Nach etwa drei Jahren Vorbereitungszeit soll in wenigen Monaten in Nordrhein-Westfalen eine Landes-Meldestelle für muslimfeindliche Vorgänge starten. Wie der WDR exklusiv von einer Person erfuhr, die mit dem Aufbau der Meldestelle gut vertraut ist, soll der Start "im März, spätestens April" erfolgen. Das zuständige NRW-Integrationsministerium äußerte sich auf Nachfrage etwas vager: Der Start der Meldestelle solle "im Frühjahr 2025" erfolgen.
Zeitgleich mit dem Start der "Meldestelle zu antimuslimischem Rassismus" (MEDAR) sollen drei weitere Einrichtungen aktiv werden, bei denen Fälle von Diskriminierung auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gemeldet werden können: Eine für Antiziganismus, also Hass gegen Sinti und Roma, eine für Queerfeindlichkeit und eine für „anti-Schwarzen, antiasiatischen und weitere Formen von Rassismus“. Bereits seit April 2022 gibt es in NRW eine eigene Meldestelle für antisemitische Vorfälle.
NRW ist deutscher Vorreiter
Nach Recherchen von WDR COSMO ist Nordrhein-Westfalen das erste Bundesland, das eine eigene Landes-Meldestelle für antimuslimische Vorfälle einrichtet. Grob geschätzt leben hier mehr als 1,7 Millionen Menschen muslimischen Glaubens.
Angekündigt worden war die Meldestelle gegen Muslimfeindlichkeit bereits vor knapp drei Jahren. Im Januar 2022 waren auf dem Hauptfriedhof in Iserlohn mehrere muslimische Gräber geschändet worden - Grabsteine wurden umgestoßen, Blumen zerstört. Wenige Tage später hatte die damals noch schwarz-gelbe Landesregierung angekündigt, eine vom Land geförderte Meldestelle gegen Muslimfeindlichkeit einzurichten - und ebenso Meldestellen gegen andere Formen von Diskriminierung.
Zunächst reine Online-Plattform
Die Meldestelle für Muslimfeindlichkeit ist zunächst als reine Online-Plattform gedacht, erklärt Kemal Bozay vom Verein interKultur e.V. aus Köln, einer der zwei Träger der Meldestelle MEDAR. Personen, die antimuslimisch diskriminiert wurden, können über eine Art Kontaktformular beschreiben, was ihnen passiert ist, z.B: "Ich war vor drei Wochen in Gelsenkirchen-Buer unterwegs. Drei Männer haben gesehen, dass ich ein Kopftuch trage und haben gerufen "Geh zurück nach Anatolien!". Einer von ihnen hat mir noch den Mittelfinger gezeigt".
Dieser Vorfall werde dann anonymisiert dokumentiert, also beispielsweise würden Namen der Betroffenen und auch mutmaßlicher Vorfall-Verursacher entfernt. "Wenn wir feststellen, da geht es auch um eine Straftat - also zum Beispiel Beleidigung oder Körperverletzung - weisen wir die Person darauf hin, falls sie Kontaktdaten hinterlassen hat, dass sie sich damit auch an die Polizei wenden kann".
Tatsächlich ist auf polizeilicher Ebene ein Anstieg von Taten gegen Muslime feststellbar. Laut der NRW-Statistik für politisch motivierte Kriminalität gab es im vergangenen Jahr, also 2023, mehr als doppelt so viele Straftaten in der Kategorie "Islamfeindlich" wie im Vorjahr. Mit insgesamt etwa 270 Straftaten wirkt das Niveau angesichts von geschätzt mehr als 1,7 Millionen Muslimen in NRW immer noch recht niedrig - dennoch beunruhigt der rapide Anstieg viele Mitglieder der muslimischen Community, sie berichten von einer generell angespannten Stimmung ihnen gegenüber.
Und: Expertinnen und Experten verweisen darauf, dass viele Betroffene muslimfeindliche Delikte nicht zur Anzeige bringen würden - und nicht jede Diskriminierung die Strafschwelle überschreitet. Auch deswegen seien Meldestellen wichtig, um ein genaueres Bild dafür zu bekommen, wie häufig Diskriminierungen tatsächlich vorkommen.
