Eigentlich ist ein "Parlamentarischer Untersuchungsausschuss", kurz PUA, ein wichtiges Instrument in einer Demokratie: Steht eine Regierung im Verdacht, schwere Fehler begangen zu haben, können die Parteien eine Art Aufklärungsverfahren beantragen. Abgeordnete dürfen dann wichtige Zeugen einladen und ihnen viele Fragen stellen. Dazu können sie Dokumente, die zur Aufklärung beitragen, anfordern: Emails, Telefonprotokolle, Briefe zum Beispiel.
Wüst wollte seine Notizen nicht herausrücken
Ärgerlich für die Demokratie ist es dann allerdings, wenn die Politiker, die bei der Untersuchung im Fokus stehen, relevante Dokumente nicht herausgeben möchten. So fehlten dem Untersuchungsausschuss zum "Brückendesaster" um die Rahmedetalbrücke noch rund ein Jahr nach seinem Start wichtige Dokumente, die die Opposition angefordert hatte. Darunter auch die Terminkalender-Einträge des früheren Landesverkehrsministers und heutigen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU). Erst vergangene Woche Donnerstag seien die fehlenden Dokumente geliefert worden, so der Obmann der SPD-Landtagsfraktion in dem Ausschuss, Gordan Dudas.
In einem anderen Untersuchungsausschuss hatte Wüsts Parteikollegin und NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach ebenfalls versucht, die vollständige Herausgabe der angeforderten Dokumente aus ihrem Haus zur Flutkatastrophe 2021 zu vermeiden. Lediglich zehn Seiten hatte Scharrenbach dem PUA zur Hochwasser-Katastrophe geliefert. Das NRW-Verfassungsgericht stellte vergangene Woche fest, dass die Ministerin damit gegen die Landesverfassung verstoßen habe.
Urteil gegen Scharrenbach "wirkte Wunder"
Das Urteil von Münster habe "Wunder gewirkt", sagte SPD-Mann Dudas nun nach der unerwartet zügigen Akten-Nachlieferung Wüsts für den Brücken-Untersuchungsausschuss. Mittlerweile lägen dem Ausschuss rund drei Millionen Dateien vor.
In der 14. Sitzung am Montag ging es nun darum, Einblick in die Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse zu erhalten: Warum wurde mit dem Neubau der Rahmedetalbrücke nicht, wie jahrelang angekündigt, schon viel eher begonnen? Wie konnte der Verfall so weit fortschreiten, dass schließlich die plötzliche Sperrung notwendig war - mit weitreichenden Folgen für den Verkehr und die Region?
Neubau immer wieder verschoben
Verkehrsminister bis Mitte 2017: Michael Groschek
Schon im Frühjahr 2017 hatte der damalige Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) den Neubau der Brücke angekündigt. Auch unter seinem Nachfolger Hendrik Wüst stand das Projekt weiter auf der Prioritätenliste des Landes. Doch nichts geschah. Bis im Dezember 2021 ein von der Landesregierung beauftragter Bauingenieur solch massive Beschädigungen feststellte, dass die Brücke noch am selben Abend vollständig stillgelegt wurde. Am 5. Oktober 2023 begann der Bau einer neuen Brücke, deren erster Teil - Stand jetzt - Mitte 2026 fertig sein soll.
Wie so oft im PUA: Erinnerungslücken
Geladen waren am Montag zwei wichtige Ex-Mitarbeiter des NRW-Verkehrsministeriums: der ehemalige Abteilungsleiter im Bereich Straßeninfrastruktur und sein Stellvertreter. Der erste, Winfried Pudenz - mit 67 Jahren mittlerweile pensioniert - konnte sich an viele Zusammenhänge nicht mehr erinnern. Auch zahlreiche Emails zum Beispiel aus dem Landesbetrieb Straßen.NRW, in denen es um die Dringlichkeit eines Neubaus ging, konnte Pudenz nicht mehr einordnen.
Immer wieder versuchte er zu erklären, dass Zeitpläne bei solchen Projekten sehr dynamisch seien, Termine oft nicht planbar. Auch war offenbar lange unklar, ob es für einen Neubau ein zeitaufwändiges Planfeststellungsverfahren geben müsse oder nicht.
Auch Pudenz' Stellvertreter, Michael Heinze, bemühte sich darzustellen, wie viele Unwägbarkeiten bei einem Brückenneubau die Zeitplanungen immer wieder verändern können: Plötzlich werde eine seltene Fledermaus entdeckt, Mitarbeiter würden krank, dann stellten sich Grundstückseigentümer quer, die für das neue Bauwerk Flächen abgeben sollen.
War der Minister informiert?
Immer wieder wollten die Abgeordneten wissen, ob dem ab Sommer 2017 amtierenden Verkehrsminister Hendrik Wüst klar gewesen sein musste, dass die Brücke marode ist - und dass sich der einst für 2019 geplante Neubau weiter verschieben würde. Heinze berichtete von wöchentlichen Treffen der zuständigen Abteilungen mit dem Minister, bei denen abgefragt worden sei, "ob sich ein neues Problem aufgetan habe, von dem die Hausspitze Kenntnis haben muss". Im Zweifel seien "Balkendiagramme", die den weiteren Ablauf visualisierten, eben abgeändert worden, so Heinze.
Und immer wieder kam der ehemalige stellvertretende Abteilungsleiter auf das Thema "Stimmung" - und gab damit tatsächlich einen interessanten Einblick in die Mechanismen einer Verwaltungsbehörde: Mitarbeiter müssten bei Laune gehalten werden, erklärte er mehrfach, Druck könne zu Frustration führen. Kippe die Stimmung in der Behörde, so Heinze sinngemäß, sei mit engagierter Mitarbeit nicht mehr zu rechnen. Ob das schließlich zu den fatalen Verzögerungen bei der Rahmedetalbrücke führte, unter denen jetzt eine ganze Region leiden muss, ließ er offen.