Presse-Neujahrsbrunch der NRW-SPD mit Co-Vorsitzendem Achim Post, Parteivorsitzender Sarah Philipp, Generalsekretär Frederick Cordes und Pressesprecher Lukas Günther (v.r.)

NRW-SPD: 'Königsmord' war gestern

Stand: 10.01.2025, 06:00 Uhr

Die SPD kürt auf ihrem Parteitag am Samstag Olaf Scholz offiziell zum Kanzlerkandidaten. In NRW hatten einflussreiche Genossen für Boris Pistorius geworben. Im Wahlkampf demonstriert man derzeit Geschlossenheit. Eine Analyse.

Von Kai Clement von der WDR-LandespolitikKai ClementMartin TeiglerMartin Teigeler

Am Montag nach dem SPD-Parteitag wird der dann wohl auch ganz offiziell von seiner Partei gewählte SPD-Kanzlerkandidat namens Olaf Scholz nach Bielefeld kommen.

Wiebke Esdar

Die Bielefelder Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar hatte Scholz bereits angezählt

Es wirkt wie eine Ironie der Geschichte: Wahlkampfauftakt ausgerechnet gemeinsam mit Wiebke Esdar, Vorsitzende der SPD Bielefeld. Schließlich hatte Esdar als Scholz-Skeptikerin für viel Aufsehen und Gesprächsstoff gesorgt. Esdar ist gemeinsam mit Dirk Wiese Vorsitzende der mächtigen NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion. In dieser Rolle hatten die beiden im November eine Erklärung abgegeben.

Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius. Wiebke Esdar und Dirk Wiese

Rückenwind aus NRW für den ersten SPD-Kanzler nach 16 Merkel-Jahren? Weit gefehlt. In den Chor stimmten dann auch Ruhr-SPD-Sprecher Markus Töns und Parteilegende Franz Müntefering ein. Zuvor hatte der ebenfalls aus NRW kommende Fraktionschef Rolf Mützenich ein "Grummeln" in seiner Partei zur K-Frage ausgemacht. Ein Grummeln, das erst Pistorius selbst beendete. Er erklärte in einem SPD-Video, dass er nicht als Kanzlerkandidat zur Verfügung stehe. Zuvor hatte er ein klares 'Nein' vermieden.

Der König lebt, es lebe der König

SPD Sarah Philipp und Achim Post

NRW-SPD-Führungsduo Sarah Philipp und Achim Post: Die Kandidatendebatte sei abgehakt

Vergeben und vergessen? "Das muss ich nicht vergessen machen", sagt NRW-Co-Parteichefin Sarah Philipp kurz vor dem Bundesparteitag. "Das ist bereits vergessen und kein Thema mehr." Seitdem sich der Parteivorstand hinter Scholz versammelt habe - also nach dem Pistorius-Video - sei die Frage erledigt. Das gelte für alle Parteigliederungen, vom Ortsverein aufwärts. Auch Co-Parteichef Achim Post erklärt die Debatte für beendet und verneint, dass die Hängepartie einen Schaden angerichtet habe - auch wenn Pistorius in seinem Video durchaus einen Schaden für die SPD eingeräumt hatte.

Kurz nach Pistorius' Rückzug kommentierte NRW-Co-Chef Post die Entwicklung vor großem Presseandrang im Johannes-Rau-Haus in Düsseldorf mit wenig Euphorie: Es habe zwar in der NRW-SPD "großen Zuspruch" für Pistorius gegeben, ja, aber jetzt sei die Entscheidung da, sagt Post damals. Es sei besser, dass weiter ein Sozialdemokrat im Kanzleramt sitze, als ein Mann wie der Kanzlerkandidat der Union, CDU-Chef Friedrich Merz.

