"Uns steht das Wasser bis zum Hals" - Verbände sehen soziale Struktur gefährdet
Stand: 18.12.2023, 14:30 Uhr
Nach der größten Demo vor dem Landtag seit Jahrzehnten habe es nur "warme Worte" gegeben, kritisieren Wohlfahrtsverbände. Sie warnen vor einem Zusammenbruch der sozialen Infrastruktur in NRW.
Von Christian Wolf
Geschlossene Kitas, kein Ganztagsangebot für Schülerinnen und Schüler, nur eine eingeschränkte Pflege: Schon jetzt sorgen Personalmangel und finanzielle Unterausstattung dafür, dass es dieser Tage zu Reduzierungen und Schließungen von Angeboten kommt. Zahlreiche Verbände aus NRW warnen nun davor, dass dies in naher Zukunft im großen Stil eintreten könnte. Sie sehen die soziale Infrastruktur massiv gefährdet.
Am Montag haben mehrere Organisationen die Landesregierung erneut zum Handeln aufgefordert. "Wir befürchten, dass viele Einrichtungen ihre Dienste unter diesen Bedingungen einstellen müssen. Uns steht das Wasser bis zum Hals", sagte Christian Woltering, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW. Nach einer Großdemonstration im Oktober mit über 20.000 Protestierenden vor dem Landtag sei eine angemessene politische Reaktion ausgeblieben. Trotz der dramatischen Lage der Träger gebe es im Haushalt 2024 keine spürbaren Verbesserungen für die soziale Infrastruktur. "Wir stehen in einer bedrohlichen Krise und von der Landespolitik gibt es nichts als warme Worte."
Kitas weisen Kinder ab
Schon jetzt müssten Eltern teilweise ihre Arbeitszeit verkürzen oder ihren Beruf ganz aufgeben, weil sie die vielen Fehlzeiten durch kurzfristige Ausfälle des Kita-Angebots nicht mehr stemmen könnten, berichtete Daniela Heimann vom Vorstand des Landeselternbeirats NRW. Teilweise würden Kinder erst morgens an der Kita-Tür abgewiesen. Weil wegen des reduzierten Angebots ausgesiebt werden müsse, könnten einige Kinder bleiben, andere müssten direkt wieder gehen. Andere Träger hätten Wechselmodelle, wo die Kinder nur jeden zweiten Tag kommen könnten. Für Zwei- bis Sechsjährige sei das eine Zumutung.
Gefordert werden kurzfristige Maßnahmen von der Landesregierung. "Nur wenn die Kindertagesbetreuung jetzt finanziell unterstützt wird, sichern wir allen Kindern in NRW ein chancengerechtes Aufwachsen und eine gleichberechtigte Teilhabe zu", sagte Heimann. Allein beim Inflationsausgleich blieben die Kita-Träger derzeit auf rund 400 Millionen Euro sitzen, sagte Woltering von der Freien Wohlfahrtspflege.
Kommunale Spitzenverbände sehen Land in der Pflicht
Unterstützung kommt von den Kommunen. Das Land müsse die 100 Millionen Euro, die den freien Trägern und der Kirche für das erste Halbjahr 2024 als Überbrückungshilfe zugesagt worden sei, mindestens verdoppeln, forderten die kommunalen Spitzenverbände am Montag. "Viele Träger sind bereits auf die Kommunen zugegangen und haben zusätzliches Geld eingefordert. Doch haben viele Kommunen selbst eine extrem angespannte Haushaltslage", sagten die Chefs von Städtetag, Landkreistag sowie Städte- und Gemeindebund. Man werde nicht ansatzweise in der Lage sein, die Einrichtungen im geforderten Umfang zu unterstützen.
Probleme auch bei Ganztagsbetreuung
Als wäre all das noch nicht genug, kommt ab 2026 auch noch der Rechtsanspruch auf schulische Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Doch schon jetzt zeichnet sich da offenbar ein dramatischer Mangel ab. "Eigentlich müssten wir jetzt schon die Leute dafür ausbilden", sagte Woltering. Tatsächlich könne das vorhandene Personal wegen der unsicheren Finanzierung nicht mal gehalten werden.
"Ohne Richtlinien durch die Politik in Sachen Finanzierung und inhaltlicher Ausrichtung bleibt uns nichts anderes übrig, als Eltern immer wieder zu vertrösten", sagte Linda Jaskowiak von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Ruhr-Mitte. Aktuell sei nicht klar, wie viele Kinder im neuen Schuljahr tatsächlich betreuen werden können. Das sei zermürbend für die Eltern.