahin abgeschoben werden müssen.
Überstellungsformular eröffnet Abschiebe-Möglichkeiten
Dem WDR liegt das Überstellungsformular der staatlichen Flüchtlingsagentur Bulgariens vor. Es ist Teil der Akten des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landtags und wurde somit von NRW-Behörden an das Gremium überstellt.
In diesem Papier heißt es auf Englisch, man bevorzuge, "dass der Transfer an jedem Werktag außer Freitag zwischen 9:00 und 14:00 Uhr am Flughafen Sofia stattfindet." (“We prefer the transfer to take place at Sofia Airport any working day except Friday between 9:00 AM and 2:00 PM.”)
Man erbitte jedoch sieben Werktage im voraus die Behörden zu kontaktieren, wann genau der Flug in Bulgarien landen soll. Das höfliche Schreiben steht damit jedoch im Widerspruch zu den Aussagen von NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne).
Widerspruch zu Paul-Aussagen und BAMF-Papieren
![NRW-Flucht- und Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) | Bildquelle: dpa/Federico Gambarini NRW-Flucht- und Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne)](/nachrichten/landespolitik/josefine-paul-118~_v-ARDAustauschformat.jpg)
NRW-Flucht- und Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne)
Vier Tage nach dem Anschlag sagte sie nämlich in einer Sondersitzung des Innen- und Flüchtlingsausschusses:"In diesem Fall handelte es sich um die Kriterien, dass diese Überstellungen nach Bulgarien nur montags bis donnerstags zwischen 9:00 und 14:00 Uhr stattfinden können", so Paul. Es müsse zudem den bulgarischen Behörden neun Werktage im Voraus mitgeteilt werden. Auch Charterflüge würden nicht akzeptiert, die Zahl möglicher Flugverbindungen sei rar gesät und der Landeflughafen müsse der in Sofia sein.
Dem WDR liegt ebenfalls eine Aufstellung des Bundesamtes für Flucht und Migration (BAMF) vor, welche Vorgaben bei sogenannten Dublin-Überstellungen einzuhalten seien. Es kommt zu ähnlichen, aber auch abweichenden Aussagen zu denen von NRW-Ministerin Josefine Paul. In der aktuellen Fassung von August 2024 durften demnach nur Flüge stattfinden, die Montags bis Donnerstags zwischen 08:00 und 15:00 Uhr in Sofia landen. Angekündigt neun Arbeitstage vorher.
Ministerium verteidigt sich
Das Ministerium teilte auf schriftliche Nachfrage mit, dass man sich an die Kriterien des BAMF gehalten habe. In Kombination mit den "Überstellungsmodalitäten des Bamf ergab sich somit, dass eine Überstellung an jedem Arbeitstag, außer freitags, zwischen 9 und 14 Uhr zu erfolgen hatte", schreibt eine Sprecherin auf Nachfrage.
Dies seien die Vorgaben, die "Ministerin Paul immer benannt hat", so die Sprecherin weiter. Allerdings räumte das Ministerium ein, dass der englische Satz missverständlich sei, da er Interpretation zulasse. Die fehlende Kommasetzung sei uneindeutig.
FDP fordert sofortigen Paul-Rücktritt
Die Opposition im Landtag ist erzürnt. "Die zahlreichen Mosaiksteine aus Ungereimtheiten, Desinteresse und Halbwahrheiten zeichnen schon lange das Bild einer überforderten Fluchtministerin", sagt Lisa Kapteinat von der SPD. Sie erwarte umgehend Aufklärung von Ministerin Paul über diese widersprüchlichen Aussagen im Untersuchungsausschuss.
FDP-Fraktionschef Henning Höne hat dazu keine Geduld mehr. Mit den jetzt öffentlich bekannt gewordenen Informationen sei klar, dass "es zahlreiche Möglichkeiten gegeben hätte, den Abschiebeflug durchzuführen." Die Ministerin habe das Vertrauen vollends verloren. "Die FDP-Landtagsfraktion fordert den sofortigen Rücktritt von Ministerin Josefine Paul!", so Höne.
Unsere Quellen:
- Recherche WDR-Reporter
- Dokument Überführung
- Statements FDP und SPD
- Antwort aus dem Ministerium
Über dieses Thema berichten wir auch in der Sendung "Westblick" bei WDR 5 am 10.02.25 um 17.04 Uhr.