Chaos im Landtag in Thüringen: Jurist Steinbeis zur Strategie der AfD
Stand: 27.09.2024, 10:16 Uhr
Die erste Sitzung des Landtags Thüringen nach dem Wahlerfolg der rechtsextremen AfD mündete im Chaos. Das Parlament konnte sich unter der Leitung des AfD-Alterspräsidenten am Donnerstag nicht ordentlich konstituieren. Was ist da passiert? Ein Interview mit Jurist Maximilian Steinbeis.
Nach einer chaotischen ersten Sitzung des Thüringer Landtags soll der Verfassungsgerichtshof am Freitag entscheiden, wie es weitergeht. Das Parlament in Erfurt rutscht damit vorübergehend in eine Krise. Denn ohne einen Landtagspräsidenten ist es fast vier Wochen nach der Landtagswahl nicht voll arbeitsfähig. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sich der Landtag innerhalb von 30 Tagen nach der Landtagswahl konstituiert.
Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) bei der Sitzung des Thüringer Landtags
In den Mittelpunkt rückte am Donnerstag die Rolle des Alterspräsidenten: Dabei handelt es sich traditionell um den an Lebensjahren ältesten Teilnehmer der Versammlung. Er hat die Aufgabe, die Sitzung so lange zu leiten, bis ein Präsident gewählt wurde. In diesem Fall war der Alterspräsident der AfD-Politiker Jürgen Treutler.
Um welchen Streit es im Kern im Landtag Thüringen geht und welche Strategie die AfD verfolgt, erklärt im Interview Jurist Maximilian Steinbeis. Er ist Gründer und Chefredakteur der Website Verfassungsblog und arbeitete am "Thüringen-Projekt" mit. Das ist ein vom Verfassungsblog initiiertes Forschungsprojekt, das erarbeitet hat, welche potenziellen Gefahren durch eine starke "autoritär-populistische Partei" im Landtag entstehen könnten und mit welchen Strategien sich die Demokratie davor schützen kann.
WDR: Hat die Strategie der AfD im Thüringer Landtag funktioniert?
Maximilian Steinbeis: Ich glaube, so viel ist jetzt schon klar: Der Alterspräsident hat an ein paar Stellen tatsächlich die Verfassung gebrochen. Er hat die Möglichkeiten, die verfassungsrechtlich vorgesehen oder denkbar sind für einen solchen Alterspräsidenten bei Weitem überschritten.
Maximilian Steinbeis
Also, die Tatsache, dass er einen Antrag zur Geschäftsordnung von CDU und BSW einfach ignoriert hat, dass er darüber einfach keine Abstimmung ermöglicht hat, obwohl die klare Mehrheit des Landtages das verlangt hat, ich glaube, das ist verfassungsrechtlich schlechthin nicht zu rechtfertigen. Die CDU und das BSW hatten beantragt, die Geschäftsordnung zu ändern, um dieses Missbrauchspotenzial auszuschließen.
WDR: Sie sagen, dass CDU und BSW Missbrauchspotenzial erkannt haben. Was ist das denn für ein Missbrauchspotenzial?
Steinbeis: Es geht ja um die Position des Landtagspräsidenten. Da erhofft sich die AfD, dass sie dieses Amt mit ihrer Abgeordneten Wiebke Muhsal besetzen kann, die obendrein auch noch vorbestraft ist, weil sie den Landtag betrogen hat. Dafür ist sie rechtskräftig verurteilt worden.
Wiebke Muhsal (AfD)
Würde sie gewählt werden, dann wäre es eine potenziell sehr einflussreiche Position. Sie hätte dann die ganze Landtagsverwaltung unter ihrer Kontrolle und könnte dann in einem ganz anderen Umfang Missbrauch treiben mit den Verfahren und den Institutionen des Parlaments.
Weil man das gesehen hat und verhindern will, wird Muhsal auch nicht gewählt werden. Das ist jetzt schon klar. Alle Fraktionen haben gesagt: Wir werden diese Frau nicht wählen. Die AfD hat zwar das Recht, diese Frau vorzuschlagen, aber sie hat kein Recht darauf, dass sie dann auch gewählt wird. Und um diesen Streit ging es da gestern.
Die AfD hat versucht, durch Verfahrenstricks irgendwie doch herbeizuführen, dass am Ende die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ihre Kandidatin in dieses Amt gewählt wird.
WDR: Sie haben beim "Thüringen-Projekt" mitgearbeitet. Da sind ja genau diese Fragen vorher besprochen oder diskutiert worden. Warum hat man das nicht alles schon vorher geändert?
Steinbeis: Wir haben tatsächlich schon im April eine Reihe von Empfehlungen vorgelegt. Da war eine davon, sich genau um dieses Szenario zu kümmern und tatsächlich im Vorfeld schon in der Geschäftsordnung klarzustellen, dass das Missbrauchspotenzial dieses Alterspräsidenten eingehegt wird. Dazu ist es nicht gekommen. Zu dem Zeitpunkt hat die CDU wohl noch gedacht, dass sie vielleicht selber stärkste Fraktion wird, selber dieses Vorschlagsrecht für diesen Landtagspräsidenten ausüben kann und hat sich deswegen nicht dazu entschließen wollen.
Sie hat auch generell wenig Lust gezeigt, sich auf irgendetwas mit der rot-rot-grünen Koalition zu einigen. Und deswegen ist es im Wesentlichen dazu nicht gekommen. Es gab im alten Landtag ja auch noch mal einen Vorschlag der Grünen, für eine klare rechtliche Grundlage zu sorgen. Das ist alles nicht passiert. Und jetzt sieht man, was die Folgen sind.
Die Fragen stellte Andrea Oster. Für die Online-Fassung wurde das "Morgenecho"-Interview gekürzt und sprachlich leicht angepasst.