Pflegekräfte an Unikliniken warten auf versprochenen Tarifvertrag
Stand: 23.10.2022, 06:00 Uhr
Elf Wochen lang hatte das Pflegepersonal der Unikliniken für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt - und dem Land die Zusage abgerungen, dass es ab 2023 besser wird. Wie, ist aber weiter offen.
Von Per Quast
Wir treffen Lisa Schlagheck zwischen zwei Nachtschichten in Münster. Sie arbeitet in der Uniklinik als Krankenpflegerin in der Notaufnahme. Bei den Streiks der Pflegenden hat sie sich engagiert. Im Frühjahr und Sommer kämpften die Beschäftigten an den sechs Unikliniken des Landes für bessere Arbeitsbedingungen, einen Tarifvertrag, der ihnen nicht mehr Geld, sondern mehr Arbeitsentlastung garantieren soll. Nach elf langen Wochen dann die Einigung: Die Unikliniken und die Gewerkschaft Verdi verständigten sich auf Eckpunkte für einen Tarifvertrag.
"Das war natürlich ein großer Erfolg." meint Schlagheck. "Wir haben uns jetzt so eine kleine Bubble in NRW in den Unikliniken aufgebaut, eine kleine Blase, in der es jetzt das Potenzial gibt, dass es sich verbessert."
In den NRW-Unikliniken soll es in Zukunft besonders in den patientennahen Berufen mehr Personal geben. In jeder Schicht soll genau darauf geachtet werden, ob das Verhältnis von Patienten und Beschäftigten den neuen Regeln entspricht. Gibt es Abweichungen von diesen Regeln, bekommen die Beschäftigten nach einer gewissen Zeit Geld oder freie Tage.
Wer bezahlt nun?
Darüber war während der Tarifverhandlungen gestritten worden. Die SPD hatte im Sommer einen Antrag in den Landtag eingebracht und gefordert, das Land müsse die durch einen Tarifabschluss entstehenden Mehrkosten übernehmen und im Landeshaushalt verankern. Die für die Unikliniken zuständige Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) erteilte dem allerdings eine Absage. Am 30. Juni sagte sie im Landtag:
"Die Ausfinanzierung des Entlastungstarifvertrags ist weder mit der dualen Krankenhausfinanzierung noch mit dem EU-Beihilferecht vereinbar."
Die Duale Krankenhausfinanzierung sieht vor, dass das Land lediglich die Investitionskosten für die Kliniken trägt, etwa für neue Gebäude. Die Betriebskosten, dazu zählen die Gehälter, werden von den Krankenkassen finanziert.
Doch unerwartet großzügig zeigte sich plötzlich Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU): Bei einer Demonstration der Klinikbeschäftigten vor dem Düsseldorfer Landtag sagte er, dass Land werde die Kosten, die durch den Entlastungstarifvertrag entstehen, übernehmen. Der Landtag beschloss einen Antrag von CDU und Grünen, in dem es heißt: "Kommt es zu einem Tarifabschluss, ist eindeutig, dass das Land als Träger der Universitätskliniken der Adressat ist für entstehende Kosten, die über die duale Krankenhausfinanzierung hinausgehen."
War Laumann zu voreilig?
David Matusiewicz, Gesundheitsökonom
Ein Vorstoß, bei dem der Gesundheitsminister nicht unbedingt an alle rechtlichen Konsequenzen gedacht hat, glaubt Gesundheitsökonom David Matusiewicz. Denn es ergeben sich viele neue Fragen: "Wenn Laumann einspringt, ist das für die Uniklinika erstmal gut, aber die anderen Krankenhäuser werden sicherlich früher oder später auch die Hand heben." Durch den Entlastungstarifvertrag entsteht an den Unikliniken ein deutlich größerer Bedarf an Pflegekräften, die dort dann auch bessere Arbeitsbedingungen, zum Beispiel mehr freie Tage, bekommen.
Zweiklassengesellschaft in der Pflege?
Wie dringend bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege nötig sind, weiß Pflegedirektorin Andrea Schmidt-Rumposch von der Uniklinik Essen. Sie sieht jeden Tag, dass rund zehn Prozent der Intensivbetten leer bleiben müssen: Es fehlt an Personal, das die Patienten versorgt. Durch den Entlastungstarifvertrag hofft sie, dass sich das ändert, "weil es tatsächlich für Pflege mehr Entlastung bringt und die besten Arbeitsbedingungen auch herstellt".
Andrea Schmidt-Rumposch, Uniklinik Essen
Erst einmal bedeutet es in Essen aber auch, dass 300 neue Vollzeitpflegekräfte gesucht werden, ein einmaliger Vorgang. Die Uniklinik hat eine Kampagne gestartet, um Pflegekräfte zu gewinnen: "Wir haben sehr, sehr viele Anfragen aus der Umgebung, aus der Krankenpflege, aber auch aus dem Servicebereich, aus der Altenpflege. Wir gucken jetzt, an welcher Stelle können wir die Person wie einsetzen", so Schmidt-Rumposch.
Bei den anderen Kliniken im Land sorgt das schon jetzt für Unzufriedenheit. Wandern Pflegekräfte aus den Häusern bald etwa in großer Zahl in die Unikliniken ab? Die Krankenhausgesellschaft NRW teilt dem WDR auf Anfrage mit: "Wenn am Ende das Land die Zusatzkosten des Entlastungstarifvertrages für die Universitätsklinken bezahlen würde, wäre das natürlich eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der übrigen Krankenhäuser."
Ob Krankenhäuser in NRW gegen den Entlastungstarifvertrag und dessen Finanzierung klagen werden, ist offen. Aktuell gibt es nur das Eckpunktepapier, dass die Rahmenbedingungen setzt. An der Ausgestaltung des finalen Vertrags wird aktuell noch gearbeitet.
Ein erster Schritt
Alle Beteiligten sind sich einig, dass es grundlegende Veränderungen braucht in der Pflege - und zwar weit über die sechs Unikliniken in NRW hinaus.
Lisa Schlagheck, Uniklinik Münster
Lisa Schlagheck von der Uniklinik Münster freut sich zwar auf die absehbar besseren Arbeitsbedingungen, will aber nicht, dass Pflegekräfte verschiedener Kliniken gegeneinander ausgespielt werden: "Ich als Pflegekraft bin nicht dafür verantwortlich, zu ertragen, was die Politik in den letzten 20 Jahren versaut hat. Die haben politische Entscheidungen getroffen, die führen dazu, dass wir unter kritischen und katastrophalen Arbeitsbedingungen arbeiten müssen."
Der Entlastungstarifvertrag ist für sie daher nur der erste Schritt. Sie will sich weiter einsetzen, für grundlegende Reformen in der Pflege und Entlastungen, die auf allen Stationen in allen Krankenhäusern ankommen.
Über das Thema berichtet der WDR am 23.10.22 in der Sendung Westpol, 19.30 Uhr im WDR Fernsehen.