AfD wittert "Geist der Denunziation"
Gleichzeitig ist es Sozialwissenschaftler Kemal Bozay wichtig zu betonen, dass die Meldestelle eben keine Form von "Justizbehörde" oder ähnliches darstellt. "Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir wollen Menschen niedrigschwellig ein Ohr leihen, damit sie uns erzählen können, was Ihnen passiert ist." Die Meldestelle habe auch nicht die personellen Kapazitäten um nachzurecherchieren, ob sich ein Vorfall tatsächlich so zugetragen hat wie geschildert. Und: Wenn die Person einen mutmaßlich strafbaren Vorgang beschreibt, aber keine Kontaktdaten hinterlässt, leitet MEDAR nicht eigenständig diese Schilderung an die Polizei weiter, betont er.
Die AfD in NRW kritisierte vor wenigen Monaten in einem Antrag, die Meldestelle gegen Muslimfeindlichkeit - und auch die drei weiteren neuen Meldestellen - könnten einen "Geist der Denunziation" fördern. Es sei mit ihnen zu einfach, unbescholtene Personen anzuschwärzen. Die Partei forderte daher, den Aufbau dieser Meldestellen umgehend zu stoppen. Im September wurde ihr Antrag von allen anderen Fraktionen im NRW-Landtag abgelehnt.
Josefine Paul: "Dunkelfelder sollen ausgeleuchtet werden"
Kemal Bozay sagt im Gespräch, dass bei der von ihm mitbetreuten Meldestelle identifizierende Elemente bei Meldungen wie Namen, Adressen etc. immer gelöscht beziehungsweise anonymisiert würden. Auch die Landesregierung betont immer wieder, dass jegliche Meldungen bei den Meldestellen nur anonymisiert dokumentiert würden und somit keine Rückschlüsse auf mutmaßliche Verursacher von Vorfällen möglich seien. Dies gelte auch, wenn Personen melden, dass sie über Social Media eine antimuslimische Diskriminierung erlebt haben, beispielsweise via Posting oder einer Direktnachricht. Allerdings wird in den bisherigen Erläuterungen der Landesregierung nicht klar, ob beispielsweise auch direkt Screenshots mutmaßlicher Online-Diskriminierungen bei den Meldestellen hochgeladen werden können - und wie dann eine anschließende Anonymisierung konkret aussehen soll.
NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) betonte im Interview mit WDR COSMO im Sommer, die Meldestellen gegen verschiedene Formen der Diskriminierung seien notwendig, "weil es hier noch erhebliche Dunkelfelder gibt" - also viele Betroffene mit Vorfällen bspw. bislang nicht zur Polizei gehen. Wenn mit den Meldestellen besser ausgeleuchtet werde, wie stark beispielsweise Muslimfeindlichkeit im Alltag auftrete und in welchen Situationen, könne das dabei helfen, auch stärker Präventionsmöglichkeiten zu finden - also bspw. an bestimmten Orten oder in bestimmten Institutionen Vorurteile stärker direkt anzusprechen.
Für jede der vier neuen Meldestellen sind laut NRW-Integrationsministerium fürs neue Jahr 180.000 Euro Landesmittel eingeplant.
Quellen:
- Recherchen des Reporters (Gespräch mit gut informierter Quelle, was den Aufbau der Meldestelle angeht)
- WDR-Anfrage bei NRW-Integrationsministerium
- Interview mit Kemal Bozay von interKultur e.V., einer der Projektträger für die Meldestelle zu antimuslimischen Rassismus (MEDAR)
- Große Anfrage der AfD zu den vier neuen NRW-Meldestellen sowie Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage
- COSMO-Anfrage bei 16 Bundesländern bezüglich des Aufbaus von Meldestellen spezifisch zu Muslimfeindlichkeit
Im Hörfunk berichtet am 27.12.2024 WDR Cosmo gegen 16.30 Uhr und der Westblick bei WDR5 gegen 17.10 Uhr über das Thema.