Scholz contra "Wackel-Dackel"

Allerdings: Die SPD wirkt in Umfragen bis heute wie festgefroren bei 14 bis 17 Prozent. Nur knapp jede und jeder Fünfte sagte im ARD-Deutschlandtrend, dass Scholz ein guter Kanzler sei. Da wirkt es fast vermessen, das am Sonntag zu beschließende Programm "Regierungsprogramm" zu nennen. Hinzu kommt: auf einen Überraschungseffekt kann die Partei anders als bei der letzten Wahl nicht mehr hoffen: Scholz ist als Kanzler bekannt. Die Partei setzt stattdessen auf seine Verlässlichkeit und Regierungserfahrung und das Gegenbild eines Merz als unberechenbarem "politischen Wackel-Dackel" ohne jede Regierungserfahrung (Sarah Philipp).

War bei der vergangenen Wahl "Respekt" der Schlüsselbegriff, ist es jetzt ein "Mehr". Die Partei will die Wirtschaft ankurbeln und dafür sorgen, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche habe: mehr Netto, mehr Rente, mehr Wachstum, so heißt es in der Wahlkampagne. Entsprechend setzt man in NRW auf eine "Mehr für Dich"-Tour, um Menschen vor Ort zu erreichen, an Werkstoren, bei Schichtwechseln, an Bahnhöfen. Und: auch zum bundesweiten Wahlkampfabschluss am 21. Februar soll Scholz nach NRW kommen - zunächst nach Köln und dann erneut ins Ruhrgebiet. Wahrscheinlich sei ein Auftritt in Dortmund, sagt Frederick Cordes, Generalsekretär der NRW-SPD .

Selbst der linke Parteinachwuchs ist trotz aller Widrigkeiten mehr oder weniger auf Linie - und macht brav Wahlkampf für Scholz. Es gehe um eine "Richtungswahl, das spürt gerade die junge Generation", so die Sicht von Juso-Landeschefin Nina Gaedike. Im SPD-Wahlprogramm fehlt ihr aber noch eine "Kindergrundsicherung als zentrale Maßnahme".

Zurück als Juniorpartner in eine Große Koalition?

Die NRW-Genossen setzen also allen Umfragewerte zum Trotz auf Sieg. Doch die Hintertür Große Koalition scheint offen. "Das Wort Juniorpartner kennen wir gar nicht", sagt Achim Post zwar ironisch. Ja, das habe es zwar schon einmal gegeben, "muss aber nicht wieder vorkommen". Aber er macht auch deutlich, dass eine "Erholung in der Opposition" wohl kaum der richtige Ansatz sei. Manche SPD-Landesverbände erholten sich seit 50 Jahren in der Opposition - mit dem Ergebnis, dass die Zahlen noch weiter nach unten gingen.

Posts Credo: "Das Rennen ist völlig offen". Eine durchaus sportliche Aussage angesichts des schon lange anhaltenden, bislang stabilen Umfragevorsprungs der Union. Und viel Zeit bleibt den Genossen nicht mehr für einen Stimmungsumschwung - zumal die immer populärere Briefwahl diesmal wegen der verkürzten Fristen zügig erfolgen muss.

Erneute SPD-Turbulenzen im Falle einer Wahlpleite?

Sollten sich die schlechten Umfragewerte bei der Bundestagswahl bestätigen, würden zahlreiche SPD-Abgeordnete aus NRW ihr Mandat verlieren. Hinzu kommen Mandatsverluste durch das neue Wahlrecht. In Nordrhein-Westfalen hatte die SPD 2021 mit 31 Prozent der Erst- und 29 Prozent der Zweitstimmen besonders stark abgeschnitten.

Es könnte im Fall einer historischen Wahlpleite ein sozialdemokratisches Scherbengericht folgen - samt personellen Konsequenzen im Bund und Land. Im Mai findet in NRW der Landesparteitag statt.

Ob die innerparteiliche Lage in den Monaten nach der Bundestagswahl erneut eskaliert, dürfte auch davon abhängen, ob sich die SPD am 23. Februar in den Wahlkreisen im Ruhrgebiet behaupten kann, wo sie bei der Europawahl ein Debakel erlebt hatte.

Unsere Quellen:

  • eigene Recherchen
  • Erklärung Wiese/Esdar
  • Mitteilung der NRW-Jusos auf WDR-Anfrage
  • Pistorius-Video

Über dieses Thema berichtet der WDR auch im Hörfunk.

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