Für die Eltern der Kindertagesstätte St. Mechtern in Köln-Ehrenfeld war es ein Schock: Kurz vor den Sommerferien am 20. Juni erfuhren sie, dass die 39 bis dato betreuten Kinder nach den Sommerferien wahrscheinlich nicht mehr kommen könnten. Der Grund: Kein Personal.
Sechs Mitarbeitende hätten in den Wochen zuvor gekündigt, einschließlich der Leitung, schrieben die Eltern in einer Online-Petition an die Stadt - ein "kompletter Kita-Notstand". Den zumeist berufstätigen Eltern blieb erstmal nur die hektische Suche nach neuen Kitas für die Zeit nach den Sommerferien.
Familienministerin: "Leider weiterhin Fachkräftelücke"
Gänzlich anders liest sich die Pressemitteilung des NRW-Familienministeriums zum Start des neuen Kindergartenjahres 2024/2025: Die Landesregierung setze "eine klare Priorität auf die Förderung der Jüngsten im Land", heißt es darin.
Die vom Land gezahlte Pauschale pro betreutem Kind werde um rund zehn Prozent erhöht, kündigt Familienministerin Josefine Paul (Grüne) an. Insgesamt fließe dadurch im anstehenden Kindergartenjahr 370 Millionen Euro mehr "in die Struktur".
Frühkindliche Bildung sei kein "Nice-to-have", so Ministerin Paul, deshalb unternehme man "auch im neuen Kita-Jahr große Kraftanstrengungen, um das System zu entlasten und aufzuholen, was die vergangenen zwanzig Jahre verpasst wurde".
Die Zahl der Kita-Plätze wachse im neuen Kindergartenjahr weiter, so die Meldung. Ab dem 1. August würden in NRW mehr als 764.000 Kinder betreut. Mehr als 91.000 Erzieherinnen und Erzieher seien im Einsatz, dazu rund 13.600 Kinderpflegerinnen und -pfleger. Tatsächlich wurden laut Ministerium für das kommende Kitajahr 2024/25 nur 466 neue Plätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen, aber 3.140 für Kinder über drei Jahren.
"Wir haben so viel Personal im System wie noch nie", sagte Paul dem WDR. Allerdings sei "auch der Bedarf so groß wie noch nie", räumte sie ein. Daher müsse man "weiterhin von einer Fachkräftelücke leider ausgehen".
Viele Kitas mussten schließen
Die oppositionelle SPD-Fraktion im Landtag ist davon wenig beeindruckt. "Noch nie war diese Lücke so groß", sagte der familienpolitische Sprecher Dennis Maelzer am Dienstag. Allein im Februar und März 2024 hätten mehr als 3.000 Kitas in NRW ihr Betreuungsangebot einschränken oder komplett schließen müssen. Besserung sei nicht in Sicht. Studien zufolge fehlten mehr als 90.000 Plätze für Unter-Dreijährige.
Betreuungsquote teils miserabel
Ähnlich ist die Lage bei den Über-Dreijährigen: Laut Kinder- und Jugendhilfestatistik werden weniger als 90 Prozent betreut - das geht aus Angaben der Landesregierung hervor. "Jedes zehnte Kind hat somit keinen oder nur kurzzeitigen Zugang zu frühkindlicher Bildung", so Maelzer. Aus den Daten der Landesregierung, die dem WDR vorliegen, geht ebenfalls hervor, dass die Betreuungsquote - also die Zahl der Kinder mit Kitaplatz - in den vergangenen Jahren vielerorts gesunken ist.
So liegt laut einer Tabelle der Landesregierung beispielsweise in Duisburg die Betreuungsquote bei gerade mal 76,2 Prozent. Eines von vier über 3-jährigen Kindern hat dort also keinen Kitaplatz. In Gelsenkirchen liegt die Quote bei 78,8 Prozent, in Lage in Ostwestfalen bei 71 Prozent.
Ministerium: Gründe unbekannt
Warum die Betreuungsquote zurückgegangen ist - darüber lägen "keine genauen Erkenntnisse" vor, schreibt das Familienministerium. Der Bedarf für Ü3-Kinder sei "hoch individuell und abhängig von persönlichen Umständen" der Kinder und Eltern. Individueller Bedarf kann zum Beispiel heißen, dass eine Kita auch späte Öffnungszeiten anbietet.
Dabei gibt es seit einigen Jahren genau für solche individuellen Bedarfe in einzelnen Kommunen die sogenannten "Flexibilisierungsmittel" vom Bund: 80 Millionen Euro standen im vergangenen Jahr dafür bereit.
Kommunen nahmen Finanzhilfe oft gar nicht an
Doch das Geld sei gar nicht voll von den Kommunen ausgeschöpft worden, kritisiert Maelzer. Mehr als 27 Millionen Euro seien im vergangenen Jahr ungenutzt zurückgezahlt worden. Eine detaillierte Auflistung vom Land für jede einzelne Kommune bestätigt das.
Ein Grund könne sein, so Maelzer, dass die Kommunen, die die Hilfe beantragen, 25 Prozent davon selber zuschießen müssen.
Das Ministerium begründet das auf WDR-Anfrage so: Nur die Jugendämter vor Ort würden die konkreten Bedarfslagen kennen - also wissen, wie viel Geld zum Beispiel für zusätzliches Personal gebraucht würde. Eine "entsprechende Steuerung der zur Verfügung stehenden Mittel" könne daher nur kommunal durch die Jugendämter ermittelt werden. Das Land habe hier "naturgemäß auf die Mittelverteilung vor Ort keinen Einfluss".
In Köln sind inzwischen die meisten Kinder aus St. Mechtern in anderen Kitas untergekommen.
Quellen:
- Pressemeldung NRW-Familienministerium
- Pressegespräch SPD-Landtagsfraktion
- Stellungnahme NRW-Familienministerium
- Antwort der Landesregierung auf Kleine Anfragen der SPD